Apostoph gestrichen:
beiseit' -> beiseit
hatt’ -> hatt
Großschreibung:
im trüben fischen -> im Trüben fischen
im stillen -> im Stillen
Interpunktion:
Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll
Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll
So müßt Ihr's so genau nicht nehmen.
->
Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll,
So müßt Ihr's so genau nicht nehmen.
Führ uns gut und mach dir Ehre
Daß wir vorwärts bald gelangen
->
Führ uns gut und mach dir Ehre,
Daß wir vorwärts bald gelangen
Du mußt des Felsens alte Rippen packen
Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.
->
Du mußt des Felsens alte Rippen packen,
Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.
Johann Wolfgang von GoetheFaust
ZUEIGNUNG
1
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
5Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
10Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten, halbverklungnen Sage
Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
15Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
20Verklungen, ach! der erste Widerklang.
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
25
Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen,
30Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.
VORSPIEL AUF DEM THEATER
Direktor. Theatherdichter. Lustige Person.
DIREKTOR
Ihr beiden, die ihr mir so oft,
In Not und Trübsal, beigestanden,
35Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben läßt.
Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
40Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir's, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?
Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
Und mit gewaltig wiederholten Wehen
Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
Bei hellem Tage, schon vor vieren,
Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
55Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,
Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!
DICHTER
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
60Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
65Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
Mißraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.
LUSTIGE PERSON
75
Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben
80Ist, dächt ich, immer auch schon was.
Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
Er wünscht sich einen großen Kreis,
Um ihn gewisser zu erschüttern.
85Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,
Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
DIREKTOR
Besonders aber laßt genug geschehn!
90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
95Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
100Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft's, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht?
Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.
DICHTER
Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
105Wie wenig das dem echten Künstler zieme!
Der saubern Herren Pfuscherei
Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.
DIREKTOR
Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt:
Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
110Muß auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
115Und, was das Allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
120Und spielen ohne Gage mit.
Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe?
Was macht ein volles Haus Euch froh?
Beseht die Gönner in der Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
Was plagt ihr armen Toren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,
130So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen, ist schwer — —
Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?
DICHTER
Geh hin und such dir einen andern Knecht!
135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
140Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge
145Verdrießlich durcheinander klingt;
Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?
150Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten?
Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
LUSTIGE PERSON
So braucht sie denn, die schönen Kräfte
Und treibt die dichtrischen Geschäfte
160Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
165Und eh man sich's versieht, ist's eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
Und wo ihr's packt, da ist's interessant.
170In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
Dann sauget jedes zärtliche Gemüte
Aus eurem Werk sich melanchol'sche Nahrung,
Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.
180Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;
Ein Werdender wird immer dankbar sein.
DICHTER
So gib mir auch die Zeiten wieder,
185Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhüllten,
Die Knospe Wunder noch versprach,
190Da ich die tausend Blumen brach,
Die alle Täler reichlich füllten.
Ich hatte nichts und doch genug:
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gib ungebändigt jene Triebe,
195Das tiefe, schmerzenvolle Glück,
Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gib meine Jugend mir zurück!
LUSTIGE PERSON
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,
Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
200Wenn mit Gewalt an deinen Hals
Sich allerliebste Mädchen hängen,
Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,
Wenn nach dem heft'gen Wirbeltanz
205Die Nächte schmausend man vertrinket.
Doch ins bekannte Saitenspiel
Mit Mut und Anmut einzugreifen,
Nach einem selbstgesteckten Ziel
Mit holdem Irren hinzuschweifen,
210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
Und wir verehren euch darum nicht minder.
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
DIREKTOR
Der Worte sind genug gewechselt,
215Laßt mich auch endlich Taten sehn!
Indes ihr Komplimente drechselt,
Kann etwas Nützliches geschehn.
Was hilft es, viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.
220Gebt ihr euch einmal für Poeten,
So kommandiert die Poesie.
Euch ist bekannt, was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen;
Nun braut mir unverzüglich dran!
225Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen
230Und wirket weiter, weil er muß.
Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
Probiert ein jeder, was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospekte nicht und nicht Maschinen.
235Gebraucht das groß und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Tier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Bretterhaus
240Den ganzen Kreis der Schöpfung aus
Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.
PROLOG IM HIMMEL
Der Herr, die himmlischen Heerscharen, nachher Mephistopheles.
Die drei Erzengel treten vor.
RAPHAEL
Die Sonne tönt, nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
245Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner Sie ergründen mag;
die unbegreiflich hohen Werke
250Sind herrlich wie am ersten Tag.
GABRIEL
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer, schauervoller Nacht.
255Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
Im ewig schnellem Sphärenlauf.
MICHAEL
Und Stürme brausen um die Wette,
260Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
und bilden wütend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.
265Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.
ZU DREI
Der Anblick gibt den Engeln Stärke,
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
270Sind herrlich wie am ersten Tag.
MEPHISTOPHELES
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
275Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen,
280Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd er leben,
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
285Er nennt's Vernunft und braucht's allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Zikaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
290Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und läg er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.
DER HERR
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
295Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
MEPHISTOPHELES
Nein, Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.
DER HERR
MEPHISTOPHELES
DER HERR
MEPHISTOPHELES
Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gärung in die Ferne,
305Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne
Und von der Erde jede höchste Lust,
Und alle Näh und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
DER HERR
310Wenn er mir auch nur verworren dient,
So werd ich ihn bald in die Klarheit führen.
Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Daß Blüt und Frucht die künft'gen Jahre zieren.
MEPHISTOPHELES
Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren!
315Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,
Ihn meine Straße sacht zu führen.
DER HERR
Solang er auf der Erde lebt,
So lange sei dir's nicht verboten,
Es irrt der Mensch so lang er strebt.
MEPHISTOPHELES
320
Da dank ich Euch; denn mit den Toten
Hab ich mich niemals gern befangen.
Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.
Für einem Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
DER HERR
325
Nun gut, es sei dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt:
330Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
MEPHISTOPHELES
Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
335Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.
DER HERR
Du darfst auch da nur frei erscheinen;
Ich habe deinesgleichen nie gehaßt.
340Von allen Geistern, die verneinen,
ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,
345Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. —
Doch ihr, die echten Göttersöhne,
Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass euch mit der Liebe holden Schranken,
350Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestigt mit dauernden Gedanken!
Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.
MEPHISTOPHELES
allein.
Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
355So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL
Nacht.
In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust,
unruhig auf seinem Sessel am Pulte.
FAUST
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
360Da steh ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug als wie zuvor!
Heiße Magister, heiße Doktor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
365Meine Schüler an der Nase herum —
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
370Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel —
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
375Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
380Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund;
Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
385Im Innersten zusammenhält,
Schau alle Wirkenskraft und Samen,
Und tu nicht mehr in Worten kramen.
O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
390Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:
Dann über Büchern und Papier,
Trübsel'ger Freund, erschienst du mir!
Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn
395In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Tau gesund mich baden!
400
Weh! steck ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb durch gemalte Scheiben bricht!
Beschränkt mit diesem Bücherhauf,
405den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den bis ans hohe Gewölb hinauf
Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
410Urväter Hausrat drein gestopft —
Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
415Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Tiergeripp und Totenbein.
420Flieh! auf! hinaus ins weite Land!
Und dies geheimnisvolle Buch,
Von Nostradamus' eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
425Und wenn Natur dich unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andren Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
Die heil'gen Zeichen dir erklärt:
430Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
435Ich fühle junges, heil'ges Lebensglück
Neuglühend mir durch Nerv' und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude füllen,
440Und mit geheimnisvollem Trieb
Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
Ich schau in diesen reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
445Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:
„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!
Auf, bade, Schüler, unverdrossen
Die ird'sche Brust im Morgenrot!”
450Er beschaut das Zeichen.
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
455Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all das All durchklingen!
Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!
Wo fass ich dich, unendliche Natur?
460Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Brust sich drängt —
Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?
Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.
465Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir näher;
Schon fühl ich meine Kräfte höher,
Schon glüh ich wie von neuem Wein.
Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,
470Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
Mit Stürmen mich herumzuschlagen
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.
Es wölkt sich über mir —
Der Mond verbirgt sein Licht —
475Die Lampe schwindet!
Es dampft! Es zucken rote Strahlen
Mir um das Haupt — Es weht
Ein Schauer vom Gewölb herab
Und faßt mich an!
480Ich fühl's, du schwebst um mich, erflehter Geist.
Enthülle dich!
Ha! wie's in meinem Herzen reißt!
Zu neuen Gefühlen
All' meine Sinnen sich erwühlen!
485Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du mußt! du mußt! und kostet es mein Leben!
Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus.
Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.
GEIST
FAUST
abgewendet.
GEIST
Du hast mich mächtig angezogen,
490An meiner Sphäre lang gesogen,
Und nun —
FAUST
Weh! ich ertrag dich nicht!
GEIST
Du flehst, eratmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;
495Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
Da bin ich! — Welch erbärmlich Grauen
Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf
Und trug und hegte, die mit Freudebeben
500Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,
Der sich an mich mit allen Kräften drang?
Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenslagen zittert,
505Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?
FAUST
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin's, bin Faust, bin deinesgleichen!
GEIST
In Lebensfluten, im Tatensturm
Wall ich auf und ab,
510Wehe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselndes Wehen,
Ein glühend Leben,
515So schaff ich am laufenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
FAUST
Der du die weite Welt umschweifst,
Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!
GEIST
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
520Nicht mir!
verschwindet.
FAUST
zusammenstürzend.
Nicht dir?
Wem denn?
Ich Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir!
525Es klopft.
O Tod! ich kenn's — das ist mein Famulus —
Es wird mein schönstes Glück zunichte!
Daß diese Fülle der Gesichte
Der trockne Schleicher stören muß!
Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand.
Faust wendet sich unwillig.
WAGNER
530
Verzeiht! ich hör euch deklamieren;
Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht ich was profitieren,
Denn heutzutage wirkt das viel.
Ich hab es öfters rühmen hören,
535Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.
FAUST
Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;
Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.
WAGNER
Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,
540Kaum durch ein Fernglas, nur von weitem,
Wie soll man sie durch Überredung leiten?
FAUST
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
545Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhäufchen 'raus!
550Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht;
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
WAGNER
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
555Ich fühl es wohl, noch bin ich weit zurück.
FAUST
Such Er den redlichen Gewinn!
Sei Er kein schellenlauter Tor!
Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor!
560Und wenn's euch Ernst ist, was zu sagen,
Ist's nötig, Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
565Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
WAGNER
Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang.
570Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh man nur den halben Weg erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel sterben.
FAUST
Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
575Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
WAGNER
Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
580Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
FAUST
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
585Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.
590Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer
Und höchstens eine Haupt– und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
WAGNER
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
595Möcht jeglicher doch was davon erkennen.
FAUST
Ja, was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beim Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die töricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
600Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir müssen's diesmal unterbrechen.
WAGNER
Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
605Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.
Doch morgen, als am ersten Ostertage,
Erlaubt mir ein' und andre Frage.
Mit Eifer hab' ich mich der Studien beflissen;
Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen.
ab.
FAUST
allein.
610
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt,
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
Darf eine solche Menschenstimme hier,
615Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
Doch ach! für diesmal dank ich dir,
Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
620Ach! die Erscheinung war so riesengroß,
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit,
625Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
Und, schaffend, Götterleben zu genießen
Sich ahnungsvoll vermaß, wie muß ich's büßen!
630Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen;
Hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen,
So hatt ich dich zu halten keine Kraft.
In jenem sel'gen Augenblicke
635Ich fühlte mich so klein, so groß;
Du stießest grausam mich zurücke,
Ins ungewisse Menschenlos.
Wer lehret mich? was soll ich meiden?
Soll ich gehorchen jenem Drang?
640Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens Gang.
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
645Dann heißt das Bessre Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdischen Gewühle.
Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
650So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
Dort wirket sie geheime Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
655Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
Du bebst vor allem, was nicht trifft,
Und was du nie verlierst, das mußt du stets beweinen.
660
Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt;
Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt,
Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand
665Aus hundert Fächern mit verenget?
Der Trödel, der mit tausendfachem Tand
In dieser Mottenwelt mich dränget?
Hier soll ich finden, was mir fehlt?
Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
670Daß überall die Menschen sich gequält,
Daß hie und da ein Glücklicher gewesen?
Was grinsest du mir, hohler Schädel, her?
Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret
Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,
675Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
Ihr Instrumente freilich spottet mein,
Mit Rad und Kämmen, Walz und Bügel:
Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;
Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
680Geheimnisvoll am lichten Tag
Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,
685Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.
Weit besser hätt ich doch mein Weniges verpraßt,
Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!
690Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last,
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.
Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
695Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal lieblich helle,
Als wenn im nächt'gen Wald uns Mondenglanz umweht?
Ich grüße dich, du einzige Phiole,
Die ich mit Andacht nun herunterhole!
700In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.
Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
Erweise deinem Meister deine Gunst!
Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
705Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.
Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,
Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
710Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen
An mich heran! Ich fühle mich bereit,
Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.
Dies hohe Leben, diese Götterwonne!
715Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
Ja, kehre nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rücken zu!
Vermesse dich, die Pforten aufzureißen,
Vor denen jeder gern vorüberschleicht!
720Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,
Das Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,
Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,
Nach jenem Durchgang hinzustreben,
725Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen,
Und wär es mit Gefahr, ins Nichts dahinzufließen.
Nun komm herab, kristallne reine Schale!
Hervor aus deinem alten Futterale,
730An die ich viele Jahre nicht gedacht!
Du glänzetst bei der Väter Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten Gäste,
Wenn einer dich dem andern zugebracht.
Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
735Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
Auf einen Zug die Höhlung auszuleeren,
Erinnert mich an manche Jugendnacht.
Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen.
740Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;
Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.
Den ich bereit, den ich wähle,
Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,
Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
Er setzt die Schale an den Mund.
Glockenklang und Chorgesang.
CHOR DER ENGEL
745
Christ ist erstanden!
Freude dem Sterblichen,
Den die verderblichen,
Schleichenden, erblichen
Mängel unwanden.
FAUST
750
Welch tiefes Summen, welch heller Ton
Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
Verkündigt ihr dumpfen Glocken schon
Des Osterfestes erste Feierstunde?
Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang,
755Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
Gewißheit einem neuen Bunde?
CHOR DER WEIBER
Mit Spezereien
Hatten wir ihn gepflegt,
Wir seine Treuen
760Hatten ihn hingelegt;
Tücher und Binden
Reinlich unwanden wir,
Ach! und wir finden
Christ nicht mehr hier.
CHOR DER ENGEL
765
Christ ist erstanden!
Selig der Liebende,
Der die betrübende,
Heilsam und übende
Prüfung bestanden.
FAUST
770
Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
775Zu jenen Sphären wag ich nicht zu streben,
Woher die holde Nachricht tönt;
Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuß
780Auf mich herab in ernster Sabbatstille;
Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,
Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,
785Und unter tausend heißen Tränen
Fühlt ich mir eine Welt entstehn.
Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
Der Frühlingsfeier freies Glück;
Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
790Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!
CHOR DER JÜNGER
Hat der Begrabene
Schon sich nach oben,
795Lebend Erhabene,
Herrlich erhoben;
Ist er in Werdeluft
Schaffender Freude nah:
Ach! an der Erde Brust
800Sind wir zum Leide da.
Ließ er die Seinen
Schmachtend uns hier zurück;
Ach! wir beweinen,
Meister, dein Glück!
CHOR DER ENGEL
805
Christ ist erstanden,
Aus der Verwesung Schoß.
Reißet von Banden
Freudig euch los!
Tätig ihn preisenden,
810Liebe beweisenden,
Brüderlich speisenden,
Predigend reisenden,
Wonne verheißenden
Euch ist der Meister nah,
815Euch ist er da!
VOR DEM TOR
Spaziergänger aller Art ziehen hinaus.
EINIGE HANDWERKSBURSCHEN
ANDRE
Wir gehn hinaus aufs Jägerhaus.
DIE ERSTEN
Wir aber wollen nach der Mühle wandern.
EIN HANDWERKSBURSCH
Ich rat euch, nach dem Wasserhof zu gehn.
ZWEITER
820
Der Weg dahin ist gar nicht schön.
DIE ZWEITEN
EIN DRITTER
VIERTER
Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr
Die schönsten Mädchen und das beste Bier,
825Und Händel von der ersten Sorte.
FÜNFTER
Du überlustiger Gesell,
Juckt dich zum drittenmal das Fell?
Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
DIENSTMÄDCHEN
Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.
ANDRE
830
Wir finden ihn gewiß bei jenen Pappeln stehen.
ERSTE
Das ist für mich kein großes Glück;
Er wird an deiner Seite gehen,
Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.
Was gehn mich deine Freuden an!
ANDRE
835
Heut ist er sicher nicht allein,
Der Krauskopf, sagt er, würde bei ihm sein.
SCHÜLER
Blitz, wie die wackern Dirnen schreiten!
Herr Bruder, komm! wir müssen sie begleiten.
Ein starkes Bier, ein beizender Toback,
840Und eine Magd im Putz, das ist nun mein Geschmack.
BÜRGERMÄDCHEN
Da sieh mir nur die schönen Knaben!
Es ist wahrhaftig eine Schmach:
Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,
Und laufen diesen Mägden nach!
ZWEITER SCHÜLER
zum ersten.
845
Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwei,
Sie sind gar niedlich angezogen,
's ist meine Nachbarin dabei;
Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.
Sie gehen ihren stillen Schritt
850Und nehmen uns doch auch am Ende mit.
ERSTER
Herr Bruder, nein! Ich bin nicht gern geniert.
Geschwind! daß wir das Wildbret nicht verlieren.
Die Hand, die samstags ihren Besen führt
Wird sonntags dich am besten karessieren.
BÜRGER
855
Nein, er gefällt mir nicht, der neue Burgemeister!
Nun, da er's ist, wird er nur täglich dreister.
Und für die Stadt was tut denn er?
Wird es nicht alle Tage schlimmer?
Gehorchen soll man mehr als immer,
860Und zahlen mehr als je vorher.
BETTLER
singt.
Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,
So wohlgeputzt und backenrot,
Belieb es euch, mich anzuschauen,
Und seht und mildert meine Not!
865Laßt hier mich nicht vergebens leiern!
Nur der ist froh, der geben mag.
Ein Tag, den alle Menschen feiern,
Er sei für mich ein Erntetag.
ANDRER BÜRGER
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn– und Feiertagen
870Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
875Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.
DRITTER BÜRGER
Herr Nachbar, ja! so laß ich's auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
880Doch nur zu Hause bleib's beim Alten.
ALTE
zu den Bürgermädchen.
Ei! wie geputzt! das schöne junge Blut!
Wer soll sich nicht in euch vergaffen? —
Nur nicht so stolz! es ist schon gut!
Und was ihr wünscht, das wüßt ich wohl zu schaffen.
BÜRGERMÄDCHEN
885Agathe, fort! ich nehme mich in acht,
Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;
Sie ließ mich zwar in Sankt Andreas' Nacht
Den künft'gen Liebsten leiblich sehen —
DIE ANDRE
Mir zeigte sie ihn im Kristall,
890Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;
Ich seh mich um, ich such ihn überall,
Allein mir will er nicht begegnen.
SOLDATEN
Burgen mit hohen
Mauern und Zinnen,
895Mädchen mit stolzen
Höhnenden Sinnen
Möcht ich gewinnen!
Kühn ist das Mühen,
Herrlich der Lohn!
900
Und die Trompete
Lassen wir werben,
Wie zu der Freude,
So zum Verderben.
Das ist ein Stürmen!
905Das ist ein Leben!
Mädchen und Burgen
Müssen sich geben.
Kühn ist das Mühen,
Herrlich der Lohn!
910Und die Soldaten
Ziehen davon.
Faust und Wagner.
FAUST
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
915Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer kornigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
920Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
925Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
930Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks — und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
935Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
940Wie der Fluß, in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
945Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!
WAGNER
950Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren,
Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
Doch würd ich nicht allein mich her verlieren,
Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben
955Ist mir ein gar verhaßter Klang;
Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
Und nennen's Freude, nennen's Gesang.
Der Schäfer putzte sich zum Tanz,
Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
960Schmuck war er angezogen.
Schon um die Linde war es voll,
Und alles tanzte schon wie toll.
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
965So ging der Fiedelbogen.
Er drückte hastig sich heran,
Da stieß er an ein Mädchen an
Mit seinem Ellenbogen;
Die frische Dirne kehrt' sich um
970Und sagte: Nun, das find ich dumm!
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Seid nicht so ungezogen!
Doch hurtig in dem Kreise ging's,
975Sie tanzten rechts, sie tanzten links,
Und alle Röcke flogen.
Sie wurden rot, sie wurden warm
Und ruhten atmend Arm in Arm,
Juchhe! Juchhe!
980Juchheisa! Heisa! He!
Und Hüft an Ellenbogen.
Und tu mir doch nicht so vertraut!
Wie mancher hat nicht seine Braut
Belogen und betrogen!
985Er schmeichelte sie doch bei Seit,
Und von der Linde scholl es weit:
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Geschrei und Fiedelbogen.
ALTER BAUER
990
Herr Doktor, das ist schön von Euch,
Daß Ihr uns heute nicht verschmäht,
Und unter dieses Volksgedräng,
Als ein so Hochgelahrter, geht.
So nehmet auch den schönsten Krug,
995Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
Ich bring ihn zu und wünsche laut,
Daß er nicht nur den Durst Euch stillt:
Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
Sei Euren Tagen zugelegt.
FAUST
1000
Ich nehme den Erquickungstrank
Erwidr' euch allen Heil und Dank.
Das Volk sammelt sich im Kreis umher.
ALTER BAUER
Fürwahr, es ist sehr wohl getan,
Daß Ihr am frohen Tag erscheint;
Habt Ihr es vormals doch mit uns
1005An bösen Tagen gut gemeint!
Gar mancher steht lebendig hier
Den Euer Vater noch zuletzt
Der heißen Fieberwut entriß,
Als er der Seuche Ziel gesetzt.
1010Auch damals Ihr, ein junger Mann,
Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
Gar manche Leiche trug man fort,
Ihr aber kamt gesund heraus,
Bestandet manche harte Proben;
1015Dem Helfer half der Helfer droben.
ALLE
Gesundheit dem bewährten Mann,
Daß er noch lange helfen kann!
FAUST
Vor jenem droben steht gebückt,
Der helfen lehrt und Hülfe schickt.
1020
Er geht mit Wagnern weiter.
WAGNER
Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann,
Bei der Verehrung dieser Menge haben!
O glücklich, wer von seinen Gaben
Solch einen Vorteil ziehen kann!
1025Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
Ein jeder fragt und drängt und eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
Du gehst, in Reihen stehen sie,
Die Mützen fliegen in die Höh;
1030Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
Als käm das Venerabile.
FAUST
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
Hier saß ich oft gedankenvoll allein
1035Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Tränen, Seufzen, Händeringen
Dacht ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1040Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes wert gewesen!
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
1045Der über die Natur und ihre heil'gen Kreise
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann;
Der, in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schloß,
1050Und, nach unendlichen Rezepten,
Das Widrige zusammengoß.
Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier,
Im lauen Bad der Lilie vermählt,
Und beide dann mit offnem Flammenfeuer
1055Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
Erschien darauf mit bunten Farben
Die junge Königin im Glas,
Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
1060So haben wir mit höllischen Latwergen
In diesen Tälern, diesen Bergen
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben:
Sie welkten hin, ich muß erleben,
1065Daß man die frechen Mörder lobt.
WAGNER
Wie könnt Ihr Euch darum betrüben!
Tut nicht ein braver Mann genug,
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und pünktlich auszuüben?
1070Wenn du als Jüngling deinen Vater ehrst,
So wirst du gern von ihm empfangen;
Wenn du als Mann die Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.
FAUST
O glücklich, wer noch hoffen kann,
1075Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!
Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
Und was man weiß, kann man nicht brauchen.
Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut
Durch solchen Trübsinn nicht verkümmern!
1080Betrachte, wie in Abendsonneglut
Die grünumgebnen Hütten schimmern.
Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
O daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
1085Ihr nach und immer nach zu streben!
Ich säh im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal,
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1090Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.
Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;
1095Allein der neue Trieb erwacht,
Ich eile fort, ihr ew'ges Licht zu trinken,
Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht,
Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1100Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
1105Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimat strebt.
WAGNER
1110
Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
Doch solchen Trieb hab ich noch nie empfunden.
Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt;
Des Vogels Fittich werd ich nie beneiden.
Wie anders tragen uns die Geistesfreuden
1115Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
Da werden Winternächte hold und schön
Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen,
So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
FAUST
1120Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
O lerne nie den andern kennen!
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
1125Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
O gibt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd und Himmel herrschend weben,
1130So steiget nieder aus dem goldnen Duft
Und führt mich weg zu neuem, buntem Leben!
Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein,
Und trüg er mich in fremde Länder!
Mir sollt er um die köstlichsten Gewänder,
1135Nicht feil um einen Königsmantel sein.
WAGNER
Berufe nicht die wohlbekannte Schar,
Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,
Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
Von allen Enden her, bereitet.
1140Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen;
Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
Und nähren sich von deinen Lungen;
Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
1145Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen;
1150Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,
Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
Am Abend schätzt man erst das Haus. —
1155Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?
Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
FAUST
Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?
WAGNER
Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.
FAUST
Betracht ihn recht! für was hältst du das Tier?
WAGNER
1160
Für einen Pudel, der auf seine Weise
Sich auf der Spur des Herren plagt.
FAUST
Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher jagt?
Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
1165Auf seinen Pfaden hinterdrein.
WAGNER
Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;
Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.
FAUST
Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen
Zu künft'gem Band um unsre Füße zieht.
WAGNER
1170
Ich seh ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
Weil er, statt seines Herrn, zwei Unbekannte sieht.
FAUST
Der Kreis wird eng, schon ist er nah!
WAGNER
Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
1175Er wedelt. Alles Hundebrauch.
FAUST
Geselle dich zu uns! Komm hier!
WAGNER
Es ist ein pudelnärrisch Tier.
Du stehest still, er wartet auf;
Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
1180Verliere was, er wird es bringen,
Nach deinem Stock ins Wasser springen.
FAUST
Du hast wohl recht; ich finde nicht die Spur
Von einem Geist, und alles ist Dressur.
WAGNER
Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
1185Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
Ja, deine Gunst verdient er ganz und gar,
Er, der Studenten trefflicher Skolar.
Sie gehen in das Stadttor.
STUDIERZIMMER
Faust mit dem Pudel hereintretend.
FAUST
Verlassen hab ich Feld und Auen,
Die eine tiefe Nacht bedeckt,
1190Mit ahnungsvollem, heil'gem Grauen
In uns die bessre Seele weckt.
Entschlafen sind nun wilde Triebe
Mit jedem ungestümen Tun;
Es reget sich die Menschenliebe,
1195Die Liebe Gottes regt sich nun.
Sei ruhig, Pudel! renne nicht hin und wider!
An der Schwelle was schnoperst du hier?
Lege dich hinter den Ofen nieder,
Mein bestes Kissen geb ich dir.
1200Wie du draußen auf dem bergigen Wege
Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast,
So nimm nun auch von mir die Pflege,
Als ein willkommner stiller Gast.
Ach wenn in unsrer engen Zelle
1205Die Lampe freundlich wieder brennt,
Dann wird's in unserm Busen helle,
Im Herzen, das sich selber kennt.
Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
Und Hoffnung wieder an zu blühn,
1210Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
Ach! nach des Lebens Quelle hin.
Knurre nicht, Pudel! Zu den heiligen Tönen,
Die jetzt meine ganze Seel umfassen,
Will der tierische Laut nicht passen.
1215Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen,
Was sie nicht verstehn,
Daß sie vor dem Guten und Schönen,
Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
Will es der Hund, wie sie, beknurren?
1220
Aber ach! schon fühl ich, bei dem besten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
Und wir wieder im Durste liegen?
Davon hab ich so viel Erfahrung.
1225Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
Wir lernen das Überirdische schätzen,
Wir sehnen uns nach Offenbarung,
Die nirgends würd'ger und schöner brennt
Als in dem Neuen Testament.
1230Mich drängt's, den Grundtext aufzuschlagen,
Mit redlichem Gefühl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!”
1235Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
1240Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
1245Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!
Soll ich mit dir das Zimmer teilen,
Pudel, so laß das Heulen,
1250So laß das Bellen!
Solch einen störenden Gesellen
Mag ich nicht in der Nähe leiden.
Einer von uns beiden
Muß die Zelle meiden.
1255Ungern heb ich das Gastrecht auf,
Die Tür ist offen, hast freien Lauf.
Aber was muß ich sehen!
Kann das natürlich geschehen?
Ist es Schatten? ist's Wirklichkeit?
1260Wie wird mein Pudel lang und breit!
Er hebt sich mit Gewalt,
Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus!
Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
1265Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
Oh! du bist mir gewiß!
Für solche halbe Höllenbrut
Ist Salomonis Schlüssel gut.
GEISTER
auf dem Gange.
Drinnen gefangen ist einer!
1270Bleibet haußen, folg ihm keiner!
Wie im Eisen der Fuchs,
Zagt ein alter Höllenluchs.
Aber gebt acht!
Schwebet hin, schwebet wider,
1275Auf und nieder,
Und er hat sich losgemacht.
Könnt ihr ihm nützen,
Laßt ihn nicht sitzen!
Denn er tat uns allen
1280Schon viel zu Gefallen.
FAUST
Erst zu begegnen dem Tiere,
Brauch ich den Spruch der Viere:
Salamander soll glühen,
Undene sich winden,
1285Sylphe verschwinden,
Kobold sich mühen.
Wer sie nicht kennte,
Die Elemente,
Ihre Kraft
1290Und Eigenschaft,
Wäre kein Meister
Über die Geister.
Verschwind in Flammen,
Salamander!
1295Rauschend fließe zusammen,
Undene!
Leucht in Meteoren-Schöne,
Sylphe!
Bring häusliche Hülfe,
1300Incubus! Incubus!
Tritt hervor und mache den Schluß!
Keines der Viere
Steckt in dem Tiere.
Es liegt ganz ruhig und grinst mich an;
1305Ich hab ihm noch nicht weh getan.
Du sollst mich hören
Stärker beschwören.
Bist du, Geselle,
Ein Flüchtling der Hölle?
1310So sieh dies Zeichen,
Dem sie sich beugen,
Die schwarzen Scharen!
Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
Verworfnes Wesen!
1315Kannst du ihn lesen?
Den nie Entsproßnen,
Unausgesprochnen,
Durch alle Himmel Gegoßnen,
Freventlich Durchstochnen?
1320Hinter den Ofen gebannt,
Schwillt es wie ein Elefant.
Den ganzen Raum füllt es an,
Es will zum Nebel zerfließen.
Steige nicht zur Decke hinan!
1325Lege dich zu des Meisters Füßen!
Du siehst, daß ich nicht vergebens drohe.
Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
Erwarte nicht
Das dreimal glühende Licht!
1330Erwarte nicht
Die stärkste von meinen Künsten!
Mephistopheles tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor.
MEPHISTOPHELES
Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?
FAUST
Das also war des Pudels Kern!
Ein fahrender Skolast? Der Kasus macht mich lachen.
MEPHISTOPHELES
1335
Ich salutiere den gelehrten Herrn!
Ihr habt mich weidlich schwitzen machen.
FAUST
MEPHISTOPHELES
Die Frage scheint mir klein
Für einen, der das Wort so sehr verachtet,
1340Der, weit entfernt von allem Schein,
Nur in der Wesen Tiefe trachtet.
FAUST
Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
Wo es sich allzu deutlich weist,
1345Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
Nun gut, wer bist du denn?
MEPHISTOPHELES
Ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
FAUST
Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?
MEPHISTOPHELES
1350
Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär's, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
1355Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.
FAUST
Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?
MEPHISTOPHELES
Bescheidne Wahrheit sprech ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
1360Gewöhnlich für ein Ganzes hält —
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
1365Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange;
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
1370Und mit den Körpern wird's zugrunde gehn.
FAUST
Nun kenn ich deine würd'gen Pflichten!
Du kannst im Großen nichts vernichten
Und fängst es nun im Kleinen an.
MEPHISTOPHELES
Und freilich ist nicht viel damit getan.
1375Was sich dem Nichts entgegenstellt,
Das Etwas, diese plumpe Welt,
So viel als ich schon unternommen,
Ich wußte nicht ihr beizukommen
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand —
1380Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
Und dem verdammten Zeug, der Tier und Menschenbrut,
Dem ist nun gar nichts anzuhaben:
Wie viele hab ich schon begraben!
Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut.
1385So geht es fort, man möchte rasend werden!
Der Luft, dem Wasser wie der Erden
Entwinden tausend Keime sich,
Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
Hätt ich mir nicht die Flamme vorbehalten,
1390Ich hätte nichts Aparts für mich.
FAUST
So setzest du der ewig regen,
Der heilsam schaffenden Gewalt
Die kalte Teufelsfaust entgegen,
Die sich vergebens tückisch ballt!
1395Was anders suche zu beginnen,
Des Chaos wunderlicher Sohn!
MEPHISTOPHELES
Wir wollen wirklich uns besinnen,
Die nächsten Male mehr davon!
Dürft ich wohl diesmal mich entfernen?
FAUST
1400Ich sehe nicht, warum du fragst.
Ich habe jetzt dich kennen lernen,
Besuche nun mich, wie du magst.
Hier ist das Fenster, hier die Türe,
Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.
MEPHISTOPHELES
1405Gesteh ich's nur! daß ich hinausspaziere,
Verbietet mir ein kleines Hindernis,
Der Drudenfuß auf Eurer Schwelle —
FAUST
Das Pentagramma macht dir Pein?
Ei sage mir, du Sohn der Hölle,
1410Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
Wie ward ein solcher Geist betrogen?
MEPHISTOPHELES
Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen:
Der eine Winkel, der nach außen zu,
Ist, wie du siehst, ein wenig offen.
FAUST
1415
Das hat der Zufall gut getroffen!
Und mein Gefangner wärst denn du?
Das ist von ungefähr gelungen!
MEPHISTOPHELES
Der Pudel merkte nichts, als er hereingesprungen,
Die Sache sieht jetzt anders aus:
1420Der Teufel kann nicht aus dem Haus.
FAUST
Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?
MEPHISTOPHELES
's ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.
FAUST
1425
Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
Das find ich gut, da ließe sich ein Pakt,
Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?
MEPHISTOPHELES
Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
Dir wird davon nichts abgezwackt.
1430Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
Und wir besprechen das zunächst;
Doch jetzo bitt ich hoch und höchst,
Für dieses Mal mich zu entlassen.
FAUST
So bleibe doch noch einen Augenblick,
1435Um mir erst gute Mär zu sagen.
MEPHISTOPHELES
Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück,
Dann magst du nach Belieben fragen.
FAUST
Ich habe dir nicht nachgestellt,
Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
1440Den Teufel halte, wer ihn hält!
Er wird ihn nicht so bald zum zweiten Male fangen.
MEPHISTOPHELES
Wenn dir's beliebt, so bin ich auch bereit,
Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
Doch mit Bedingnis, dir die Zeit
1445Durch meine Künste würdig zu vertreiben.
FAUST
Ich seh es gern, das steht dir frei;
Nur daß die Kunst gefällig sei!
MEPHISTOPHELES
Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen
In dieser Stunde mehr gewinnen
1450Als in des Jahres Einerlei.
Was dir die zarten Geister singen,
Die schönen Bilder, die sie bringen,
Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
1455Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
Und dann entzückt sich dein Gefühl.
Bereitung braucht es nicht voran,
Beisammen sind wir, fanget an!
GEISTER
Schwindet, ihr dunkeln
1460Wölbungen droben!
Reizender schaue
Freundlich der blaue
Äther herein!
Wären die dunkeln
1465Wolken zerronnen!
Sternelein funkeln,
Mildere Sonnen
Scheinen darein.
Himmlischer Söhne
1470Geistige Schöne,
Schwankende Beugung
Schwebet vorüber.
Sehnende Neigung
Folget hinüber;
1475Und der Gewänder
Flatternde Bänder
Decken die Länder,
Decken die Laube,
Wo sich fürs Leben,
1480Tief in Gedanken,
Liebende geben.
Laube bei Laube!
Sprossende Ranken!
Lastende Traube
1485Stürzt ins Behälter
Drängender Kelter,
Stürzen in Bächen
Schäumende Weine,
Rieseln durch reine,
1490Edle Gesteine,
Lassen die Höhen
Hinter sich liegen,
Breiten zu Seen
Sich ums Genügen
1495Grünender Hügel.
Und das Geflügel
Schlürfet sich Wonne,
Flieget der Sonne,
Flieget den hellen
1500Inseln entgegen,
Die sich auf Wellen
Gauklend bewegen;
Wo wir in Chören
Jauchzende hören,
1505Über den Auen
Tanzende schauen,
Die sich im Freien
Alle zerstreuen.
Einige klimmen
1510Über die Höhen,
Andere schwimmen
Über die Seen,
Andere schweben;
Alle zum Leben,
1515Alle zur Ferne
Liebender Sterne,
Seliger Huld.
MEPHISTOPHELES
Er schläft! So recht, ihr luft'gen zarten Jungen!
Ihr habt ihn treulich eingesungen!
1520Für dies Konzert bin ich in eurer Schuld.
Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten!
Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten,
1525Bedarf ich eines Rattenzahns.
Nicht lange brauch ich zu beschwören,
Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich hören.
Der Herr der Ratten und der Mäuse,
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse
1530Befiehlt dir, dich hervor zu wagen
Und diese Schwelle zu benagen,
So wie er sie mit Öl betupft —
Da kommst du schon hervorgehupft!
Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich bannte,
1535Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
Noch einen Biß, so ist's geschehn. —
Nun, Fauste, träume fort, bis wir uns wiedersehn.
FAUST
erwachend.
Bin ich denn abermals betrogen?
Verschwindet so der geisterreiche Drang,
1540Daß mir ein Traum den Teufel vorgelogen,
Und daß ein Pudel mir entsprang?
STUDIERZIMMER
Faust. Mephistopheles.
FAUST
Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen?
MEPHISTOPHELES
FAUST
MEPHISTOPHELES
1545
Du mußt es dreimal sagen.
FAUST
MEPHISTOPHELES
So gefällst du mir.
Wir werden, hoff ich, uns vertragen;
Denn dir die Grillen zu verjagen,
1550Bin ich als edler Junker hier,
In rotem, goldverbrämtem Kleide,
Das Mäntelchen von starrer Seide,
Die Hahnenfeder auf dem Hut,
Mit einem langen, spitzen Degen,
1555Und rate nun dir, kurz und gut,
Dergleichen gleichfalls anzulegen;
Damit du, losgebunden, frei,
Erfahrest, was das Leben sei.
FAUST
In jedem Kleide werd ich wohl die Pein
1560Des engen Erdelebens fühlen.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
Zu jung, um ohne Wunsch zu sein.
Was kann die Welt mir wohl gewähren?
Entbehren sollst du! sollst entbehren!
1565Das ist der ewige Gesang,
Der jedem an die Ohren klingt,
Den, unser ganzes Leben lang,
Uns heiser jede Stunde singt.
Nur mit Entsetzen wach ich morgens auf,
1570Ich möchte bittre Tränen weinen,
Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
Nicht einen Wunsch erfüllen wird, nicht einen,
Der selbst die Ahnung jeder Lust
Mit eigensinnigem Krittel mindert,
1575Die Schöpfung meiner regen Brust
Mit tausend Lebensfratzen hindert.
Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
Mich ängstlich auf das Lager strecken;
Auch da wird keine Rast geschenkt,
1580Mich werden wilde Träume schrecken.
Der Gott, der mir im Busen wohnt,
Kann tief mein Innerstes erregen;
Der über allen meinen Kräften thront,
Er kann nach außen nichts bewegen;
1585Und so ist mir das Dasein eine Last,
Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.
MEPHISTOPHELES
Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.
FAUST
O selig der, dem er im Siegesglanze
Die blut'gen Lorbeern um die Schläfe windet,
1590Den er, nach rasch durchrastem Tanze,
In eines Mädchens Armen findet!
O wär ich vor des hohen Geistes Kraft
Entzückt, entseelt dahin gesunken!
MEPHISTOPHELES
Und doch hat jemand einen braunen Saft,
1595In jener Nacht, nicht ausgetrunken.
FAUST
Das Spionieren, scheint's, ist deine Lust.
MEPHISTOPHELES
Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.
FAUST
Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
Ein süß bekannter Ton mich zog,
1600Den Rest von kindlichem Gefühle
Mit Anklang froher Zeit betrog,
So fluch ich allem, was die Seele
Mit Lock– und Gaukelwerk umspannt,
Und sie in diese Trauerhöhle
1605Mit Blend– und Schmeichelkräften bannt!
Verflucht voraus die hohe Meinung,
Womit der Geist sich selbst umfängt!
Verflucht das Blenden der Erscheinung,
Die sich an unsre Sinne drängt!
1610Verflucht, was uns in Träumen heuchelt,
Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
Verflucht, was als Besitz uns schmeichelt,
Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
Verflucht sei Mammon, wenn mit Schätzen
1615Er uns zu kühnen Taten regt,
Wenn er zu müßigem Ergetzen
Die Polster uns zurechte legt!
Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben!
Fluch jener höchsten Liebeshuld!
1620Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
Und Fluch vor allen der Geduld!
GEISTERCHOR
unsichtbar.
Weh! weh!
Du hast sie zerstört,
Die schöne Welt,
1625Mit mächtiger Faust;
Sie stürzt, sie zerfällt!
Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
Wir tragen
Die Trümmern ins Nichts hinüber,
1630Und klagen
Über die verlorne Schöne.
Mächtiger
Der Erdensöhne,
Prächtiger
1635Baue sie wieder,
In deinem Busen baue sie auf!
Neuen Lebenslauf
Beginne,
Mit hellem Sinne,
1640Und neue Lieder
Tönen darauf!
MEPHISTOPHELES
Dies sind die Kleinen
Von den Meinen.
Höre, wie zu Lust und Taten
1645Altklug sie raten!
In die Welt weit,
Aus der Einsamkeit,
Wo Sinnen und Säfte stocken,
Wollen sie dich locken.
1650Hör auf, mit deinem Gram zu spielen,
Der, wie ein Geier, dir am Leben frißt;
Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen,
Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
Doch so ist's nicht gemeint,
1655Dich unter das Pack zu stoßen.
Ich bin keiner von den Großen;
Doch willst du, mit mir vereint,
Deine Schritte durchs Leben nehmen,
So will ich mich gern bequemen,
1660Dein zu sein, auf der Stelle.
Ich bin dein Geselle,
Und mach ich dir's recht,
Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!
FAUST
Und was soll ich dagegen dir erfüllen?
MEPHISTOPHELES
1665
Dazu hast du noch eine lange Frist.
FAUST
Nein, nein! der Teufel ist ein Egoist
Und tut nicht leicht um Gottes willen,
Was einem andern nützlich ist.
Sprich die Bedingung deutlich aus;
1670Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.
MEPHISTOPHELES
Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
Wenn wir uns drüben wiederfinden,
So sollst du mir das gleiche tun.
FAUST
1675
Das Drüben kann mich wenig kümmern;
Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
Die andre mag darnach entstehn.
Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
1680Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
Dann mag, was will und kann, geschehn.
Davon will ich nichts weiter hören,
Ob man auch künftig haßt und liebt,
Und ob es auch in jenen Sphären
1685Ein Oben oder Unten gibt.
MEPHISTOPHELES
In diesem Sinne kannst du's wagen.
Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
Mit Freuden meine Künste sehn,
Ich gebe dir, was noch kein Mensch gesehn.
FAUST
1690
Was willst du armer Teufel geben?
Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
Von deinesgleichen je gefaßt?
Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast
Du rotes Gold, das ohne Rast,
1695Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt,
Ein Mädchen, das an meiner Brust
Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
Der Ehre schöne Götterlust,
1700Die, wie ein Meteor, verschwindet?
Zeig mir die Frucht, die fault, eh man sie bricht,
Und Bäume, die sich täglich neu begrünen!
MEPHISTOPHELES
Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
1705Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran,
Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen.
FAUST
Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
1710Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen,
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet ich!
MEPHISTOPHELES
FAUST
1715
Und Schlag auf Schlag!
Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!
1720Dann mag die Totenglocke schallen,
Dann bist du deines Dienstes frei,
Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
Es sei die Zeit für mich vorbei!
MEPHISTOPHELES
Bedenk es wohl, wir werden's nicht vergessen.
FAUST
1725
Dazu hast du ein volles Recht;
Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
Wie ich beharre, bin ich Knecht,
Ob dein, was frag ich, oder wessen.
MEPHISTOPHELES
Ich werde heute gleich, beim Doktorschmaus,
1730Als Diener meine Pflicht erfüllen.
Nur eins! — Um Lebens oder Sterbens willen
Bitt ich mir ein paar Zeilen aus.
FAUST
Auch was Geschriebnes forderst du Pedant?
Hast du noch keinen Mann, nicht Manneswort gekannt?
1735Ist's nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
Und mich soll ein Versprechen halten?
Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
1740Wer mag sich gern davon befreien?
Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt,
Kein Opfer wird ihn je gereuen!
Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
Ist ein Gespenst, vor dem sich alle scheuen.
1745Das Wort erstirbt schon in der Feder,
Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
Was willst du böser Geist von mir?
Erz, Marmor, Pergament, Papier?
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
1750Ich gebe jede Wahl dir frei.
MEPHISTOPHELES
Wie magst du deine Rednerei
Nur gleich so hitzig übertreiben?
Ist doch ein jedes Blättchen gut.
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
FAUST
1755Wenn dies dir völlig G'nüge tut,
So mag es bei der Fratze bleiben.
MEPHISTOPHELES
Blut ist ein ganz besondrer Saft.
FAUST
Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche!
Das Streben meiner ganzen Kraft
1760Ist grade das, was ich verspreche.
Ich habe mich zu hoch gebläht,
In deinen Rang gehör ich nur.
Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur.
1765Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
1770Sei jedes Wunder gleich bereit!
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit,
Ins Rollen der Begebenheit!
Da mag denn Schmerz und Genuß,
Gelingen und Verdruß
1775Miteinander wechseln, wie es kann;
Nur rastlos betätigt sich der Mann.
MEPHISTOPHELES
Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
Beliebt's Euch, überall zu naschen,
Im Fliehen etwas zu erhaschen,
1780Bekomm Euch wohl, was Euch ergetzt.
Nur greift mir zu und seid nicht blöde!
FAUST
Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede.
Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
1785Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
1790Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
Und, wie sie selbst, am End auch ich zerscheitern.
MEPHISTOPHELES
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
1795Daß von der Wiege bis zur Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
Glaub unsereinem, dieses Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in einem ew'gen Glanze,
1800Uns hat er in die Finsternis gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
FAUST
MEPHISTOPHELES
Das läßt sich hören!
Doch nur vor einem ist mir bang:
1805Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
Ich dächt, ihr ließet Euch belehren.
Assoziiert Euch mit einem Poeten,
Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
Und alle edlen Qualitäten
1810Auf Euren Ehrenscheitel häufen,
Des Löwen Mut,
Des Hirsches Schnelligkeit,
Des Italieners feurig Blut,
Des Nordens Dau'rbarkeit.
1815Laßt ihn Euch das Geheimnis finden,
Großmut und Arglist zu verbinden,
Und Euch, mit warmen Jugendtrieben,
Nach einem Plane zu verlieben.
Möchte selbst solch einen Herren kennen,
1820Würd ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
FAUST
Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist,
Der Menschheit Krone zu erringen,
Nach der sich alle Sinne dringen?
MEPHISTOPHELES
Du bist am Ende — was du bist.
1825Setz dir Perücken auf von Millionen Locken,
Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer, was du bist.
FAUST
Ich fühl's, vergebens hab ich alle Schätze
Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
1830Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
Bin dem Unendlichen nicht näher.
MEPHISTOPHELES
Mein guter Herr, Ihr seht die Sachen,
1835Wie man die Sachen eben sieht;
Wir müssen das gescheiter machen,
Eh uns des Lebens Freude flieht.
Was Henker! freilich Händ' und Füße
Und Kopf und Hintern, die sind dein;
1840Doch alles, was ich frisch genieße,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
1845Als hätt ich vierundzwanzig Beine.
Drum frisch! Laß alles Sinnen sein,
Und grad mit in die Welt hinein!
Ich sag es dir: ein Kerl, der spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
1850Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
FAUST
MEPHISTOPHELES
Wir gehen eben fort. Was ist das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben führen,
1855Sich und die Jungens ennuyieren?
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
Das Beste, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
1860Gleich hör ich einen auf dem Gange!
FAUST
Mir ist's nicht möglich, ihn zu sehn.
MEPHISTOPHELES
Der arme Knabe wartet lange,
Der darf nicht ungetröstet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
1865Die Maske muß mir köstlich stehn.
Er kleidet sich um.
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
Faust ab.
MEPHISTOPHELES
in Fausts langem Kleide.
1870Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend– und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab ich dich schon unbedingt —
1875Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen übereiltes Streben
Der Erde Freuden überspringt.
Den schlepp ich durch das wilde Leben,
1880Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis und Trank vor gier'gen Lippen schweben;
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
1885Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zugrunde gehn!
Ein SCHÜLER tritt auf.
SCHÜLER
Ich bin allhier erst kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,
Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
1890Den alle mir mit Ehrfucht nennen.
MEPHISTOPHELES
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt Ihr Euch sonst schon umgetan?
SCHÜLER
Ich bitt Euch, nehmt Euch meiner an!
1895Ich komme mit allem guten Mut,
Leidlichem Geld und frischem Blut;
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
Möchte gern was Rechts hieraußen lernen.
MEPHISTOPHELES
Da seid Ihr eben recht am Ort.
SCHÜLER
1900
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
In diesen Mauern, diesen Hallen
Will es mir keineswegs gefallen.
Es ist ein gar beschränkter Raum,
Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
1905Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
MEPHISTOPHELES
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
Nicht gleich im Anfang willig an,
1910Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird's Euch an der Weisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten.
SCHÜLER
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
MEPHISTOPHELES
1915
Erklärt Euch, eh Ihr weiter geht,
Was wählt Ihr für eine Fakultät?
SCHÜLER
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden
Und in dem Himmel ist, erfassen,
1920Die Wissenschaft und die Natur.
MEPHISTOPHELES
Da seid Ihr auf der rechten Spur;
Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen.
SCHÜLER
Ich bin dabei mit Seel und Leib;
Doch freilich würde mir behagen
1925Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
An schönen Sommerfeiertagen.
MEPHISTOPHELES
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen.
Mein teurer Freund, ich rat Euch drum
1930Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fortan
1935Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
Irrlichteliere hin und her.
Dann lehret man Euch manchen Tag,
Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag
1940Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei.
Zwar ist's mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
1945Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
Der Philosoph, der tritt herein
Und beweist Euch, es müßt so sein:
1950Das Erst wär so, das Zweite so,
Und drum das Dritt und Vierte so;
Und wenn das Erst und Zweit nicht wär,
Das Dritt und Viert wär nimmermehr.
Das preisen die Schüler allerorten,
1955Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
1960Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
SCHÜLER
Kann Euch nicht eben ganz verstehen.
MEPHISTOPHELES
Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn Ihr lernt alles reduzieren
1965Und gehörig klassifizieren.
SCHÜLER
Mir wird von alledem so dumm,
Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.
MEPHISTOPHELES
Nachher, vor allen andern Sachen,
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
1970Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
1975Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag;
Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
Habt Euch vorher wohl präpariert,
Paragraphos wohl einstudiert,
1980Damit Ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
Als diktiert' Euch der Heilig Geist!
SCHÜLER
Das sollt Ihr mir nicht zweimal sagen!
1985Ich denke mir, wie viel es nützt;
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.
MEPHISTOPHELES
Doch wählt mir eine Fakultät!
SCHÜLER
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.
MEPHISTOPHELES
1990Ich kann es Euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß, wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz' und Rechte
Wie eine ew'ge Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1995Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.
SCHÜLER
2000
Mein Abscheu wird durch Euch vermehrt.
O glücklich der, den Ihr belehrt!
Fast möcht ich nun Theologie studieren.
MEPHISTOPHELES
Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
2005Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzenei ist's kaum zu unterscheiden.
Am besten ist's auch hier, wenn Ihr nur einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
2010Im Ganzen — haltet Euch an Worte!
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
SCHÜLER
Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.
MEPHISTOPHELES
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen
2015Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
2020Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
SCHÜLER
Verzeiht, ich halt Euch auf mit vielen Fragen,
Allein ich muß Euch noch bemühn.
Wollt Ihr mir von der Medizin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2025Drei Jahr ist eine kurze Zeit,
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
Läßt sich's schon eher weiter fühlen.
MEPHISTOPHELES
für sich.
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2030Muß wieder recht den Teufel spielen.
Laut.
Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudiert die groß, und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
2035Wie's Gott gefällt.
Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann;
Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
2040Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut,
An Kühnheit wird's Euch auch nicht fehlen,
Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
Vertrauen Euch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen;
2045Es ist ihr ewig Weh und Ach
So tausendfach
Aus einem Punkte zu kurieren,
Und wenn Ihr halbweg ehrbar tut,
Dann habt Ihr sie all' unterm Hut.
2050Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt;
Zum Willkomm tappt Ihr dann nach allen Siebensachen,
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
2055Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
Wohl um die schlanke Hüfte frei,
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.
SCHÜLER
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch, wo und wie.
MEPHISTOPHELES
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,
2060Und grün des Lebens goldner Baum.
SCHÜLER
Ich schwör Euch zu, mir ist's als wie ein Traum.
Dürft ich Euch wohl ein andermal beschweren,
Von Eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
MEPHISTOPHELES
Was ich vermag, soll gern geschehn.
SCHÜLER
2065
Ich kann unmöglich wieder gehn,
Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen,
Gönn Eure Gunst mir dieses Zeichen!
MEPHISTOPHELES
Er schreibt und gibt's.
SCHÜLER
liest.
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.
Macht's ehrerbietig zu und empfiehlt sich.
MEPHISTOPHELES
2070
Folg nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange,
Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!
Faust tritt auf.
FAUST
MEPHISTOPHELES
Wohin es dir gefällt.
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
2075Mit welcher Freude, welchem Nutzen
Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
FAUST
Allein bei meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
2080Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken.
Vor andern fühl ich mich so klein;
Ich werde stets verlegen sein.
MEPHISTOPHELES
Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
FAUST
2085
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?
MEPHISTOPHELES
Wir breiten nur den Mantel aus,
Der soll uns durch die Lüfte tragen.
Du nimmst bei diesem kühnen Schritt
2090Nur keinen großen Bündel mit.
Ein bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
Hebt uns behend von dieser Erde.
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
Ich gratuliere dir zum neuen Lebenslauf!
AUERBACHAS KELLER IN LEIPZIG
Zeche lustiger Gesellen.
FROSCH
2095
Will keiner trinken? keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!
Ihr seid ja heut wie nasses Stroh,
Und brennt sonst immer lichterloh.
BRANDER
Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbei,
2100Nicht eine Dummheit, keine Sauerei.
FROSCH
gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf.
BRANDER
FROSCH
Ihr wollt es ja, man soll es sein!
SIEBEL
Zur Tür hinaus, wer sich entzweit!
2105Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreit!
Auf! Holla! Ho!
ALTMAYER
Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.
SIEBEL
Wenn das Gewölbe widerschallt,
2110Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.
FROSCH
So recht, hinaus mit dem, der etwas übel nimmt!
A! tara lara da!
ALTMAYER
FROSCH
Die Kehlen sind gestimmt.
2115Singt.
Das liebe Heil'ge Röm'sche Reich,
Wie hält's nur noch zusammen?
BRANDER
Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen,
2120Daß ihr nicht braucht fürs Röm'sche Reich zu sorgen!
Ich halt es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
Wir wollen einen Papst erwählen.
2125Ihr wißt, welch eine Qualität
Den Ausschlag gibt, den Mann erhöht.
FROSCH
singt.
Schwing dich auf, Frau Nachtigall,
Grüß mir mein Liebchen zehentausendmal.
SIEBEL
Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!
FROSCH
2130
Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir's nicht verwehren!
Singt.
Riegel auf! in stiller Nacht.
Riegel auf! der Liebste wacht.
Riegel zu! des Morgens früh.
SIEBEL
Ja, singe, singe nur und lob und rühme sie!
2135Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
Sie hat mich angeführt, dir wird sie's auch so machen.
Zum Liebsten sei ein Kobold ihr beschert!
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
2140Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
Ist für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wissen,
Als ihr die Fenster eingeschmissen.
BRANDER
auf den Tisch schlagend.
2145Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
Ihr Herrn, gesteht, ich weiß zu leben;
Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum besten geben.
2150Gebt acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
Und singt den Rundreim kräftig mit!
Er singt.
Es war eine Ratt im Kellernest,
Lebte nur von Fett und Butter,
2155Hatte sich ein Ränzlein angemäst't,
Als wie der Doktor Luther.
Die Köchin hatt ihr Gift gestellt;
Da ward's so eng ihr in der Welt,
Als hätte sie Lieb im Leibe.
CHORUS
jauchzend.
2160
Als hätte sie Lieb im Leibe.
BRANDER
Sie fuhr herum, sie fuhr heraus,
Und soff aus allen Pfützen,
Zernagt', zerkratzt' das ganze Haus,
Wollte nichts ihr Wüten nützen;
2165Sie tät gar manchen Ängstesprung,
Bald hatte das arme Tier genung,
Als hätt es Lieb im Leibe.
CHORUS
Als hätt es Lieb im Leibe.
BRANDER
Sie kam vor Angst am hellen Tag
2170Der Küche zugelaufen,
Fiel an den Herd und zuckt, und lag,
Und tät erbärmlich schnaufen.
Da lachte die Vergifterin noch:
Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch,
2175Als hätte sie Lieb im Leibe.
CHORUS
Als hätte sie Lieb im Leibe.
SIEBEL
Wie sich die platten Bursche freuen!
Es ist mir eine rechte Kunst,
Den armen Ratten Gift zu streuen!
BRANDER
2180
Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?
ALTMAYER
Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
Das Unglück macht ihn zahm und mild;
Er sieht in der geschwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild.
Faust und Mephistopheles treten auf.
MEPHISTOPHELES
2185
Ich muß dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
Damit du siehst, wie leicht sich's leben läßt.
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
2190Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
So lang der Wirt nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.
BRANDER
2195
Die kommen eben von der Reise,
Man sieht's an ihrer wunderlichen Weise;
Sie sind nicht eine Stunde hier.
FROSCH
Wahrhaftig, du hast recht! Mein Leipzig lob ich mir!
Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.
SIEBEL
2200
Für was siehst du die Fremden an?
FROSCH
Laß mich nur gehn! Bei einem vollen Glase
Zieh ich, wie einen Kinderzahn,
Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
2205Sie sehen stolz und unzufrieden aus.
BRANDER
Marktschreier sind's gewiß, ich wette!
ALTMAYER
FROSCH
Gib acht, ich schraube sie!
MEPHISTOPHELES
zu Faust.
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
2210Und wenn er sie beim Kragen hätte.
FAUST
Seid uns gegrüßt, ihr Herrn!
SIEBEL
Viel Dank zum Gegengruß.
Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend.
Was hinkt der Kerl auf einem Fuß?
MEPHISTOPHELES
2215Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
Soll die Gesellschaft uns ergetzen.
ALTMAYER
Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.
FROSCH
Ihr seid wohl spät von Rippach aufgebrochen?
2220Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeist?
MEPHISTOPHELES
Heut sind wir ihn vorbeigereist!
Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
Von seinen Vettern wußt er viel zu sagen,
Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
Er neigt sich gegen Frosch.
ALTMAYER
leise.
2225
Da hast du's! der versteht's!
SIEBEL
FROSCH
Nun, warte nur, ich krieg ihn schon!
MEPHISTOPHELES
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus singen?
2230Gewiß, Gesang muß trefflich hier
Von dieser Wölbung widerklingen!
FROSCH
Seid Ihr wohl gar ein Virtuos?
MEPHISTOPHELES
O nein! die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.
ALTMAYER
MEPHISTOPHELES
2235
Wenn ihr begehrt, die Menge.
SIEBEL
Nur auch ein nagelneues Stück!
MEPHISTOPHELES
Wir kommen erst aus Spanien zurück,
Dem schönen Land des Weins und der Gesänge.
Singt.
2240Es war einmal ein König,
Der hatt' einen großen Floh —
FROSCH
Horcht! Einen Floh! Habt ihr das wohl gefaßt?
Ein Floh ist mir ein saubrer Gast.
MEPHISTOPHELES
singt.
Es war einmal ein König
2245Der hatt' einen großen Floh,
Den liebt' er gar nicht wenig,
Als wie seinen eignen Sohn.
Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran:
2250Da, miß dem Junker Kleider
Und miß ihm Hosen an!
BRANDER
Vergeßt nur nicht, dem Schneider einzuschärfen,
Daß er mir aufs genauste mißt,
Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
2255Die Hosen keine Falten werfen!
MEPHISTOPHELES
In Sammet und in Seide
War er nun angetan,
Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt' auch ein Kreuz daran,
2260Und war sogleich Minister,
Und hatt' einen großen Stern.
Da wurden seine Geschwister
Bei Hof auch große Herrn.
Und Herrn und Fraun am Hofe,
2265Die waren sehr geplagt,
Die Königin und die Zofe
Gestochen und genagt,
Und durften sie nicht knicken,
Und weg sie jucken nicht.
2270Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.
CHORUS
jauchzend.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.
FROSCH
Bravo! Bravo! Das war schön!
SIEBEL
2275
So soll es jedem Floh ergehn!
BRANDER
Spitzt die Finger und packt sie fein!
ALTMAYER
Es lebe die Freiheit! Es lebe der Wein!
MEPHISTOPHELES
Ich tränke gern ein Glas, die Freiheit hoch zu ehren,
Wenn eure Weine nur ein bißchen besser wären.
SIEBEL
2280
Wir mögen das nicht wieder hören!
MEPHISTOPHELES
Ich fürchte nur, der Wirt beschweret sich;
Sonst gäb ich diesen werten Gästen
Aus unserm Keller was zum besten.
SIEBEL
Nur immer her! ich nehm's auf mich.
FROSCH
2285Schafft Ihr ein gutes Glas, so wollen wir Euch loben.
Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
Denn wenn ich judizieren soll,
Verlang ich auch das Maul recht voll.
ALTMAYER
leise.
Sie sind vom Rheine, wie ich spüre.
MEPHISTOPHELES
2290
Schafft einen Bohrer an!
BRANDER
Was soll mit dem geschehn?
Ihr habt doch nicht die Fässer vor der Türe?
ALTMAYER
Dahinten hat der Wirt ein Körbchen Werkzeug stehn.
MEPHISTOPHELES
nimmt den Bohrer. Zu Frosch.
Nun sagt, was wünschet Ihr zu schmecken?
FROSCH
2295
Wie meint Ihr das? Habt Ihr so mancherlei?
MEPHISTOPHELES
Ich stell es einem jeden frei.
ALTMAYER
zu Frosch.
Aha! du fängst schon an, die Lippen abzulecken.
FROSCH
Gut! wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.
Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.
MEPHISTOPHELES
indem er an dem Platz, wo Frosch sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt.
2300
Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu machen!
ALTMAYER
Ach, das sind Taschenspielersachen.
MEPHISTOPHELES
zu Brander.
BRANDER
Ich will Champagner Wein,
Und recht moussierend soll er sein!
Mephistopheles bohrt; einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.
BRANDER
2305Man kann nicht stets das Fremde meiden,
Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.
SIEBEL
indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert.
Ich muß gestehn, den sauern mag ich nicht,
2310Gebt mir ein Glas vom echten süßen!
MEPHISTOPHELES
bohrt.
Euch soll sogleich Tokayer fließen.
ALTMAYER
Nein, Herren, seht mir ins Gesicht!
Ich seh es ein, ihr habt uns nur zum besten.
MEPHISTOPHELES
Ei! Ei! Mit solchen edlen Gästen
2315Wär es ein bißchen viel gewagt.
Geschwind! Nur grad heraus gesagt!
Mit welchem Weine kann ich dienen?
ALTMAYER
Mit jedem! Nur nicht lang gefragt.
Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind.
MEPHISTOPHELES
mit seltsamen Gebärden.
Trauben trägt der Weinstock!
2320Hörner der Ziegenbock;
Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!
Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
2325Nun zieht die Pfropfen und genießt!
ALLE
indem sie die Pfropfen ziehen und jedem der verlangte Wein ins Glas läuft.
O schöner Brunnen, der uns fließt!
MEPHISTOPHELES
Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt!
Sie trinken wiederholt.
ALLE
singen.
Uns ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie fünfhundert Säuen!
MEPHISTOPHELES
2330
Das Volk ist frei, seht an, wie wohl's ihm geht!
FAUST
Ich hätte Lust, nun abzufahren.
MEPHISTOPHELES
Gib nur erst acht, die Bestialität
Wird sich gar herrlich offenbaren.
SIEBEL
trinkt unvorsichtig, der Wein fließt auf die Erde und wird zur Flamme.
Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt!
MEPHISTOPHELES
die Flamme besprechend.
2335
Sei ruhig, freundlich Element!
Zu den Gesellen.
Für diesmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.
SIEBEL
Was soll das sein? Wart! Ihr bezahlt es teuer!
Es scheinet, daß Ihr uns nicht kennt.
FROSCH
2340
Laß Er uns das zum zweiten Male bleiben!
ALTMAYER
Ich dächt, wir hießen ihn ganz sachte seitwärts gehn.
SIEBEL
Was, Herr? Er will sich unterstehn,
Und hier sein Hokuspokus treiben?
MEPHISTOPHELES
SIEBEL
2345
Besenstiel! Du willst uns gar noch grob begegnen?
BRANDER
Wart nur, es sollen Schläge regnen!
ALTMAYER
zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen.
SIEBEL
Zauberei!
Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrei!
Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.
MEPHISTOPHELES
mit ernsthafter Gebärde.
2350
Falsch Gebild und Wort
Verändern Sinn und Ort!
Seid hier und dort!
Sie stehn erstaunt und sehn einander an.
ALTMAYER
Wo bin ich? Welches schöne Land!
FROSCH
Weinberge! Seh ich recht?
SIEBEL
2355
Und Trauben gleich zur Hand!
BRANDER
Hier unter diesem grünen Laube,
Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
Er faßt Siebeln bei der Nase. Die andern tun es wechselseitig und heben die Messer.
MEPHISTOPHELES
wie oben.
Irrtum, laß los der Augen Band!
Und merkt euch, wie der Teufel spaße.
Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren auseinander.
SIEBEL
ALTMAYER
FROSCH
BRANDER
zu Siebel.
Und deine hab ich in der Hand!
ALTMAYER
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
2365Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!
FROSCH
Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?
FROSCH
Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre,
Er soll mir nicht lebendig gehn!
ALTMAYER
Ich hab ihn selbst hinaus zur Kellertüre —
2370Auf einem Fasse reiten sehn — —
Es liegt mir bleischwer in den Füßen.
Sich nach dem Tische wendend.
Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?
SIEBEL
Betrug war alles, Lug und Schein.
FROSCH
2375
Mir deuchte doch, als tränk ich Wein.
BRANDER
Aber wie war es mit den Trauben?
ALTMAYER
Nun sag mir eins, man soll kein Wunder glauben!
HEXENKÜCHE
Auf einem niedrigen Herd steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bei dem Kessel und schäumt ihn und sorgt, daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrat geschmückt.
Faust. Mephistopheles.
FAUST
Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
Versprichst du mir, ich soll genesen
2380In diesem Wust von Raserei?
Verlang ich Rat von einem alten Weibe?
Und schafft die Sudelköcherei
Wohl dreißig Jahre mir vom Leibe?
Weh mir, wenn du nichts Bessers weißt!
2385Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
Hat die Natur und hat ein edler Geist
Nicht irgendeinen Balsam ausgefunden?
MEPHISTOPHELES
Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
Dich zu verjüngen, gibt's auch ein natürlich Mittel;
2390Allein es steht in einem andern Buch,
Und ist ein wunderlich Kapitel.
FAUST
MEPHISTOPHELES
Gut! Ein Mittel, ohne Geld
Und Arzt und Zauberei zu haben:
2395Begib dich gleich hinaus aufs Feld,
Fang an zu hacken und zu graben
Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beschränkten Kreise,
Ernähre dich mit ungemischter Speise,
2400Leb mit dem Vieh als Vieh, und acht es nicht für Raub,
Den Acker, den du erntest, selbst zu düngen;
Das ist das beste Mittel, glaub,
Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen!
FAUST
Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen,
2405Den Spaten in die Hand zu nehmen.
Das enge Leben steht mir gar nicht an.
MEPHISTOPHELES
So muß denn doch die Hexe dran.
FAUST
Warum denn just das alte Weib!
Kannst du den Trank nicht selber brauen?
MEPHISTOPHELES
2410
Das wär ein schöner Zeitvertreib!
Ich wollt indes wohl tausend Brücken bauen.
Nicht Kunst und Wissenschaft allein,
Geduld will bei dem Werke sein.
Ein stiller Geist ist jahrelang geschäftig,
2415Die Zeit nur macht die feine Gärung kräftig.
Und alles, was dazu gehört,
Es sind gar wunderbare Sachen!
Der Teufel hat sie's zwar gelehrt;
Allein der Teufel kann's nicht machen.
2420Die Tiere erblickend.
Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
Das ist die Magd! das ist der Knecht!
Zu den Tieren.
Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?
DIE TIERE
2425
Beim Schmause,
Aus dem Haus
Zum Schornstein hinaus!
MEPHISTOPHELES
Wie lange pflegt sie wohl zu schwärmen?
DIE TIERE
So lange wir uns die Pfoten wärmen.
MEPHISTOPHELES
zu Faust.
2430
Wie findest du die zarten Tiere?
FAUST
So abgeschmackt, als ich nur jemand sah!
MEPHISTOPHELES
Nein, ein Discours wie dieser da
Ist grade der, den ich am liebsten führe!
zu den Tieren.
2435So sagt mir doch, verfluchte Puppen,
Was quirlt ihr in dem Brei herum?
DIE TIERE
Wir kochen breite Bettelsuppen.
MEPHISTOPHELES
Da habt ihr ein groß Publikum.
DER KATER
macht sich herbei und schmeichelt dem Mephistopheles.
O würfle nur gleich,
2440Und mache mich reich,
Und laß mich gewinnen!
Gar schlecht ist's bestellt,
Und wär ich bei Geld,
So wär ich bei Sinnen.
MEPHISTOPHELES
2445
Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
Könnt er nur auch ins Lotto setzen!
Indessen haben die jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt und
rollen sie hervor.
DER KATER
Das ist die Welt;
Sie steigt und fällt
Und rollt beständig;
2450Sie klingt wie Glas
Wie bald bricht das!
Ist hohl inwendig.
Hier glänzt sie sehr,
Und hier noch mehr:
2455„Ich bin lebendig!”
Mein lieber Sohn,
Halt dich davon!
Du mußt sterben!
Sie ist von Ton,
2460Es gibt Scherben.
MEPHISTOPHELES
DER KATER
holt es herunter.
Wärst du ein Dieb,
Wollt ich dich gleich erkennen.
Er lauft zur Kätzin und läßt sie durchsehen.
2465Sieh durch das Sieb!
Erkennst du den Dieb,
Und darfst ihn nicht nennen?
MEPHISTOPHELES
sich dem Feuer nähernd.
KATER UND KÄTZIN
Der alberne Tropf!
2470Er kennt nicht den Topf,
Er kennt nicht den Kessel!
MEPHISTOPHELES
DER KATER
Den Wedel nimm hier,
Und setz dich in Sessel!
2475
Er nötigt den Mephistopheles zu sitzen.
FAUST
welcher diese Zeit über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt hat.
Was seh ich? Welch ein himmlisch Bild
Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild!
2480Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
Wenn ich es wage, nah zu gehn,
Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! —
Das schönste Bild von einem Weibe!
Ist's möglich, ist das Weib so schön?
2485Muß ich an diesem hingestreckten Leibe
Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?
So etwas findet sich auf Erden?
MEPHISTOPHELES
Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
Und selbst am Ende Bravo sagt,
2490Da muß es was Gescheites werden.
Für diesmal sieh dich immer satt;
Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
Und selig, wer das gute Schicksal hat,
Als Bräutigam sie heim zu führen!
2495Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend, fährt fort zu sprechen.
Hier sitz ich wie der König auf dem Throne,
Den Zepter halt ich hier, es fehlt nur noch die Krone.
DIE TIERE
welche bisher allerlei wunderliche Bewegungen durcheinander gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit großem Geschrei.
O sei doch so gut,
Mit Schweiß und mit Blut
2500Die Krone zu leimen!
Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwei Stücke, mit welchen sie herumspringen.
Nun ist es geschehn!
Wir reden und sehn,
Wir hören und reimen;
FAUST
gegen den Spiegel.
2505
Weh mir! ich werde schier verrückt.
MEPHISTOPHELES
auf die Tiere deutend.
Nun fängt mir an fast selbst der Kopf zu schwanken.
DIE TIERE
Und wenn es uns glückt,
Und wenn es sich schickt,
So sind es Gedanken!
FAUST
wie oben.
2510
Mein Busen fängt mir an zu brennen!
Entfernen wir uns nur geschwind!
MEPHISTOPHELES
in obiger Stellung.
Nun, wenigstens muß man bekennen,
Daß es aufrichtige Poeten sind.
Der Kessel, welchen die Kätzin bisher außer acht gelassen, fängt an überzulaufen, es entsteht eine große Flamme, welche zum Schornstein hinaus
schlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrei herunter gefahren.
DIE HEXE
Au! Au! Au! Au!
2515Verdammtes Tier! verfluchte Sau!
Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
Verfluchtes Tier!
Faust und Mephistopheles erblickend.
Was ist das hier?
2520Wer seid ihr hier?
Was wollt ihr da?
Wer schlich sich ein?
Die Feuerpein
Euch ins Gebein!
Sie fahrt mit dem Schaumlöffel in den Kessel und spritzt Flammen nach Faust, Mephistopheles und den Tieren. Die Tiere winseln.
MEPHISTOPHELES
welcher den Wedel, den er in der Hand hält, umkehrt und unter die Gläser und Töpfe schlägt.
2525
Entzwei! entzwei!
Da liegt der Brei!
Da liegt das Glas!
Es ist nur Spaß,
Der Takt, du Aas,
2530Zu deiner Melodei.
Indem die Hexe voll Grimm und Entsetzen zurücktritt.
Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!
Erkennst du deinen Herrn und Meister?
Was hält mich ab, so schlag ich zu,
2535Zerschmettre dich und deine Katzengeister!
Hast du vorm roten Wams nicht mehr Respekt?
Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
Hab ich dies Angesicht versteckt?
Soll ich mich etwa selber nennen?
DIE HEXE
2540
O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
Seh ich doch keinen Pferdefuß.
Wo sind denn Eure beiden Raben?
MEPHISTOPHELES
Für diesmal kommst du so davon;
Denn freilich ist es eine Weile schon,
2545Daß wir uns nicht gesehen haben.
Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen;
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
2550Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
Der würde mir bei Leuten schaden;
Darum bedien ich mich, wie mancher junge Mann,
Seit vielen Jahren falscher Waden.
DIE HEXE
tanzend.
Sinn und Verstand verlier ich schier,
2555Seh ich den Junker Satan wieder hier!
MEPHISTOPHELES
Den Namen, Weib, verbitt ich mir!
DIE HEXE
Warum? Was hat er Euch getan?
MEPHISTOPHELES
Er ist schon lang ins Fabelbuch geschrieben;
Allein die Menschen sind nichts besser dran,
2560Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
Ich bin ein Kavalier, wie andre Kavaliere.
Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
Sieh her, das ist das Wappen, das ich führe!
Er macht eine unanständige Gebärde.
DIE HEXE
lacht unmäßig.
2565
Ha! Ha! Das ist in Eurer Art!
Ihr seid ein Schelm, wie Ihr nur immer wart!
MEPHISTOPHELES
zu Faust.
Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
Dies ist die Art, mit Hexen umzugehn.
DIE HEXE
Nun sagt, ihr Herren, was ihr schafft.
MEPHISTOPHELES
2570Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
Doch muß ich Euch ums Ältste bitten;
Die Jahre doppeln seine Kraft.
DIE HEXE
Gar gern! Hier hab ich eine Flasche,
Aus der ich selbst zuweilen nasche,
2575Die auch nicht mehr im mindsten stinkt;
Ich will euch gern ein Gläschen geben.
Leise.
Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt
So kann er, wißt Ihr wohl, nicht eine Stunde leben.
MEPHISTOPHELES
2580
Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
Ich gönn ihm gern das Beste deiner Küche.
Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
Und gib ihm eine Tasse voll!
Die Hexe, mit seltsamen Gebärden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.
FAUST
zu Mephistopheles.
Nein, sage mir, was soll das werden?
2585Das tolle Zeug, die rasenden Gebärden,
Der abgeschmackteste Betrug,
Sind mir bekannt, verhaßt genug.
MEPHISTOPHELES
Ei Possen! Das ist nur zum Lachen;
Sei nur nicht ein so strenger Mann!
2590Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
Er nötigt Fausten, in den Kreis zu treten.
DIE HEXE
mit großer Emphase fängt an, aus dem Buche zu deklamieren.
Du mußt verstehn!
Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei laß gehn,
2595Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex,
2600Mach Sieben und Acht,
So ist's vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmaleins!
FAUST
2605
Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.
MEPHISTOPHELES
Das ist noch lange nicht vorüber,
Ich kenn es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
2610Bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
2615So schwätzt und lehrt man ungestört;
Wer will sich mit den Narrn befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.
DIE HEXE
fährt fort.
Die hohe Kraft
2620Der Wissenschaft,
Der ganzen Welt verborgen!
Und wer nicht denkt,
Dem wird sie geschenkt,
Er hat sie ohne Sorgen.
FAUST
2625
Was sagt sie uns für Unsinn vor?
Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
Mich dünkt, ich hör ein ganzes Chor
Von hunderttausend Narren sprechen.
MEPHISTOPHELES
Genug, genug, o treffliche Sibylle!
2630Gib deinen Trank herbei, und fülle
Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
Er ist ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck getan.
2635
Nur frisch hinunter! Immer zu!
Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
Bist mit dem Teufel du und du,
Und willst dich vor der Flamme scheuen?
Nun frisch hinaus! Du darfst nicht ruhn.
DIE HEXE
2640
Mög Euch das Schlückchen wohl behagen!
MEPHISTOPHELES
zur Hexe.
Und kann ich dir was zu Gefallen tun,
So darfst du mir's nur auf Walpurgis sagen.
DIE HEXE
Hier ist ein Lied! wenn Ihr's zuweilen singt,
So werdet Ihr besondre Wirkung spüren.
MEPHISTOPHELES
zu Faust.
2645Komm nur geschwind und laß dich führen;
Du mußt notwendig transpirieren,
Damit die Kraft durch Inn– und Äußres dringt.
Den edlen Müßiggang lehr ich hernach dich schätzen,
Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
2650Wie sich Cupido regt und hin und wider springt.
FAUST
Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!
Das Frauenbild war gar zu schön!
MEPHISTOPHELES
Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir sehn.
2655Leise.
Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
Bald Helenen in jedem Weibe.
STRAßE (I)
Faust. Margarete vorübergehend.
FAUST
Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?
MARGARETE
2660
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.
Sie macht sich los und ab.
FAUST
Beim Himmel, dieses Kind ist schön!
So etwas hab ich nie gesehn.
Sie ist so sitt– und tugendreich,
2665Und etwas schnippisch doch zugleich.
Der Lippe Rot, der Wange Licht,
Die Tage der Welt vergeß ich's nicht!
Wie sie die Augen niederschlägt,
Hat tief sich in mein Herz geprägt;
2670Wie sie kurz angebunden war,
Das ist nun zum Entzücken gar!
Mephistopheles tritt auf.
FAUST
Hör, du mußt mir die Dirne schaffen!
MEPHISTOPHELES
FAUST
MEPHISTOPHELES
2675Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
Der sprach sie aller Sünden frei;
Ich schlich mich hart am Stuhl vorbei,
Es ist ein gar unschuldig Ding,
Das eben für nichts zur Beichte ging;
2680Über die hab ich keine Gewalt!
FAUST
Ist über vierzehn Jahr doch alt.
MEPHISTOPHELES
Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
Der begehrt jede liebe Blum für sich,
Und dünkelt ihm, es wär kein Ehr
2685Und Gunst, die nicht zu pflücken wär;
Geht aber doch nicht immer an.
FAUST
Mein Herr Magister Lobesan,
Laß Er mich mit dem Gesetz in Frieden!
Und das sag ich Ihm kurz und gut:
2690Wenn nicht das süße junge Blut
Heut Nacht in meinen Armen ruht,
So sind wir um Mitternacht geschieden.
MEPHISTOPHELES
Bedenkt, was gehn und stehen mag!
Ich brauche wenigstens vierzehn Tag,
2695Nur die Gelegenheit auszuspüren.
FAUST
Hätt ich nur sieben Stunden Ruh,
Brauchte den Teufel nicht dazu,
So ein Geschöpfchen zu verführen.
MEPHISTOPHELES
Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;
2700Doch bitt ich, laßt's Euch nicht verdrießen:
Was hilft's, nur grade zu genießen?
Die Freud ist lange nicht so groß,
Als wenn Ihr erst herauf, herum
Durch allerlei Brimborium,
2705Das Püppchen geknetet und zugericht't
Wie's lehret manche welsche Geschicht.
FAUST
Hab Appetit auch ohne das.
MEPHISTOPHELES
Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß:
Ich sag Euch, mit dem schönen Kind
2710Geht's ein für allemal nicht geschwind.
Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
Wir müssen uns zur List bequemen.
FAUST
Schaff mir etwas vom Engelsschatz!
Führ mich an ihren Ruheplatz!
2715Schaff mir ein Halstuch von ihrer Brust,
Ein Strumpfband meiner Liebeslust!
MEPHISTOPHELES
Damit Ihr seht, daß ich Eurer Pein
Will förderlich und dienstlich sein,
Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
2720Will Euch noch heut in ihr Zimmer führen.
FAUST
Und soll sie sehn? sie haben?
MEPHISTOPHELES
Nein!
Sie wird bei einer Nachbarin sein.
Indessen könnt Ihr ganz allein
2725An aller Hoffnung künft'ger Freuden
In ihrem Dunstkreis satt Euch weiden.
FAUST
MEPHISTOPHELES
FAUST
Sorg du mir für ein Geschenk für sie!
Ab.
MEPHISTOPHELES
2730
Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssieren!
Ich kenne manchen schönen Platz
Und manchen altvergrabnen Schatz;
Ich muß ein bißchen revidieren.
Ab.
ABEND
Ein kleines reinliches Zimmer.
MARGARETE
ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.
Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt,
2735Wer heut der Herr gewesen ist!
Er sah gewiß recht wacker aus,
Und ist aus einem edlen Haus;
Das konnt ich ihm an der Stirne lesen —
Er wär auch sonst nicht so keck gewesen.
Ab.
Mephistopheles. Faust.
MEPHISTOPHELES
2740
Herein, ganz leise, nur herein!
FAUST
nach einigem Stillschweigen.
Ich bitte dich, laß mich allein!
MEPHISTOPHELES
herumspürend.
Nicht jedes Mädchen hält so rein.
Ab.
FAUST
rings aufschauend.
Willkommen, süßer Dämmerschein,
Der du dies Heiligtum durchwebst!
2745Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
Die du vom Tau der Hoffnung schmachtend lebst!
Wie atmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armut welche Fülle!
2750In diesem Kerker welche Seligkeit!
O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
Bei Freud und Schmerz im offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Väterthron
Schon eine Schar von Kindern rings gehangen!
2755Vielleicht hat, dankbar für den heil'gen Christ
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl o Mädchen, deinen Geist
Der Füll und Ordnung um mich säuseln,
2760Der mütterlich dich täglich unterweist,
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
2765Und hier!
Was faßt mich für ein Wonnegraus!
Hier möcht ich volle Stunden säumen.
Natur, hier bildetest in leichten Träumen
Den eingebornen Engel aus!
2770Hier lag das Kind! mit warmem Leben
Den zarten Busen angefüllt,
Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte sich das Götterbild!
Und du! Was hat dich hergeführt?
2775Wie innig fühl ich mich gerührt!
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
Armsel'ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang's, so grade zu genießen,
2780Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein!
2785Läg, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.
MEPHISTOPHELES
kommt.
Geschwind! ich seh sie unten kommen.
FAUST
Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!
MEPHISTOPHELES
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab's wo anders hergenommen.
2790Stellt's hier nur immer in den Schrein,
Ich schwör Euch, ihr vergehn die Sinnen;
Ich tat Euch Sächelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.
FAUST
2795
Ich weiß nicht, soll ich?
MEPHISTOPHELES
Fragt Ihr viel?
Meint Ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
Dann rat ich Eurer Lüsternheit,
Die liebe schöne Tageszeit
2800Und mir die weitre Müh zu sparen.
Ich hoff nicht, daß Ihr geizig seid!
Ich kratz den Kopf, reib an den Händen
Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.
Nur fort! geschwind!
2805Um Euch das süße junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will zu wenden;
Und Ihr seht drein,
Als solltet Ihr in den Hörsaal hinein,
Als stünden grau leibhaftig vor Euch da
2810Physik und Metaphysika!
Nur fort!
Ab.
MARGARETE
mit einer Lampe.
Es ist so schwül, so dumpfig hie
Sie macht das Fenster auf.
Und ist doch eben so warm nicht drauß.
2815Es wird mir so, ich weiß nicht wie —
Ich wollt, die Mutter käm nach Haus.
Mir läuft ein Schauer übern ganzen Leib —
Bin doch ein töricht furchtsam Weib!
Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.
2820
Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber,
2825Er leert ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
Zählt' er seine Städt' im Reich,
2830Gönnt alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.
Er saß beim Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vätersaale,
2835Dort auf dem Schloß am Meer.
Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut,
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Flut.
2840
Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer,
Die Augen täten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
2845Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne sein?
Vielleicht bracht's jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf.
Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
2850Ich denke wohl, ich mach es auf!
Was ist das? Gott im Himmel! Schau,
So was hab ich mein Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt eine Edelfrau
Am höchsten Feiertage gehn.
2855Wie sollte mir die Kette stehn?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?
Wenn nur die Ohrring meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
2860Das ist wohl alles schön und gut,
Allein man läßt's auch alles sein;
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
2865Doch alles. Ach wir Armen!
SPAZIERGANG
Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.
MEPHISTOPHELES
Bei aller verschmähten Liebe! Beim höllischen Elemente!
Ich wollt, ich wüßte was Ärgers, daß ich's fluchen könnte!
FAUST
Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
So kein Gesicht sah ich in meinem Leben!
MEPHISTOPHELES
2870
Ich möcht mich gleich dem Teufel übergeben,
Wenn ich nur selbst kein Teufel wär!
FAUST
Hat sich dir was im Kopf verschoben?
Dich kleidet's wie ein Rasender zu toben!
MEPHISTOPHELES
Denkt nur, den Schmuck, für Gretchen angeschafft,
2875Den hat ein Pfaff hinweggerafft! —
Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
Gleich fängt's ihr heimlich an zu grauen,
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch,
2880Und riecht's einem jeden Möbel an,
Ob das Ding heilig ist oder profan;
Und an dem Schmuck da spürt, sie's klar,
Daß dabei nicht viel Segen war.
Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
2885Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
Wollen's der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
Margretlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht sie, ein geschenkter Gaul,
2890Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
Der ihn so fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen.
2895Er sprach: So ist man recht gesinnt!
Wer überwindet, der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen
Und doch noch nie sich übergessen;
2900Die Kirch allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.
FAUST
Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud und König kann es auch.
MEPHISTOPHELES
Strich drauf ein Spange, Kett und Ring',
2905Als wären's eben Pfifferling',
Dankt' nicht weniger und nicht mehr,
Als ob's ein Korb voll Nüsse wär,
Versprach ihnen allen himmlischen Lohn —
Und sie waren sehr erbaut davon.
FAUST
MEPHISTOPHELES
Sitzt nun unruhvoll,
Weiß weder, was sie will noch soll,
Denkt ans Geschmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den, der's ihr gebracht.
FAUST
2915
Des Liebchens Kummer tut mir leid.
Schaff du ihr gleich ein neu Geschmeid!
Am ersten war ja so nicht viel.
MEPHISTOPHELES
O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!
FAUST
Und mach, und richt's nach meinem Sinn,
2920Häng dich an ihre Nachbarin!
Sei, Teufel, doch nur nicht wie Brei,
Und schaff einen neuen Schmuck herbei!
MEPHISTOPHELES
Ja, gnäd'ger Herr, von Herzen gerne.
Faust ab.
So ein verliebter Tor verpufft
2925Euch Sonne, Mond und alle Sterne
Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
Ab.
DER NACHBARIN HAUS
MARTHE
allein.
Gott verzeih's meinem lieben Mann,
Er hat an mir nicht wohl getan!
Geht da stracks in die Welt hinein,
2930Und läßt mich auf dem Stroh allein.
Tät ihn doch wahrlich nicht betrüben,
Tät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
Sie weint.
Vielleicht ist er gar tot! — O Pein! — —
2935
Hätt ich nur einen Totenschein!
Margarete kommt.
MARGARETE
MARTHE
MARGARETE
Fast sinken mir die Kniee nieder!
Da find ich so ein Kästchen wieder
2940In meinem Schrein, von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher, als das erste war.
MARTHE
Das muß Sie nicht der Mutter sagen;
Tät's wieder gleich zur Beichte tragen.
MARGARETE
2945
Ach seh Sie nur! ach schau Sie nur!
MARTHE
putzt sie auf.
O du glücksel'ge Kreatur!
MARGARETE
Darf mich, leider, nicht auf der Gassen,
Noch in der Kirche mit sehen lassen.
MARTHE
Komm du nur oft zu mir herüber,
2950Und leg den Schmuck hier heimlich an;
Spazier ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
Wir haben unsre Freude dran;
Und dann gibt's einen Anlaß, gibt's ein Fest,
Wo man's so nach und nach den Leuten sehen läßt.
2955Ein Kettchen erst, die Perle dann ins Ohr;
Die Mutter sieht's wohl nicht, man macht ihr auch was vor.
MARGARETE
Wer konnte nur die beiden Kästchen bringen?
Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
Ach Gott! mag das meine Mutter sein?
MARTHE
durchs Vorhängel guckend.
2960
Es ist ein fremder Herr — Herein!
Mephistopheles tritt auf.
MEPHISTOPHELES
Bin so frei, grad hereinzutreten,
Muß bei den Frauen Verzeihn erbeten.
Tritt ehrerbietig vor Margareten zurück.
Wollte nach Frau Marthe Schwerdtlein fragen!
MARTHE
2965
Ich bin's, was hat der Herr zu sagen?
MEPHISTOPHELES
leise zu ihr.
Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
Sie hat da gar vornehmen Besuch.
Verzeiht die Freiheit, die ich genommen,
Will Nachmittage wiederkommen.
MARTHE
lacht.
2970
Denk, Kind, um alles in der Welt!
Der Herr dich für ein Fräulein hält.
MARGARETE
Ich bin ein armes junges Blut;
Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.
MEPHISTOPHELES
2975
Ach, es ist nicht der Schmuck allein;
Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
Wie freut mich's, daß ich bleiben darf.
MARTHE
Was bringt Er denn? Verlange sehr —
MEPHISTOPHELES
Ich wollt, ich hätt eine frohere Mär!
2980Ich hoffe, Sie läßt mich's drum nicht büßen:
Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen.
MARTHE
Ist tot? das treue Herz! O weh!
Mein Mann ist tot! Ach ich vergeh!
MARGARETE
Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!
MEPHISTOPHELES
2985
So hört die traurige Geschicht!
MARGARETE
Ich möchte drum mein' Tag' nicht lieben,
Würde mich Verlust zu Tode betrüben.
MEPHISTOPHELES
Freud muß Leid, Leid muß Freude haben.
MARTHE
Erzählt mir seines Lebens Schluß!
MEPHISTOPHELES
2990Er liegt in Padua begraben
Beim heiligen Antonius,
An einer wohlgeweihten Stätte
Zum ewig kühlen Ruhebette.
MARTHE
Habt Ihr sonst nichts an mich zu bringen?
MEPHISTOPHELES
2995
Ja, eine Bitte, groß und schwer:
Laß Sie doch ja für ihn dreihundert Messen singen!
Im übrigen sind meine Taschen leer.
MARTHE
Was! nicht ein Schaustück? kein Geschmeid?
Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
3000Zum Angedenken aufbewahrt,
Und lieber hungert, lieber bettelt!
MEPHISTOPHELES
Madam, es tut mir herzlich leid;
Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
Auch er bereute seine Fehler sehr,
3005Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.
MARGARETE
Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
Gewiß, ich will für ihn manch Requiem noch beten.
MEPHISTOPHELES
Ihr wäret wert, gleich in die Eh zu treten:
Ihr seid ein liebenswürdig Kind.
MARGARETE
3010
Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.
MEPHISTOPHELES
Ist's nicht ein Mann, sei's derweil ein Galan.
's ist eine der größten Himmelsgaben,
So ein lieb Ding im Arm zu haben.
MARGARETE
Das ist des Landes nicht der Brauch.
MEPHISTOPHELES
3015
Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.
MARTHE
MEPHISTOPHELES
Ich stand an seinem Sterbebette,
Es war was besser als von Mist,
Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,
3020Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
„Wie”, rief er, „muß ich mich von Grund aus hassen,
So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
Ach, die Erinnrung tötet mich.
Vergäb sie mir nur noch in diesem Leben!”
MARTHE
weinend.
3025
Der gute Mann! ich hab ihm längst vergeben.
MEPHISTOPHELES
„Allein, weiß Gott! sie war mehr schuld als ich.”
MARTHE
Das lügt er! Was! am Rand des Grabs zu lügen!
MEPHISTOPHELES
Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
3030„Ich hatte”, sprach er, „nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,
Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
Und Brot im allerweitsten Sinn,
Und konnte nicht einmal mein Teil in Frieden essen.”
MARTHE
Hat er so aller Treu, so aller Lieb vergessen,
3035Der Plackerei bei Tag und Nacht!
MEPHISTOPHELES
Nicht doch, er hat Euch herzlich dran gedacht.
Er sprach: „Als ich nun weg von Malta ging,
Da betet ich für Frau und Kinder brünstig;
Uns war denn auch der Himmel günstig,
3040Daß unser Schiff ein türkisch Fahrzeug fing,
Das einen Schatz des großen Sultans führte.
Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
Und ich empfing denn auch, wie sich's gebührte,
Mein wohlgemeßnes Teil davon.”
MARTHE
3045
Ei wie? Ei wo? Hat er's vielleicht vergraben?
MEPHISTOPHELES
Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
Als er in Napel fremd umherspazierte;
Sie hat an ihm viel Liebs und Treus getan,
3050Daß er's bis an sein selig Ende spürte.
MARTHE
Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
Auch alles Elend, alle Not
Konnt' nicht sein schändlich Leben hindern!
MEPHISTOPHELES
Ja seht! dafür ist er nun tot.
3055Wär ich nun jetzt an Eurem Platze,
Betraurt' ich ihn ein züchtig Jahr,
Visierte dann unterweil nach einem neuen Schatze.
MARTHE
Ach Gott! wie doch mein erster war,
Find ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
3060Es konnte kaum ein herziger Närrchen sein.
Er liebte nur das allzuviele Wandern;
Und fremde Weiber und fremden Wein,
Und das verfluchte Würfelspiel.
MEPHISTOPHELES
Nun, nun, so konnt es gehn und stehen,
3065Wenn er Euch ungefähr so viel
Von seiner Seite nachgesehen.
Ich schwör Euch zu, mit dem Beding
Wechselt ich selbst mit Euch den Ring!
MARTHE
O es beliebt dem Herrn zu scherzen!
MEPHISTOPHELES
für sich.
3070
Nun mach ich mich beizeiten fort!
Die hielte wohl den Teufel selbst beim Wort.
Zu Gretchen.
Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?
MARGARETE
Was meint der Herr damit?
MEPHISTOPHELES
für sich.
3075
Du guts, unschuldigs Kind!
Laut.
Lebt wohl, ihr Fraun!
MARGARETE
MARTHE
O sagt mir doch geschwind!
3080Ich möchte gern ein Zeugnis haben,
Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.
Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
Möcht ihn auch tot im Wochenblättchen lesen.
MEPHISTOPHELES
Ja, gute Frau, durch zweier Zeugen Mund
3085Wird allerwegs die Wahrheit kund;
Habe noch gar einen feinen Gesellen,
Den will ich Euch vor den Richter stellen.
Ich bring ihn her.
MARTHE
MEPHISTOPHELES
3090
Und hier die Jungfrau ist auch da? —
Ein braver Knab! ist viel gereist,
Fräuleins alle Höflichkeit erweist.
MARGARETE
Müßte vor dem Herren schamrot werden.
MEPHISTOPHELES
Vor keinem Könige der Erden.
MARTHE
3095Da hinterm Haus in meinem Garten
Wollen wir der Herrn heut abend warten.
STRAßE (II)
Faust. Mephistopheles.
FAUST
Wie ist's? Will's fördern? Will's bald gehn?
MEPHISTOPHELES
Ah bravo! Find ich Euch in Feuer?
In kurzer Zeit ist Gretchen Euer.
3100Heut abend sollt Ihr sie bei Nachbar' Marthen sehn:
Das ist ein Weib wie auserlesen
Zum Kuppler– und Zigeunerwesen!
FAUST
MEPHISTOPHELES
Doch wird auch was von uns begehrt.
FAUST
3105
Ein Dienst ist wohl des andern wert.
MEPHISTOPHELES
Wir legen nur ein gültig Zeugnis nieder,
Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
In Padua an heil'ger Stätte ruhn.
FAUST
Sehr klug! Wir werden erst die Reise machen müssen!
MEPHISTOPHELES
3110
Sancta Simplicitas! darum ist's nicht zu tun;
Bezeugt nur, ohne viel zu wissen.
FAUST
Wenn Er nichts Bessers hat, so ist der Plan zerrissen.
MEPHISTOPHELES
O heil'ger Mann! Da wärt Ihr's nun!
Ist es das erstemal in eurem Leben,
3115Daß Ihr falsch Zeugnis abgelegt?
Habt Ihr von Gott, der Welt und was sich drin bewegt,
Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?
Mit frecher Stirne, kühner Brust?
3120Und wollt Ihr recht ins Innre gehen,
Habt Ihr davon, Ihr müßt es grad gestehen,
So viel als von Herrn Schwerdtleins Tod gewußt!
FAUST
Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.
MEPHISTOPHELES
Ja, wenn man's nicht ein bißchen tiefer wüßte.
3125Denn morgen wirst, in allen Ehren,
Das arme Gretchen nicht betören
Und alle Seelenlieb ihr schwören?
FAUST
MEPHISTOPHELES
Gut und schön!
3130Dann wird von ewiger Treu und Liebe,
von einzig überallmächt'gem Triebe —
Wird das auch so von Herzen gehn?
FAUST
Laß das! Es wird! — Wenn ich empfinde,
Für das Gefühl, für das Gewühl
3135Nach Namen suche, keinen finde,
Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
Nach allen höchsten Worten greife,
Und diese Glut, von der ich brenne,
Unendlich, ewig, ewig nenne,
3140Ist das ein teuflisch Lügenspiel?
MEPHISTOPHELES
FAUST
Hör! merk dir dies —
Ich bitte dich, und schone meine Lunge —:
Wer recht behalten will und hat nur eine Zunge,
3145Behält's gewiß.
Und komm, ich hab des Schwätzens Überdruß,
Denn du hast recht, vorzüglich weil ich muß.
GARTEN
Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazierend.
MARGARETE
Ich fühl es wohl, daß mich der Herr nur schont,
Herab sich läßt, mich zu beschämen.
3150Ein Reisender ist so gewohnt,
Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen;
Ich weiß zu gut, daß solch erfahrnen Mann
Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.
FAUST
Ein Blick von dir, ein Wort mehr unterhält
3155Als alle Weisheit dieser Welt.
Er küßt ihre Hand.
MARGARETE
Inkommodiert Euch nicht! Wie könnt Ihr sie nur küssen?
Sie ist so garstig, ist so rauh!
Was hab ich nicht schon alles schaffen müssen!
Die Mutter ist gar zu genau.
Gehn vorüber.
MARTHE
3160
Und Ihr, mein Herr, Ihr reist so immer fort?
MEPHISTOPHELES
Ach, daß Gewerb und Pflicht uns dazu treiben!
Mit wieviel Schmerz verläßt man manchen Ort,
Und darf doch nun einmal nicht bleiben!
MARTHE
In raschen Jahren geht's wohl an,
3165So um und um frei durch die Welt zu streifen;
Doch kömmt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu schleifen,
Das hat noch keinem wohl getan.
MEPHISTOPHELES
Mit Grausen seh ich das von weiten.
MARTHE
3170
Drum, werter Herr, beratet Euch in Zeiten.
Gehn vorüber.
MARGARETE
Ja, aus den Augen, aus dem Sinn!
Die Höflichkeit ist Euch geläufig;
Allein Ihr habt der Freunde häufig,
Sie sind verständiger, als ich bin.
FAUST
3175
O Beste! glaube, was man so verständig nennt,
Ist oft mehr Eitelkeit und Kurzsinn.
MARGARETE
FAUST
Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
Sich selbst und ihren heil'gen Wert erkennt!
3180Daß Demut, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
Der liebevoll austeilenden Natur —
MARGARETE
Denkt Ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an Euch zu denken haben.
FAUST
Ihr seid wohl viel allein?
MARGARETE
3185
Ja, unsre Wirtschaft ist nur klein,
Und doch will sie versehen sein.
Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
Und nähn und laufen früh und spat;
Und meine Mutter ist in allen Stücken
3190So akkurat!
Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
Wir könnten uns weit eh'r als andre regen:
Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
3195Doch hab ich jetzt so ziemlich stille Tage:
Mein Bruder ist Soldat,
Mein Schwesterchen ist tot.
Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Not;
Doch übernähm ich gern noch einmal alle Plage,
3200So lieb war mir das Kind.
FAUST
Ein Engel, wenn dir's glich.
MARGARETE
Ich zog es auf, und herzlich liebt es mich.
Es war nach meines Vaters Tod geboren.
Die Mutter gaben wir verloren,
3205So elend wie sie damals lag,
Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
Da konnte sie nun nicht dran denken,
Das arme Würmchen selbst zu tränken,
Und so erzog ich's ganz allein,
3210Mit Milch und Wasser, so ward's mein.
Auf meinem Arm, in meinem Schoß
War's freundlich, zappelte, ward groß.
FAUST
Du hast gewiß das reinste Glück empfunden.
MARGARETE
Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
3215Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
An meinem Bett; es durfte kaum sich regen,
War ich erwacht;
Bald mußt ich's tränken, bald es zu mir legen,
Bald, wenn's nicht schwieg, vom Bett aufstehn
3220Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,
Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
Und immer fort wie heut so morgen.
Da geht's, mein Herr, nicht immer mutig zu;
3225Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.
Gehn vorüber.
MARTHE
Die armen Weiber sind doch übel dran:
Ein Hagestolz ist schwerlich zu bekehren.
MEPHISTOPHELES
Es käme nur auf Euresgleichen an,
Mich eines Bessern zu belehren.
MARTHE
3230
Sagt grad, mein Herr, habt Ihr noch nichts gefunden?
Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?
MEPHISTOPHELES
Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
Ein braves Weib sind Gold und Perlen wert.
MARTHE
Ich meine: ob Ihr niemals Lust bekommen?
MEPHISTOPHELES
3235
Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.
MARTHE
Ich wollte sagen: ward's nie Ernst in Eurem Herzen?
MEPHISTOPHELES
Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen.
MARTHE
Ach, Ihr versteht mich nicht!
MEPHISTOPHELES
Das tut mir herzlich leid!
3240Doch ich versteh — daß Ihr sehr gütig seid.
Gehn vorüber.
FAUST
Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?
MARGARETE
Saht Ihr es nicht, ich schlug die Augen nieder.
FAUST
Und du verzeihst die Freiheit, die ich nahm?
3245Was sich die Frechheit unterfangen,
Als du jüngst aus dem Dom gegangen?
MARGARETE
Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
Es konnte niemand von mir Übels sagen.
Ach, dacht ich, hat er in deinem Betragen
3250Was Freches, Unanständiges gesehn?
Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
Mit dieser Dirne gradehin zu handeln.
Gesteh ich's doch! Ich wußte nicht, was sich
Zu Eurem Vorteil hier zu regen gleich begonnte;
3255Allein gewiß, ich war recht bös auf mich,
Daß ich auf Euch nicht böser werden konnte.
FAUST
MARGARETE
Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern.
FAUST
Was soll das? Einen Strauß?
MARGARETE
3260
Nein, es soll nur ein Spiel.
FAUST
MARGARETE
Geht! Ihr lacht mich aus.
Sie rupft und murmelt.
FAUST
MARGARETE
halblaut.
Er liebt mich — liebt mich nicht.
FAUST
3265
Du holdes Himmelsangesicht!
MARGARETE
fährt fort.
Liebt mich — nicht — liebt mich — nicht —
Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freude.
Er liebt mich!
FAUST
Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
3270Dir Götterausspruch sein. Er liebt dich!
Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
Er faßt ihre beiden Hände.
MARGARETE
FAUST
O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck dir sagen
3275Was unaussprechlich ist:
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
Zu fühlen, die ewig sein muß!
Ewig! — Ihr Ende würde Verzweiflung sein
Nein, kein Ende! Kein Ende!
Margarete drückt ihm die Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt er ihr.
MARTHE
kommend.
3280
Die Nacht bricht an.
MEPHISTOPHELES
MARTHE
Ich bät Euch, länger hier zu bleiben,
Allein es ist ein gar zu böser Ort.
Es ist, als hätte niemand nichts zu treiben
3285Und nichts zu schaffen,
Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
Und man kommt ins Gered, wie man sich immer stellt.
Und unser Pärchen?
MEPHISTOPHELES
Ist den Gang dort aufgeflogen.
3290Mutwill'ge Sommervögel!
MARTHE
MEPHISTOPHELES
Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.
EIN GARTENHÄUSCHEN
Margarete springt herein, steckt sich hinter die Tür, hält die Fingerspitze an die Lippen und guckt durch die Ritze.
MARGARETE
FAUST
kommt.
Ach, Schelm, so neckst du mich! Treff ich dich!
Er küßt sie.
MARGARETE
ihn fassend und den Kuß zurückgebend.
3295
Bester Mann! von Herzen lieb ich dich!
Mephistopheles klopft an.
FAUST
stampfend.
MEPHISTOPHELES
FAUST
MEPHISTOPHELES
Es ist wohl Zeit zu scheiden.
MARTHE
kommt.
3300
Ja, es ist spät, mein Herr.
FAUST
Darf ich Euch nicht geleiten?
MARGARETE
Die Mutter würde mich — Lebt wohl!
FAUST
Muß ich denn gehn? Lebt wohl!
MARTHE
MARGARETE
3305
Auf baldig Wiedersehn!
Faust und Mephistopheles ab.
MARGARETE
Du lieber Gott! was so ein Mann
Nicht alles, alles denken kann!
Beschämt nur steh ich vor ihm da,
Und sag zu allen Sachen ja.
3310Bin doch ein arm unwissend Kind,
Begreife nicht, was er an mir find't.
Ab.
WALD UND HÖHLE
Faust allein.
Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
3315Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir, in ihre tiefe Brust
Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.
3320Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,
Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste
3325Und Nachbarstämme quetschend niederstreift,
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert,
Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich.
3330Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
Besänftigend herüber, schweben mir
Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch
Der Vorwelt silberne Gestalten auf
Und lindern der Betrachtung strenge Lust.
3335
O daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird,
Empfind ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
3340Mich vor mir selbst erniedrigt und zu Nichts,
Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
So tauml ich von Begierde zu Genuß,
3345Und im Genuß verschmacht ich nach Begierde.
Mephistopheles tritt auf.
MEPHISTOPHELES
Habt Ihr nun bald das Leben gnug geführt?
Wie kann's Euch in die Länge freuen?
Es ist wohl gut, daß man's einmal probiert
Dann aber wieder zu was Neuen!
FAUST
3350
Ich wollt, du hättest mehr zu tun,
Als mich am guten Tag zu plagen.
MEPHISTOPHELES
Nun, nun! ich laß dich gerne ruhn,
Du darfst mir's nicht im Ernste sagen.
An dir Gesellen, unhold, barsch und toll,
3355Ist wahrlich wenig zu verlieren.
Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
Was ihm gefällt und was man lassen soll,
Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.
FAUST
Das ist so just der rechte Ton!
3360Er will noch Dank, daß er mich ennuyiert.
MEPHISTOPHELES
Wie hättst du, armer Erdensohn
Dein Leben ohne mich geführt?
Vom Kribskrabs der Imagination
Hab ich dich doch auf Zeiten lang kuriert;
3365Und wär ich nicht, so wärst du schon
Von diesem Erdball abspaziert.
Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein
3370Wie eine Kröte Nahrung ein?
Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
Dir steckt der Doktor noch im Leib.
FAUST
Verstehst du, was für neue Lebenskraft
Mir dieser Wandel in der Öde schafft?
3375Ja, würdest du es ahnen können,
Du wärest Teufel gnug, mein Glück mir nicht zu gönnen.
MEPHISTOPHELES
Ein überirdisches Vergnügen.
In Nacht und Tau auf den Gebirgen liegen
Und Erd und Himmel wonniglich umfassen,
3380Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
Der Erde Mark mit Ahnungsdrang durchwühlen,
Alle sechs Tagewerk im Busen fühlen,
In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
Bald liebewonniglich in alles überfließen,
3385Verschwunden ganz der Erdensohn,
Und dann die hohe Intuition —
mit einer Gebärde.
Ich darf nicht sagen, wie — zu schließen.
FAUST
MEPHISTOPHELES
3390Das will Euch nicht behagen;
Ihr habt das Recht, gesittet pfui zu sagen.
Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
Was keusche Herzen nicht entbehren können.
Und kurz und gut, ich gönn Ihm das Vergnügen,
3395Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
Doch lange hält Er das nicht aus.
Du bist schon wieder abgetrieben
Und, währt es länger, aufgerieben
In Tollheit oder Angst und Graus!
3400Genug damit! Dein Liebchen sitzt dadrinne,
Und alles wird ihr eng und trüb.
Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
Sie hat dich übermächtig lieb.
Erst kam deine Liebeswut übergeflossen,
3405Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
Du hast sie ihr ins Herz gegossen,
Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
Ließ' es dem großen Herren gut,
3410Das arme affenjunge Blut
Für seine Liebe zu belohnen.
Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
Über die alte Stadtmauer hin.
3415Wenn ich ein Vöglein wär! so geht ihr Gesang
Tage lang, halbe Nächte lang.
Einmal ist sie munter, meist betrübt,
Einmal recht ausgeweint,
Dann wieder ruhig, wie's scheint,
3420Und immer verliebt.
FAUST
MEPHISTOPHELES
für sich.
Gelt! daß ich dich fange!
FAUST
Verruchter! hebe dich von hinnen,
Und nenne nicht das schöne Weib!
3425Bring die Begier zu ihrem süßen Leib
Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!
MEPHISTOPHELES
Was soll es denn? Sie meint, du seist entflohn,
Und halb und halb bist du es schon.
FAUST
Ich bin ihr nah, und wär ich noch so fern,
3430Ich kann sie nie vergessen, nie verlieren;
Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,
Wenn ihre Lippen ihn indes berühren.
MEPHISTOPHELES
Gar wohl, mein Freund! Ich hab Euch oft beneidet
Ums Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.
FAUST
MEPHISTOPHELES
Schön! Ihr schimpft, und ich muß lachen.
Der Gott, der Bub' und Mädchen schuf,
Erkannte gleich den edelsten Beruf,
Auch selbst Gelegenheit zu machen.
3440Nur fort, es ist ein großer Jammer!
Ihr sollt in Eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.
FAUST
Was ist die Himmelsfreud in ihren Armen?
Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
3445Fühl ich nicht immer ihre Not?
Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehauste?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh,
Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen brauste,
Begierig wütend nach dem Abgrund zu?
3450Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
Und all ihr häusliches Beginnen
Umfangen in der kleinen Welt.
Und ich, der Gottverhaßte,
3455Hatte nicht genug,
Daß ich die Felsen faßte
Und sie zu Trümmern schlug!
Sie, ihren Frieden mußt ich untergraben!
Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben.
3460Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen.
Was muß geschehn, mag's gleich geschehn!
Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
Und sie mit mir zugrunde gehn!
MEPHISTOPHELES
Wie's wieder siedet, wieder glüht!
3465Geh ein und tröste sie, du Tor!
Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.
Es lebe, wer sich tapfer hält!
Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
3470Nichts Abgeschmackters find ich auf der Welt
Als einen Teufel, der verzweifelt.
GRETCHENS STUBE
Gretchen am Spinnrad, allein.
GRETCHEN
Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
3475und nimmermehr.
Wo ich ihn nicht hab,
Ist mir das Grab,
Die ganze Welt
Ist mir vergällt.
3480
Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Meiner armer Sinn
Ist mir zerstückt.
Meine Ruh ist hin,
3485Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.
Nach ihm nur schau ich
Zum Fenster hinaus,
3490Nach ihm nur geh ich
Aus dem Haus.
Sein hoher Gang,
Sein edle Gestalt,
Seines Mundes Lächeln,
3495Seiner Augen Gewalt,
Und seiner Rede
Zauberfluß,
Sein Händedruck,
Und ach! sein Kuß!
3500
Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.
Mein Busen drängt
3505Sich nach ihm hin,
Ach dürft ich fassen
Und halten ihn,
Und küssen ihn,
So wie ich wollt,
3510An seinen Küssen
Vergehen sollt!
MARTHENS GARTEN
Margarete. Faust.
MARGARETE
FAUST
MARGARETE
Nun sag, wie hast du's mit der Religion?
3515Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.
FAUST
Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
MARGARETE
3520
Das ist nicht recht, man muß dran glauben.
FAUST
MARGARETE
Ach! wenn ich etwas auf dich konnte!
Du ehrst auch nicht die heil'gen Sakramente.
FAUST
MARGARETE
3525
Doch ohne Verlangen.
Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
FAUST
Mein Liebchen, wer darf sagen:
Ich glaub an Gott?
3530Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
MARGARETE
FAUST
Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!
3535Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub ihn.
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
3540Zu sagen: ich glaub ihn nicht!?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
3545Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau ich nicht Aug in Auge dir,
3550Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
3555Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
3560Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
MARGARETE
Das ist alles recht schön und gut;
Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein bißchen andern Worten.
FAUST
3565
Es sagen's allerorten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;
Warum nicht ich in der meinen?
MARGARETE
Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,
3570Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.
FAUST
MARGARETE
Es tut mir lange schon weh,
Daß ich dich in der Gesellschaft seh.
FAUST
MARGARETE
Der Mensch, den du da bei dir hast,
Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt;
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich ins Herz gegeben
3580Als des Menschen widrig Gesicht.
FAUST
Liebe Puppe, fürcht ihn nicht!
MARGARETE
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,
3585Hab ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih mir's, wenn ich ihm Unrecht tu!
FAUST
Es muß auch solche Käuze geben.
MARGARETE
Wollte nicht mit seinesgleichen leben!
3590Kommt er einmal zur Tür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
3595Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird's so wohl in deinem Arm,
So frei, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.
FAUST
Du ahnungsvoller Engel du!
MARGARETE
3600
Das übermannt mich so sehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch, wenn er da ist, könnt ich nimmer beten,
Und das frißt mir ins Herz hinein;
3605Dir, Heinrich, muß es auch so sein.
FAUST
Du hast nun die Antipathie!
MARGARETE
FAUST
Ach kann ich nie
Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen
3610Und Brust an Brust und Seel in Seele drängen?
MARGARETE
Ach wenn ich nur alleine schlief!
Ich ließ dir gern heut nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter schläft nicht tief,
Und würden wir von ihr betroffen,
3615Ich wär gleich auf der Stelle tot!
FAUST
Du Engel, das hat keine Not.
Hier ist ein Fläschchen! Drei Tropfen nur
In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
MARGARETE
3620
Was tu ich nicht um deinetwillen?
Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!
FAUST
Würd ich sonst, Liebchen, dir es raten?
MARGARETE
Seh ich dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht, was mich nach deinem Willen treibt,
3625Ich habe schon so viel für dich getan,
Daß mir zu tun fast nichts mehr übrigbleibt.
Ab.
Mephistopheles tritt auf.
MEPHISTOPHELES
FAUST
MEPHISTOPHELES
Ich hab's ausführlich wohl vernommen,
3630Herr Doktor wurden da katechisiert;
Hoff, es soll Ihnen wohl bekommen.
Die Mädels sind doch sehr interessiert,
Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
Sie denken: duckt er da, folgt er uns eben auch.
FAUST
3635
Du Ungeheuer siehst nicht ein,
Wie diese treue liebe Seele
Von ihrem Glauben voll,
Der ganz allein
Ihr seligmachend ist, sich heilig quäle,
3640Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
MEPHISTOPHELES
Du übersinnlicher sinnlicher Freier,
Ein Mägdelein nasführet dich.
FAUST
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!
MEPHISTOPHELES
Und die Physiognomie versteht sie meisterlich:
3645In meiner Gegenwart wird's ihr, sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
Nun, heute nacht —?
FAUST
MEPHISTOPHELES
Hab ich doch meine Freude dran!
AM BRUNNEN
Gretchen und Lieschen mit Krügen.
LIESCHEN
Hast nichts von Bärbelchen gehört?
GRETCHEN
Kein Wort. Ich komm gar wenig unter Leute.
LIESCHEN
Gewiß, Sibylle sagt' mir's heute:
3655Die hat sich endlich auch betört.
Das ist das Vornehmtun!
GRETCHEN
LIESCHEN
Es stinkt!
Sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt.
GRETCHEN
LIESCHEN
So ist's ihr endlich recht ergangen.
Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
Das war ein Spazieren,
Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
3665Mußt überall die Erste sein,
Kurtesiert ihr immer mit Pastetchen und Wein;
Bildt sich was auf ihre Schönheit ein,
War doch so ehrlos, sich nicht zu schämen,
Geschenke von ihm anzunehmen.
3670War ein Gekos und ein Geschleck;
Da ist denn auch das Blümchen weg!
GRETCHEN
LIESCHEN
Bedauerst sie noch gar!
Wenn unsereins am Spinnen war,
3675Uns nachts die Mutter nicht hinunterließ,
Stand sie bei ihrem Buhlen süß;
Auf der Türbank und im dunkeln Gang
Ward ihnen keine Stunde zu lang.
Da mag sie denn sich ducken nun,
3680Im Sünderhemdchen Kirchbuß tun!
GRETCHEN
Er nimmt sie gewiß zu seiner Frau.
LIESCHEN
Er wär ein Narr! Ein flinker Jung
Hat anderwärts noch Luft genung.
Er ist auch fort.
GRETCHEN
3685
Das ist nicht schön!
LIESCHEN
Kriegt sie ihn, soll's ihr übel gehn,
Das Kränzel reißen die Buben ihr,
Und Häckerling streuen wir vor die Tür!
Ab.
GRETCHEN
nach Hause gehend.
Wie konnt ich sonst so tapfer schmälen,
3690Wenn tät ein armes Mägdlein fehlen!
Wie konnt ich über andrer Sünden
Nicht Worte gnug der Zunge finden!
Wie schien mir's schwarz, und schwärzt's noch gar,
Mir's immer doch nicht schwarz gnug war,
3695Und segnet mich und tat so groß,
Und bin nun selbst der Sünde bloß!
Doch — alles, was dazu mich trieb,
Gott! war so gut! ach, war so lieb!
ZWINGER
In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkruge davor.
Gretchen steckt frische Blumen in die Kruge.
Ach neige,
3700Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Not!
Das Schwert im Herzen,
Mit tausend Schmerzen
Blickst auf zu deines Sohnes Tod.
3705
Zum Vater blickst du,
Und Seufzer schickst du
Hinauf um sein' und deine Not.
Wer fühlet,
Wie wühlet
3710Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget,
Was es zittert, was verlanget,
Weißt nur du, nur du allein!
Wohin ich immer gehe
3715Wie weh, wie weh, wie wehe
Wird mir im Busen hier!
Ich bin, ach! kaum alleine,
Ich wein, ich wein, ich weine,
Das Herz zerbricht in mir.
3720
Die Scherben vor meinem Fenster
Betaut ich mit Tränen, ach!
Als ich am frühen Morgen
Dir diese Blumen brach.
Schien hell in meine Kammer
3725Die Sonne früh herauf,
Saß ich in allem Jammer
In meinem Bett schon auf.
Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige,
3730Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Not!
NACHT
Straße vor Gretchens Türe.
Valentin, Soldat, Gretchens Bruder.
Wenn ich so saß bei einem Gelag,
Wo mancher sich berühmen mag,
Und die Gesellen mir den Flor
3735Der Mägdlein laut gepriesen vor,
Mit vollem Glas das Lob verschwemmt —
Den Ellenbogen aufgestemmt
Saß ich in meiner sichern Ruh,
Hört' all dem Schwadronieren zu,
3740Und streiche lächelnd meinen Bart,
Und kriege das volle Glas zur Hand
Und sage: Alles nach seiner Art!
Aber ist eine im ganzen Land,
Die meiner trauten Gretel gleicht,
3745Die meiner Schwester das Wasser reicht?
Topp! Topp! Kling! Klang! das ging herum;
Die einen schrieen: Er hat recht,
Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht.
Da saßen alle die Lober stumm.
3750Und nun! — um's Haar sich auszuraufen
Und an den Wänden hinaufzulaufen!—
Mit Stichelreden, Naserümpfen
Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
3755Bei jedem Zufallswörtchen schwitzen!
Und möcht ich sie zusammenschmeißen,
Könnt ich sie doch nicht Lügner heißen.
Was kommt heran? Was schleicht herbei?
Irr ich nicht, es sind ihrer zwei.
3760Ist er's, gleich pack ich ihn beim Felle
Soll nicht lebendig von der Stelle!
Faust. Mephistopheles.
FAUST
Wie von dem Fenster dort der Sakristei
Aufwärts der Schein des Ew'gen Lämpchens flämmert
Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
3765Und Finsternis drängt ringsum bei!
So sieht's in meinem Busen nächtig.
MEPHISTOPHELES
Und mir ist's wie dem Kätzlein schmächtig,
Das an den Feuerleitern schleicht,
Sich leis dann um die Mauern streicht;
3770Mir ist's ganz tugendlich dabei,
Ein bißchen Diebsgelüst, ein bißchen Rammelei.
So spukt mir schon durch alle Glieder
Die herrliche Walpurgisnacht.
Die kommt uns übermorgen wieder,
3775Da weiß man doch, warum man wacht.
FAUST
Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh,
Den ich dort hinten flimmern seh?
MEPHISTOPHELES
Du kannst die Freude bald erleben,
Das Kesselchen herauszuheben.
3780Ich schielte neulich so hinein,
Sind herrliche Löwentaler drein.
FAUST
Nicht ein Geschmeide, nicht ein Ring,
Meine liebe Buhle damit zu zieren?
MEPHISTOPHELES
Ich sah dabei wohl so ein Ding,
3785Als wie eine Art von Perlenschnüren.
FAUST
So ist es recht! Mir tut es weh,
Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh.
MEPHISTOPHELES
Es sollt Euch eben nicht verdrießen,
Umsonst auch etwas zu genießen.
3790Jetzt, da der Himmel voller Sterne glüht,
Sollt Ihr ein wahres Kunststück hören:
Ich sing ihr ein moralisch Lied,
Um sie gewisser zu betören.
Singt zur Zither.
3795Was machst du mir
Vor Liebchens Tür,
Kathrinchen, hier
Bei frühem Tagesblicke?
Laß, laß es sein!
3800Er läßt dich ein,
Als Mädchen ein,
Als Mädchen nicht zurücke.
Nehmt euch in acht!
Ist es vollbracht,
3805Dann gute Nacht,
Ihr armen, armen Dinger!
Habt ihr euch lieb,
Tut keinem Dieb
Nur nichts zulieb,
3810Als mit dem Ring am Finger.
VALENTIN
tritt vor.
Wen lockst du hier? beim Element!
Vermaledeiter Rattenfänger!
Zum Teufel erst das Instrument!
Zum Teufel hinterdrein den Sänger!
MEPHISTOPHELES
3815
Die Zither ist entzwei! an der ist nichts zu halten.
VALENTIN
Nun soll es an ein Schädelspalten!
MEPHISTOPHELES
zu Faust.
Herr Doktor, nicht gewichen! Frisch!
Hart an mich an, wie ich Euch führe.
Heraus mit Eurem Flederwisch!
3820Nur zugestoßen! ich pariere.
VALENTIN
MEPHISTOPHELES
VALENTIN
MEPHISTOPHELES
VALENTIN
3825
Ich glaub, der Teufel ficht!
Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.
MEPHISTOPHELES
zu Faust.
VALENTIN
fällt.
MEPHISTOPHELES
Nun ist der Lümmel zahm!
3830Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrei.
Ich weiß mich trefflich mit der Polizei,
Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.
MARTHE
am Fenster.
GRETCHEN
am Fenster.
MARTHE
wie oben.
Man schilt und rauft, man schreit und ficht.
VOLK
Da liegt schon einer tot!
MARTHE
heraustretend.
Die Mörder, sind sie denn entflohn?
GRETCHEN
heraustretend.
VOLK
GRETCHEN
Allmächtiger! welche Not!
VALENTIN
Ich sterbe! das ist bald gesagt
Und balder noch getan.
Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
3845Kommt her und hört mich an!
Alle treten um ihn.
Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,
Bist gar noch nicht gescheit genung,
Machst deine Sachen schlecht.
3850Ich sag dir's im Vertrauen nur:
Du bist doch nun einmal eine Hur,
So sei's auch eben recht!
GRETCHEN
Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?
VALENTIN
Laß unsern Herrgott aus dem Spaß!
3855Geschehn ist leider nun geschehn,
Und wie es gehn kann, so wird's gehn.
Du fingst mit einem heimlich an,
Bald kommen ihrer mehre dran,
Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
3860So hat dich auch die ganze Stadt.
Wenn erst die Schande wird geboren,
Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
Und man zieht den Schleier der Nacht
Ihr über Kopf und Ohren;
3865Ja, man möchte sie gern ermorden.
Wächst sie aber und macht sich groß,
Dann geht sie auch bei Tage bloß,
Und ist doch nicht schöner geworden.
Je häßlicher wird ihr Gesicht,
3870Je mehr sucht sie des Tages Licht.
Ich seh wahrhaftig schon die Zeit,
Daß alle brave Bürgersleut,
Wie von einer angesteckten Leichen,
Von dir, du Metze! seitab weichen.
3875Dir soll das Herz im Leib verzagen,
Wenn sie dir in die Augen sehn!
Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
In einem schönen Spitzenkragen
3880Dich nicht beim Tanze wohlbehagen!
In eine finstre Jammerecken
Unter Bettler und Krüppel dich verstecken,
Und, wenn dir dann auch Gott verzeiht,
Auf Erden sein vermaledeit!
MARTHE
3885
Befehlt Eure Seele Gott zu Gnaden!
Wollt Ihr noch Lästrung auf Euch laden?
VALENTIN
Könnt ich dir nur an den dürren Leib,
Du schändlich kupplerisches Weib!
Da hofft' ich aller meiner Sünden
3890Vergebung reiche Maß zu finden.
GRETCHEN
Mein Bruder! Welche Höllenpein!
VALENTIN
Ich sage, laß die Tränen sein!
Da du dich sprachst der Ehre los,
Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
3895Ich gehe durch den Todesschlaf
Zu Gott ein als Soldat und brav.
Stirbt.
DOM
Amt, Orgel und Gesang.
Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen.
BÖSER GEIST
Wie anders, Gretchen, war dir's,
Als du noch voll Unschuld
Hier zum Altar tratst,
3900Aus dem vergriffnen Büchelchen
Gebete lalltest,
Halb Kinderspiele,
Halb Gott im Herzen!
Gretchen!
3905Wo steht dein Kopf?
In deinem Herzen
Welche Missetat?
Betst du für deiner Mutter Seele, die
Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?
3910Auf deiner Schwelle wessen Blut?
— Und unter deinem Herzen
Regt sich's nicht quillend schon
Und ängstet dich und sich
Mit ahnungsvoller Gegenwart?
GRETCHEN
3915
Weh! Weh!
Wär ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!
CHOR
Dies irae, dies illa
3920
Solvet saeclum in favilla.
Orgelton.
BÖSER GEIST
Grimm faßt dich!
Die Posaune tönt!
Die Gräber beben!
Und dein Herz,
3925Aus Aschenruh
Zu Flammenqualen
Wieder aufgeschaffen,
Bebt auf!
GRETCHEN
Wär ich hier weg!
3930Mir ist, als ob die Orgel mir
Den Atem versetzte,
Gesang mein Herz
Im Tiefsten löste.
CHOR
Judex ergo cum sedebit,
3935Quidquid latet adparebit,
Nil inultum remanebit.
GRETCHEN
Mir wird so eng!
Die Mauernpfeiler
Befangen mich!
3940Das Gewölbe
Drängt mich! — Luft!
BÖSER GEIST
Verbirg dich! Sünd und Schande
Bleibt nicht verborgen.
Luft? Licht?
3945Weh dir!
CHOR
Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus?
Cum vix justus sit securus.
BÖSER GEIST
Ihr Antlitz wenden
3950Verklärte von dir ab.
Die Hände dir zu reichen,
Schauert's den Reinen.
CHOR
Quid sum miser tunc dicturus?
GRETCHEN
3955
Nachbarin! Euer Fläschchen! —
Sie fällt in Ohnmacht.
WALPURGISNACHT
Harzgebirg.
Gegend von Schierke und Elend.
Faust. Mephistopheles.
MEPHISTOPHELES
Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.
FAUST
Solang ich mich noch frisch auf meinen Beinen fühle,
3960Genügt mir dieser Knotenstock.
Was hilft's, daß man den Weg verkürzt! —
Im Labyrinth der Täler hinzuschleichen,
Dann diesen Felsen zu ersteigen,
Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
3965Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!
Der Frühling webt schon in den Birken,
Und selbst die Fichte fühlt ihn schon;
Sollt er nicht auch auf unsre Glieder wirken?
MEPHISTOPHELES
Fürwahr, ich spüre nichts davon!
3970Mir ist es winterlich im Leibe,
Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.
Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
Des roten Monds mit später Glut heran,
Und leuchtet schlecht, daß man bei jedem Schritte
3975Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!
Erlaub, daß ich ein Irrlicht bitte!
Dort seh ich eins, das eben lustig brennt.
Heda! mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?
Was willst du so vergebens lodern?
3980Sei doch so gut und leucht uns da hinauf!
IRRLICHT
Aus Ehrfurcht, hoff ich, soll es mir gelingen,
Mein leichtes Naturell zu zwingen;
Nur zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.
MEPHISTOPHELES
Ei! Ei! Er denkt's den Menschen nachzuahmen.
3985Geh Er nur grad, in 's Teufels Namen!
Sonst blas ich Ihm sein Flackerleben aus.
IRRLICHT
Ich merke wohl, Ihr seid der Herr vom Haus,
Und will mich gern nach Euch bequemen.
Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
3990Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll,
So müßt Ihr's so genau nicht nehmen.
FAUST, MEPHISTOPHELES, IRRLICHT
im Wechselgesang.
In die Traum– und Zaubersphäre
Sind wir, scheint es, eingegangen.
Führ uns gut und mach dir Ehre,
3995Daß wir vorwärts bald gelangen
In den weiten, öden Räumen!
Seh die Bäume hinter Bäumen,
Wie sie schnell vorüberrücken,
Und die Klippen, die sich bücken,
4000Und die langen Felsennasen,
Wie sie schnarchen, wie sie blasen!
Durch die Steine, durch den Rasen
Eilet Bach und Bächlein nieder.
Hör ich Rauschen? hör ich Lieder?
4005Hör ich holde Liebesklage,
Stimmen jener Himmelstage?
Was wir hoffen, was wir lieben!
Und das Echo, wie die Sage
Alter Zeiten, hallet wider.
4010Uhu! Schuhu! tönt es näher,
Kauz und Kiebitz und der Häher,
Sind sie alle wach geblieben?
Sind das Molche durchs Gesträuche?
Lange Beine, dicke Bäuche!
4015Und die Wurzeln, wie die Schlangen,
Winden sich aus Fels und Sande,
Strecken wunderliche Bande,
Uns zu schrecken, uns zu fangen;
Aus belebten derben Masern
4020Strecken sie Polypenfasern
Nach dem Wandrer. Und die Mäuse
Tausendfärbig, scharenweise,
Durch das Moos und durch die Heide!
Und die Funkenwürmer fliegen
4025Mit gedrängten Schwärmezügen
Zum verwirrenden Geleite.
Aber sag mir, ob wir stehen
Oder ob wir weitergehen?
Alles, alles scheint zu drehen,
4030Fels und Bäume, die Gesichter
Schneiden, und die irren Lichter,
Die sich mehren, die sich blähen.
MEPHISTOPHELES
Fasse wacker meinen Zipfel!
Hier ist so ein Mittelgipfel,
4035Wo man mit Erstaunen sieht,
Wie im Berg der Mammon glüht.
FAUST
Wie seltsam glimmert durch die Gründe
Ein morgenrötlich trüber Schein!
Und selbst bis in die tiefen Schlünde
4040Des Abgrunds wittert er hinein.
Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden,
Hier leuchtet Glut aus Dunst und Flor
Dann schleicht sie wie ein zarter Faden
Dann bricht sie wie ein Quell hervor.
4045Hier schlingt sie eine ganze Strecke
Mit hundert Adern sich durchs Tal,
Und hier in der gedrängten Ecke
Vereinzelt sie sich auf einmal.
Da sprühen Funken in der Nähe
4050Wie ausgestreuter goldner Sand.
Doch schau! in ihrer ganzen Höhe
Entzündet sich die Felsenwand.
MEPHISTOPHELES
Erleuchtet nicht zu diesem Feste
Herr Mammon prächtig den Palast?
4055Ein Glück, daß du's gesehen hast,
Ich spüre schon die ungestümen Gäste.
FAUST
Wie rast die Windsbraut durch die Luft!
Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!
MEPHISTOPHELES
Du mußt des Felsens alte Rippen packen,
4060Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.
Ein Nebel verdichtet die Nacht.
Höre, wie's durch die Wälder kracht!
Aufgescheucht fliegen die Eulen.
Hör, es splittern die Säulen
4065Ewig grüner Paläste.
Girren und Brechen der Äste!
Der Stämme mächtiges Dröhnen!
Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
Im fürchterlich verworrenen Falle
4070Übereinander krachen sie alle,
Und durch die übertrümmerten Klüfte
Zischen und heulen die Lüfte.
Hörst du Stimmen in der Höhe?
In der Ferne, in der Nähe?
4075Ja, den ganzen Berg entlang
Strömt ein wütender Zaubergesang!
HEXEN
im Chor.
Die Hexen zu dem Brocken ziehn,
Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün.
Dort sammelt sich der große Hauf,
4080Herr Urian sitzt oben auf.
So geht es über Stein und Stock,
Es farzt die Hexe, es stinkt der Bock.
STIMME
Die alte Baubo kommt allein,
Sie reitet auf einem Mutterschwein.
CHOR
4085
So Ehre denn, wem Ehre gebührt!
Frau Baubo vor! und angeführt!
Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
Da folgt der ganze Hexenhauf.
STIMME
Welchen Weg kommst du her?
STIMME
4090
Übern Ilsenstein!
Da guckt ich der Eule ins Nest hinein,
Die macht ein Paar Augen!
STIMME
O fahre zur Hölle!
Was reitst du so schnelle!
STIMME
4095
Mich hat sie geschunden,
Da sieh nur die Wunden!
HEXEN
Chor.
Der Weg ist breit, der Weg ist lang,
Was ist das für ein toller Drang?
Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
4100Das Kind erstickt, die Mutter platzt.
HEXENMEISTER, HALBER CHOR
Wir schleichen wie die Schneck im Haus,
Die Weiber alle sind voraus.
Denn, geht es zu des Bösen Haus,
Das Weib hat tausend Schritt voraus.
ANDERE HÄLFTE
4105
Wir nehmen das nicht so genau,
Mit tausend Schritten macht's die Frau;
Doch wie sie sich auch eilen kann,
Mit einem Sprunge macht's der Mann.
STIMME
oben.
Kommt mit, kommt mit, vom Felsensee!
STIMMEN
von unten.
4110
Wir möchten gerne mit in die Höh.
Wir waschen, und blank sind wir ganz und gar;
Aber auch ewig unfruchtbar.
BEIDE CHÖRE
Es schweigt der Wind, es flieht der Stern,
Der trübe Mond verbirgt sich gern.
4115Im Sausen sprüht das Zauberchor
Viel tausend Feuerfunken hervor.
STIMME
von unten.
STIMME
oben.
Wer ruft da aus der Felsenspalte?
STIMME
von unten.
Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!
4120Ich steige schon dreihundert Jahr,
Und kann den Gipfel nicht erreichen
Ich wäre gern bei meinesgleichen.
BEIDE CHÖRE
Es trägt der Besen, trägt der Stock,
Die Gabel trägt, es trägt der Bock;
4125Wer heute sich nicht heben kann,
Ist ewig ein verlorner Mann.
HALBHEXE
unten.
Ich tripple nach, so lange Zeit;
Wie sind die andern schon so weit!
Ich hab zu Hause keine Ruh,
4130Und komme hier doch nicht dazu.
CHOR DER HEXEN
Die Salbe gibt den Hexen Mut,
Ein Lumpen ist zum Segel gut,
Ein gutes Schiff ist jeder Trog;
Der flieget nie, der heut nicht flog.
BEIDE CHÖRE
4135Und wenn wir um den Gipfel ziehn,
So streichet an dem Boden hin,
Und deckt die Heide weit und breit
Mit eurem Schwarm der Hexenheit!
Sie lassen sich nieder.
MEPHISTOPHELES
Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
4140Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
Ein wahres Hexenelement!
Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
Wo bist du?
FAUST
in der Ferne.
MEPHISTOPHELES
Was! dort schon hingerissen?
Da werd ich Hausrecht brauchen müssen.
Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel, Platz!
Hier, Doktor, fasse mich! und nun in einem Satz
4150Laß uns aus dem Gedräng entweichen;
Es ist zu toll, sogar für meinesgleichen.
Dort neben leuchtet was mit ganz besondrem Schein,
Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
Komm, komm! wir schlupfen da hinein.
FAUST
4155
Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich führen.
Ich denke doch, das war recht klug gemacht:
Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht,
Um uns beliebig nun hieselbst zu isolieren.
MEPHISTOPHELES
Da sieh nur, welche bunten Flammen!
4160Es ist ein muntrer Klub beisammen.
Im Kleinen ist man nicht allein.
FAUST
Doch droben möcht ich lieber sein!
Schon seh ich Glut und Wirbelrauch.
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
4165Da muß sich manches Rätsel lösen.
MEPHISTOPHELES
Doch manches Rätsel knüpft sich auch.
Laß du die große Welt nur sausen,
Wir wollen hier im Stillen hausen.
Es ist doch lange hergebracht,
4170Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
Da seh ich junge Hexchen, nackt und bloß,
Und alte, die sich klug verhüllen.
Seid freundlich, nur um meinetwillen;
Die Müh ist klein, der Spaß ist groß.
4175Ich höre was von Instrumenten tönen!
Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.
Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders sein,
Ich tret heran und führe dich herein,
Und ich verbinde dich aufs neue.
4180Was sagst du, Freund? das ist kein kleiner Raum.
Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe;
Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt
Nun sage mir, wo es was Bessers gibt?
FAUST
4185
Willst du dich nun, um uns hier einzuführen,
Als Zaubrer oder Teufel produzieren?
MEPHISTOPHELES
Zwar bin ich sehr gewohnt, inkognito zu gehn,
Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
4190Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
Siehst du die Schnecke da? sie kommt herangekrochen;
Mit ihrem tastenden Gesicht
Hat sie mir schon was abgerochen.
Wenn ich auch will, verleugn ich hier mich nicht.
4195Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
Ich bin der Werber, und du bist der Freier.
Zu einigen, die um verglimmende Kohlen sitzen:
Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
Ich lobt euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände,
4200Von Saus umzirkt und Jugendbraus;
Genug allein ist jeder ja zu Haus.
GENERAL
Wer mag auf Nationen trauen!
Man habe noch so viel für sie getan;
Denn bei dem Volk wie bei den Frauen,
4205Steht immerfort die Jugend oben an.
MINISTER
Jetzt ist man von dem Rechten allzu weit,
Ich lobe mir die guten Alten;
Denn freilich, da wir alles galten,
Da war die rechte goldne Zeit.
PARVENU
4210
Wir waren wahrlich auch nicht dumm
Und taten oft, was wir nicht sollten;
Doch jetzo kehrt sich alles um und um,
Und eben da wir's fest erhalten wollten.
AUTOR
Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
4215Von mäßig klugem Inhalt lesen!
Und was das liebe junge Volk betrifft,
Das ist noch nie so naseweis gewesen.
MEPHISTOPHELES
der auf einmal sehr alt erscheint.
Zum Jüngsten Tag fühl ich das Volk gereift,
Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
4220Und weil mein Fäßchen trübe läuft,
So ist die Welt auch auf der Neige.
TRÖDELHEXE
Ihr Herren, geht nicht so vorbei!
Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
Aufmerksam blickt nach meinen Waren,
4225Es steht dahier gar mancherlei.
Und doch ist nichts in meinem Laden,
Dem keiner auf der Erde gleicht,
Das nicht einmal zum tücht'gen Schaden
Der Menschen und der Welt gereicht.
4230Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
Kein Kelch, aus dem sich nicht in ganz gesunden Leib
Verzehrend heißes Gift ergossen,
Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
Verführt, kein Schwert, das nicht den Bund gebrochen,
4235Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.
MEPHISTOPHELES
Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.
Getan, geschehn! Geschehn, getan!
Verleg Sie sich auf Neuigkeiten!
Nur Neuigkeiten ziehn uns an.
FAUST
4240
Daß ich mich nur nicht selbst vergesse!
Heiß ich mir das doch eine Messe!
MEPHISTOPHELES
Der ganze Strudel strebt nach oben;
Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.
FAUST
MEPHISTOPHELES
4245
Betrachte sie genau!
Lilith ist das.
FAUST
MEPHISTOPHELES
Adams erste Frau.
Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren,
4250Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
So läßt sie ihn so bald nicht wieder fahren.
FAUST
Da sitzen zwei, die Alte mit der Jungen;
Die haben schon was Rechts gesprungen!
MEPHISTOPHELES
4255
Das hat nun heute keine Ruh.
Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.
FAUST
mit der Jungen tanzend.
Einst hatt ich einen schönen Traum:
Da sah ich einen Apfelbaum,
Zwei schöne Äpfel glänzten dran,
4260Sie reizten mich, ich stieg hinan.
DIE SCHÖNE
Der Äpfelchen begehrt ihr sehr,
Und schon vom Paradiese her.
Von Freuden fühl ich mich bewegt,
Daß auch mein Garten solche trägt.
MEPHISTOPHELES
mit der Alten.
4265Einst hatt' ich einen wüsten Traum;
Da sah ich einen gespaltnen Baum,
Der hatt' ein ungeheures Loch;
So groß es war, gefiel mir's doch.
DIE ALTE
Ich biete meinen besten Gruß
4270Dem Ritter mit dem Pferdefuß!
Halt Er einen rechten Pfropf bereit,
Wenn Er das große Loch nicht scheut.
PROKTOPHANTASMIST
Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
Hat man euch lange nicht bewiesen:
4275Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen?
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!
DIE SCHÖNE
tanzend.
Was will denn der auf unserm Ball?
FAUST
tanzend.
Ei! der ist eben überall.
Was andre tanzen, muß er schätzen.
4280Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen,
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
Wie er's in seiner alten Mühle tut
4285Das hieß' er allenfalls noch gut;
Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.
PROKTOPHANTASMIST
Ihr seid noch immer da! nein, das ist unerhört.
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel.
4290Wir sind so klug, und dennoch spukt's in Tegel.
Wie lange hab ich nicht am Wahn hinausgekehrt,
Und nie wird's rein; das ist doch unerhört!
DIE SCHÖNE
So hört doch auf, uns hier zu ennuyieren!
PROKTOPHANTASMIST
Ich sag's euch Geistern ins Gesicht:
4295Den Geistesdespotismus leid ich nicht;
Mein Geist kann ihn nicht exerzieren.
Es wird fortgetanzt.
Heut, seh ich, will mir nichts gelingen;
Doch eine Reise nehm ich immer mit
4300Und hoffe noch, vor meinem letzten Schritt
Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.
MEPHISTOPHELES
Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
Das ist die Art, wie er sich soulagiert,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen,
4305Ist er von Geistern und von Geist kuriert.
Zu Faust, der aus dem Tanz getreten ist.
Was lässest du das schöne Mädchen fahren,
Das dir zum Tanz so lieblich sang?
FAUST
Ach! mitten im Gesange sprang
4310Ein rotes Mäuschen ihr aus dem Munde.
MEPHISTOPHELES
Das ist was Rechts! das nimmt man nicht genau;
Genug, die Maus war doch nicht grau.
Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?
FAUST
MEPHISTOPHELES
FAUST
Mephisto, siehst du dort
Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?
Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.
4320Ich muß bekennen, daß mir deucht,
Daß sie dem guten Gretchen gleicht.
MEPHISTOPHELES
Laß das nur stehn! dabei wird's niemand wohl.
Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
Ihm zu begegnen, ist nicht gut:
4325Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
Und er wird fast in Stein verkehrt;
Von der Meduse hast du ja gehört.
FAUST
Fürwahr, es sind die Augen einer Toten,
Die eine liebende Hand nicht schloß.
4330Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
Das ist der süße Leib, den ich genoß.
MEPHISTOPHELES
Das ist die Zauberei, du leicht verführter Tor!
Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.
FAUST
Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
4335Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
Ein einzig rotes Schnürchen schmücken,
Nicht breiter als ein Messerrücken!
MEPHISTOPHELES
Ganz recht! ich seh es ebenfalls.
4340Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen,
Denn Perseus hat's ihr abgeschlagen.
Nur immer diese Lust zum Wahn!
Komm doch das Hügelchen heran,
Hier ist's so lustig wie im Prater;
4345Und hat man mir's nicht angetan,
So seh ich wahrlich ein Theater.
Was gibt's denn da?
SERVIBILIS
Gleich fängt man wieder an.
Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben.
4350So viel zu geben ist allhier der Brauch,
Ein Dilettant hat es geschrieben,
Und Dilettanten spielen's auch.
Verzeiht, ihr Herrn, wenn ich verschwinde;
Mich dilettiert's, den Vorhang aufzuziehn.
MEPHISTOPHELES
4355
Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
Das find ich gut; denn da gehört ihr hin.
WALPURGISNACHTSTRAUM
oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit.
Intermezzo.
THEATERMEISTER
Heute ruhen wir einmal,
Miedings wackre Söhne.
Alter Berg und feuchtes Tal,
4360Das ist die ganze Szene!
HEROLD
Daß die Hochzeit golden sei,
Solln funfzig Jahr sein vorüber;
Aber ist der Streit vorbei,
Das Golden ist mir lieber.
OBERON
4365
Seid ihr Geister, wo ich bin,
So zeigt's in diesen Stunden;
König und die Königin,
Sie sind aufs neu verbunden.
PUCK
Kommt der Puck und dreht sich quer
4370Und schleift den Fuß im Reihen;
Hundert kommen hinterher,
Sich auch mit ihm zu freuen.
ARIEL
Ariel bewegt den Sang
In himmlisch reinen Tönen;
4375Viele Fratzen lockt sein Klang,
Doch lockt er auch die Schönen.
OBERON
Gatten, die sich vertragen wollen,
Lernen's von uns beiden!
Wenn sich zweie lieben sollen,
4380Braucht man sie nur zu scheiden.
TITANIA
Schmollt der Mann und grillt die Frau,
So faßt sie nur behende,
Führt mir nach dem Mittag sie,
Und ihn an Nordens Ende.
ORCHESTER TUTTI
Fortissimo.
4385
Fliegenschnauz und Mückennas
Mit ihren Anverwandten,
Frosch im Laub und Grill im Gras,
Das sind die Musikanten!
SOLO
Seht, da kommt der Dudelsack!
4390Es ist die Seifenblase.
Hört den Schneckeschnickeschnack
Durch seine stumpfe Nase.
GEIST, DER SICH ERST BILDET
Spinnenfuß und Krötenbauch
Und Flügelchen dem Wichtchen!
4395Zwar ein Tierchen gibt es nicht,
Doch gibt es ein Gedichtchen.
EIN PÄRCHEN
Kleiner Schritt und hoher Sprung
Durch Honigtau und Düfte;
Zwar du trippelst mir genung,
4400Doch geh's nicht in die Lüfte.
NEUGIERIGER REISENDER
Ist das nicht Maskeradenspott?
Soll ich den Augen trauen,
Oberon, den schönen Gott,
Auch heute hier zu schauen?
ORTHODOX
4405
Keine Klauen, keinen Schwanz!
Doch bleibt es außer Zweifel:
So wie die Götter Griechenlands,
So ist auch er ein Teufel.
NORDISCHER KÜNSTLER
Was ich ergreife, das ist heut
4410Fürwahr nur skizzenweise;
Doch ich bereite mich beizeit
Zur italien'schen Reise.
PURIST
Ach! mein Unglück führt mich her:
Wie wird nicht hier geludert!
4415Und von dem ganzen Hexenheer
Sind zweie nur gepudert.
JUNGE HEXE
Der Puder ist so wie der Rock
Für alt' und graue Weibchen,
Drum sitz ich nackt auf meinem Bock
4420Und zeig ein derbes Leibchen.
MATRONE
Wir haben zu viel Lebensart,
Um hier mit euch zu maulen!
Doch hoff ich, sollt ihr jung und zart,
So wie ihr seid, verfaulen.
KAPELLMEISTER
4425
Fliegenschnauz und Mückennas
Umschwärmt mir nicht die Nackte!
Frosch im Laub und Grill im Gras,
So bleibt doch auch im Takte!
WINDFAHNE
nach der einen Seite.
Gesellschaft, wie man wünschen kann:
4430Wahrhaftig lauter Bräute!
Und Junggesellen, Mann für Mann,
Die hoffnungsvollsten Leute!
WINDFAHNE
nach der andern Seite.
Und tut sich nicht der Boden auf,
Sie alle zu verschlingen,
4435So will ich mit behendem Lauf
Gleich in die Hölle springen.
XENIEN
Als Insekten sind wir da,
Mit kleinen scharfen Scheren,
Satan, unsern Herrn Papa,
4440Nach Würden zu verehren.
HENNINGS
Seht, wie sie in gedrängter Schar
Naiv zusammen scherzen!
Am Ende sagen sie noch gar,
Sie hätten gute Herzen.
MUSAGET
4445
Ich mag in diesem Hexenheer
Mich gar zu gern verlieren;
Denn freilich diese wüßt ich eh'r
Als Musen anzuführen.
CI-DEVANT GENIUS DER ZEIT
Mit rechten Leuten wird man was.
4450Komm, fasse meinen Zipfel!
Der Blocksberg, wie der deutsche Parnass,
Hat gar einen breiten Gipfel.
NEUGIERIGER REISENDER
Sagt, wie heißt der steife Mann?
Er geht mit stolzen Schritten.
4455Er schnopert, was er schnopern kann.
„Er spürt nach Jesuiten.”
KRANICH
In dem Klaren mag ich gern
Und auch im Trüben fischen;
Darum seht ihr den frommen Herrn
4460Sich auch mit Teufeln mischen.
WELTKIND
Ja, für die Frommen, glaubet mir,
Ist alles ein Vehikel,
Sie bilden auf dem Blocksberg hier
Gar manches Konventikel.
TÄNZER
4465Da kommt ja wohl ein neues Chor?
Ich höre ferne Trommeln.
Nur ungestört! es sind im Rohr
Die unisonen Dommeln.
TANZMEISTER
Wie jeder doch die Beine lupft!
4470Sich, wie er kann, herauszieht!
Der Krumme springt, der Plumpe hupft
Und fragt nicht, wie es aussieht.
FIEDLER
Das haßt sich schwer, das Lumpenpack,
Und gäb sich gern das Restchen;
4475Es eint sie hier der Dudelsack,
Wie Orpheus' Leier die Bestjen.
DOGMATIKER
Ich lasse mich nicht irre schrein,
Nicht durch Kritik noch Zweifel.
Der Teufel muß doch etwas sein;
4480Wie gäb's denn sonst auch Teufel?
IDEALIST
Die Phantasie in meinem Sinn
Ist diesmal gar zu herrisch.
Fürwahr, wenn ich das alles bin,
So bin ich heute närrisch.
REALIST
4485
Das Wesen ist mir recht zur Qual
Und muß mich baß verdrießen;
Ich stehe hier zum erstenmal
Nicht fest auf meinen Füßen.
SUPERNATURALIST
Mit viel Vergnügen bin ich da
4490Und freue mich mit diesen;
Denn von den Teufeln kann ich ja
Auf gute Geister schließen.
SKEPTIKER
Sie gehn den Flämmchen auf der Spur
Und glaub'n sich nah dem Schatze.
4495Auf Teufel reimt der Zweifel nur;
Da bin ich recht am Platze.
KAPELLMEISTER
Frosch im Laub und Grill im Gras,
Verfluchte Dilettanten!
Fliegenschnauz und Mückennas,
4500Ihr seid doch Musikanten!
DIE GEWANDTEN
Sanssouci, so heißt das Heer
Von lustigen Geschöpfen;
Auf den Füßen geht's nicht mehr,
Drum gehn wir auf den Köpfen.
DIE UNBEHILFLICHEN
4505
Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
Nun aber Gott befohlen!
Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
Wir laufen auf nackten Sohlen.
IRRLICHTER
Von dem Sumpfe kommen wir,
4510Woraus wir erst entstanden;
Doch sind wir gleich im Reihen hier
Die glänzenden Galanten.
STERNSCHNUPPE
Aus der Höhe schoß ich her
Im Stern– und Feuerscheine,
4515Liege nun im Grase quer —
Wer hilft mir auf die Beine?
DIE MASSIVEN
Platz und Platz! und ringsherum!
So gehn die Gräschen nieder.
Geister kommen, Geister auch,
4520Sie haben plumpe Glieder.
PUCK
Tretet nicht so mastig auf
Wie Elefantenkälber,
Und der plumpst' an diesem Tag
Sei Puck, der derbe, selber.
ARIEL
4525
Gab die liebende Natur,
Gab der Geist euch Flügel,
Folget meiner leichten Spur,
Auf zum Rosenhügel!
ORCHESTER
Pianissimo.
Wolkenzug und Nebelflor
4530Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr,
Und alles ist zerstoben.
TRÜBER TAG. FELD
Faust. Mephistopheles.
FAUST
Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange verirrt und nun gefangen! Als Missetäterin im Kerker zu entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Geschöpf! Bis dahin! dahin! — Verräterischer, nichtswürdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht! — Steh nur, steh! Wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf herum! Steh und trutze mir durch deine unerträgliche Gegenwart! Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen Geistern übergeben und der richtenden gefühllosen Menschheit! Und mich wiegst du indes in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir ihren wachsenden Jammer und lässest sie hilflos verderben!
MEPHISTOPHELES
FAUST
4535Hund! abscheuliches Untier! — Wandle ihn, du unendlicher Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt, wie er sich oft nächtlicherweile gefiel, vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern und sich dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl' ihn wieder in seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füßen trete, den Verworfnen! — Die erste nicht! — Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elendes versank, daß nicht das erste genugtat für die Schuld aller übrigen in seiner windenden Todesnot vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir wühlt es Mark und Leben durch, das Elend dieser einzigen — du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin!
MEPHISTOPHELES
Nun sind wir schon wieder an der Grenze unsres Witzes, da, wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns wenn du sie nicht durchführen kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?
FAUST
Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir ekelt's! Großer, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele, warum an den Schandgesellen mich schmieden, der sich am Schaden weidet und am Verderben sich letzt?
MEPHISTOPHELES
FAUST
Rette sie! oder weh dir! Den gräßlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende!
MEPHISTOPHELES
4540Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel nicht öffnen. — Rette sie! — Wer war's, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?
Faust blickt wild umher.
Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elenden Sterblichen nicht gegeben ward! Den unschuldig Entgegnenden zu zerschmettern, das ist so Tyrannenart, sich in Verlegenheiten Luft zu machen.
FAUST
Bringe mich hin! Sie soll frei sein!
MEPHISTOPHELES
Und die Gefahr, der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand. Über des Erschlagenen Stätte schweben rächende Geister und lauern auf den wiederkehrenden Mörder.
FAUST
4545
Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich Ungeheuer! Führe mich hin, sag ich, und befrei sie.
MEPHISTOPHELES
Ich führe dich, und was ich tun kann, höre! Habe ich alle Macht im Himmel und auf Erden? Des Türners Sinne will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel und führe sie heraus mit Menschenhand! Ich wache, die Zauberpferde sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich.
FAUST
NACHT, OFFEN FELD
Faust, Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daherbrausend.
FAUST
Was weben die dort um den Rabenstein?
MEPHISTOPHELES
Weiß nicht, was sie kochen und schaffen.
FAUST
4550
Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.
MEPHISTOPHELES
FAUST
MEPHISTOPHELES
KERKER
FAUST
mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen Türchen.
Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
4555Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.
Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
Du zauderst, zu ihr zu gehen!
Du fürchtest, sie wiederzusehen!
4560Fort! dein Zagen zögert den Tod heran.
Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.
Meine Mutter, die Hur,
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm,
4565Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein,
An einem kühlen Ort;
Da ward ich ein schönes Waldvögelein;
4570Fliege fort, fliege fort!
FAUST
aufschließend.
Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht,
Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht.
Er tritt ein.
MARGARETE
sich auf dem Lager verbergend.
Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!
FAUST
leise.
Still! Still! ich komme, dich zu befreien.
MARGARETE
sich vor ihn hinwälzend.
4575
Bist du ein Mensch, so fühle meine Not.
FAUST
Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.
MARGARETE
auf den Knien.
Wer hat dir Henker diese Macht
Über mich gegeben!
Du holst mich schon um Mitternacht.
4580Erbarme dich und laß mich leben!
Ist's morgen früh nicht zeitig genung?
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
4585Nah war der Freund, nun ist er weit;
Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab ich dir getan?
Laß mich nicht vergebens flehen,
4590Hab ich dich doch mein Tage nicht gesehen!
FAUST
Werd ich den Jammer überstehen!
MARGARETE
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
Ich herzt es diese ganze Nacht;
4595Sie nahmen mir's, um mich zu kränken,
Und sagen nun, ich hätt es umgebracht.
Und niemals werd ich wieder froh.
Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!
Ein altes Märchen endigt so,
4600Wer heißt sie's deuten?
FAUST
wirft sich nieder.
Ein Liebender liegt dir zu Füßen,
Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.
MARGARETE
wirft sich zu ihm.
O laß uns knien, die Heil'gen anzurufen!
Sieh! unter diesen Stufen,
4605Unter der Schwelle
Siedet die Hölle!
Der Böse,
Mit furchtbarem Grimme,
Macht ein Getöse!
FAUST
laut.
MARGARETE
aufmerksam.
Das war des Freundes Stimme!
Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.
Wo ist er? ich hab ihn rufen hören.
Ich bin frei! mir soll niemand wehren.
4615An seinen Hals will ich fliegen,
An seinem Busen liegen!
Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durchs Heulen und Klappen der Hölle,
Durch den grimmigen, teuflischen Hohn
4620Erkannt ich den süßen, den liebenden Ton.
FAUST
MARGARETE
Du bist's! O sag es noch einmal!
Ihn fassend.
Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual?
4625Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
Du bist's! Kommst, mich zu retten.
Ich bin gerettet!
Schon ist die Straße wieder da,
Auf der ich dich zum ersten Male sah.
4630Und der heitere Garten,
Wo ich und Marthe deiner warten.
FAUST
fortstrebend.
MARGARETE
O weile!
Weil ich doch so gern, wo du weilest.
Liebkosend.
FAUST
4635
Eile!
Wenn du nicht eilest
Werden wir's teuer büßen müssen.
MARGARETE
Wie? du kannst nicht mehr küssen?
Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
4640Und hast's Küssen verlernt?
Warum wird mir an deinem Halse so bang?
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang,
Und du mich küßtest, als wolltest du mich ersticken.
4645Küsse mich!
Sonst küß ich dich!
Sie umfaßt ihn.
O weh! deine Lippen sind kalt,
Sind stumm.
4650Wo ist dein Lieben
Geblieben?
Wer brachte mich drum?
Sie wendet sich von ihm.
FAUST
Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Mut!
Ich herze dich mit tausendfacher Glut;
4655Nur folge mir! Ich bitte dich nur dies!
MARGARETE
zu ihm gewendet.
Und bist du's denn? Und bist du's auch gewiß?
FAUST
MARGARETE
Du machst die Fesseln los,
Nimmst wieder mich in deinen Schoß.
4660Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? —
Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?
FAUST
Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.
MARGARETE
Meine Mutter hab ich umgebracht,
Mein Kind hab ich ertränkt.
4665War es nicht dir und mir geschenkt?
Dir auch. — Du bist's! ich glaub es kaum.
Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
Deine liebe Hand! — Ach, aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich deucht,
4670Ist Blut dran.
Ach Gott! was hast du getan!
Stecke den Degen ein,
Ich bitte dich drum!
FAUST
Laß das Vergangne vergangen sein,
4675Du bringst mich um.
MARGARETE
Nein, du mußt übrigbleiben!
Ich will dir die Gräber beschreiben,
Für die mußt du sorgen
Gleich morgen;
4680Der Mutter den besten Platz geben,
Meinen Bruder sogleich darneben,
Mich ein wenig beiseit,
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust.
4685
Niemand wird sonst bei mir liegen! —
Mich an deine Seite zu schmiegen,
Das war ein süßes, ein holdes Glück!
Aber es will mir nicht mehr gelingen;
Mir ist's, als müßt ich mich zu dir zwingen,
4690Als stießest du mich von dir zurück;
Und doch bist du's und blickst so gut, so fromm.
FAUST
Fühlst du, daß ich es bin, so komm!
MARGARETE
FAUST
MARGARETE
4695
Ist das Grab drauß, Lauert der Tod, so komm!
Von hier ins ewige Ruhebett
Und weiter keinen Schritt —
Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt ich mit!
FAUST
Du kannst! So wolle nur! Die Tür steht offen!
MARGARETE
4700Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
Was hilft es, fliehn? Sie lauern doch mir auf.
Es ist so elend, betteln zu müssen,
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
Es ist so elend, in der Fremde schweifen,
4705Und sie werden mich doch ergreifen!
FAUST
MARGARETE
Geschwind! Geschwind!
Rette dein armes Kind!
Fort! immer den Weg
Am Bach hinauf,
4710Über den Steg,
In den Wald hinein,
Links, wo die Planke steht,
Im Teich.
Faß es nur gleich!
4715Es will sich heben,
Es zappelt noch!
Rette! rette!
FAUST
Besinne dich doch!
Nur einen Schritt, so bist du frei!
MARGARETE
4720
Wären wir nur den Berg vorbei!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Es faßt mich kalt beim Schopfe!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe
4725Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief, damit wir uns freuten.
Es waren glückliche Zeiten!
FAUST
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen,
4730So wag ich's, dich hinwegzutragen.
MARGARETE
Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so mörderisch an!
Sonst hab ich dir ja alles zulieb getan.
FAUST
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
MARGARETE
4735
Tag! Ja, es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
Mein Hochzeittag sollt es sein!
Sag niemand, daß du schon bei Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!
4740Wir werden uns wiedersehn;
Aber nicht beim Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.
4745Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe, die nach meinem zückt.
4750Stumm liegt die Welt wie das Grab!
FAUST
MEPHISTOPHELES
erscheint draußen.
Auf! oder ihr seid verloren.
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
Mein Pferde schaudern,
4755Der Morgen dämmert auf.
MARGARETE
Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schick ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!
FAUST
MARGARETE
Gericht Gottes! dir hab ich mich übergeben!
MEPHISTOPHELES
zu Faust.
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.
MARGARETE
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,
4765Lagert euch umher, mich zu bewahren!
Heinrich! Mir graut's vor dir.
MEPHISTOPHELES
STIMME
von oben.
MEPHISTOPHELES
zu Faust.
Verschwindet mit Faust.
STIMME
von innen, verhallend.