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Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Faust. Der Tragödie erster Teil
Faust. Der Tragödie zweiter Teil →
    Apostoph gestrichen:
    beiseit' -> beiseit
    hatt’ -> hatt
    Großschreibung:
    im trüben fischen -> im Trüben fischen
    im stillen -> im Stillen
    Interpunktion:
    Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll
    Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll
    So müßt Ihr's so genau nicht nehmen.
    ->
    Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
    Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll,
    So müßt Ihr's so genau nicht nehmen.
    Führ uns gut und mach dir Ehre
    Daß wir vorwärts bald gelangen
    ->
    Führ uns gut und mach dir Ehre,
    Daß wir vorwärts bald gelangen
    Du mußt des Felsens alte Rippen packen
    Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.
    ->
    Du mußt des Felsens alte Rippen packen,
    Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.

    Johann Wolfgang von GoetheFaust

    ZUEIGNUNG

    1
    Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
    Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
    Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
    Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
    5
    Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
    Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
    Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
    Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
    Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
    10
    Und manche liebe Schatten steigen auf;
    Gleich einer alten, halbverklungnen Sage
    Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;
    Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
    Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
    15
    Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
    Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
    Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
    Die Seelen, denen ich die ersten sang;
    Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
    20
    Verklungen, ach! der erste Widerklang.
    Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,
    Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
    Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
    Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
    25
    Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
    Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
    Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
    Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
    Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen,
    30
    Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;
    Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
    Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.

    VORSPIEL AUF DEM THEATER

    Direktor. Theatherdichter. Lustige Person.

    DIREKTOR

    Ihr beiden, die ihr mir so oft,
    In Not und Trübsal, beigestanden,
    35
    Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen
    Von unsrer Unternehmung hofft?
    Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
    Besonders weil sie lebt und leben läßt.
    Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
    40
    Und jedermann erwartet sich ein Fest.
    Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
    Gelassen da und möchten gern erstaunen.
    Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;
    Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
    45
    Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
    Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
    Wie machen wir's, daß alles frisch und neu
    Und mit Bedeutung auch gefällig sei?
    Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
    50
    Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
    Und mit gewaltig wiederholten Wehen
    Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
    Bei hellem Tage, schon vor vieren,
    Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
    55
    Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,
    Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
    Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
    Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!

    DICHTER

    O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
    60
    Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
    Verhülle mir das wogende Gedränge,
    Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
    Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
    Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
    65
    Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen
    Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
    Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
    Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
    Mißraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
    70
    Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
    Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
    Erscheint es in vollendeter Gestalt.
    Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,
    Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.

    LUSTIGE PERSON

    75
    Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
    Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte,
    Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
    Den will sie doch und soll ihn haben.
    Die Gegenwart von einem braven Knaben
    80
    Ist, dächt ich, immer auch schon was.
    Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,
    Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
    Er wünscht sich einen großen Kreis,
    Um ihn gewisser zu erschüttern.
    85
    Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,
    Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
    Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
    Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.

    DIREKTOR

    Besonders aber laßt genug geschehn!
    90
    Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
    Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
    So daß die Menge staunend gaffen kann,
    Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,
    Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
    95
    Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
    Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
    Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
    Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
    Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
    100
    Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;
    Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
    Was hilft's, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht?
    Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.

    DICHTER

    Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
    105
    Wie wenig das dem echten Künstler zieme!
    Der saubern Herren Pfuscherei
    Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.

    DIREKTOR

    Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt:
    Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
    110
    Muß auf das beste Werkzeug halten.
    Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,
    Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt!
    Wenn diesen Langeweile treibt,
    Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
    115
    Und, was das Allerschlimmste bleibt,
    Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
    Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
    Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
    Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
    120
    Und spielen ohne Gage mit.
    Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe?
    Was macht ein volles Haus Euch froh?
    Beseht die Gönner in der Nähe!
    Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
    125
    Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
    Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
    Was plagt ihr armen Toren viel,
    Zu solchem Zweck, die holden Musen?
    Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,
    130
    So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren
    Sucht nur die Menschen zu verwirren,
    Sie zu befriedigen, ist schwer — —
    Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?

    DICHTER

    Geh hin und such dir einen andern Knecht!
    135
    Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
    Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
    Um deinetwillen freventlich verscherzen!
    Wodurch bewegt er alle Herzen?
    Wodurch besiegt er jedes Element?
    140
    Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
    Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?
    Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,
    Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
    Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge
    145
    Verdrießlich durcheinander klingt;
    Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe
    Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?
    Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
    Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?
    150
    Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten?
    Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?
    Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten
    Auf der Geliebten Pfade hin?
    Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
    155
    Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
    Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
    Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.

    LUSTIGE PERSON

    So braucht sie denn, die schönen Kräfte
    Und treibt die dichtrischen Geschäfte
    160
    Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
    Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
    Und nach und nach wird man verflochten;
    Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
    Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
    165
    Und eh man sich's versieht, ist's eben ein Roman.
    Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
    Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
    Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
    Und wo ihr's packt, da ist's interessant.
    170
    In bunten Bildern wenig Klarheit,
    Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
    So wird der beste Trank gebraut,
    Der alle Welt erquickt und auferbaut.
    Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
    175
    Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
    Dann sauget jedes zärtliche Gemüte
    Aus eurem Werk sich melanchol'sche Nahrung,
    Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt,
    Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.
    180
    Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,
    Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
    Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;
    Ein Werdender wird immer dankbar sein.

    DICHTER

    So gib mir auch die Zeiten wieder,
    185
    Da ich noch selbst im Werden war,
    Da sich ein Quell gedrängter Lieder
    Ununterbrochen neu gebar,
    Da Nebel mir die Welt verhüllten,
    Die Knospe Wunder noch versprach,
    190
    Da ich die tausend Blumen brach,
    Die alle Täler reichlich füllten.
    Ich hatte nichts und doch genug:
    Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
    Gib ungebändigt jene Triebe,
    195
    Das tiefe, schmerzenvolle Glück,
    Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
    Gib meine Jugend mir zurück!

    LUSTIGE PERSON

    Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,
    Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
    200
    Wenn mit Gewalt an deinen Hals
    Sich allerliebste Mädchen hängen,
    Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
    Vom schwer erreichten Ziele winket,
    Wenn nach dem heft'gen Wirbeltanz
    205
    Die Nächte schmausend man vertrinket.
    Doch ins bekannte Saitenspiel
    Mit Mut und Anmut einzugreifen,
    Nach einem selbstgesteckten Ziel
    Mit holdem Irren hinzuschweifen,
    210
    Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
    Und wir verehren euch darum nicht minder.
    Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
    Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

    DIREKTOR

    Der Worte sind genug gewechselt,
    215
    Laßt mich auch endlich Taten sehn!
    Indes ihr Komplimente drechselt,
    Kann etwas Nützliches geschehn.
    Was hilft es, viel von Stimmung reden?
    Dem Zaudernden erscheint sie nie.
    220
    Gebt ihr euch einmal für Poeten,
    So kommandiert die Poesie.
    Euch ist bekannt, was wir bedürfen,
    Wir wollen stark Getränke schlürfen;
    Nun braut mir unverzüglich dran!
    225
    Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
    Und keinen Tag soll man verpassen,
    Das Mögliche soll der Entschluß
    Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
    Er will es dann nicht fahren lassen
    230
    Und wirket weiter, weil er muß.
    Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
    Probiert ein jeder, was er mag;
    Drum schonet mir an diesem Tag
    Prospekte nicht und nicht Maschinen.
    235
    Gebraucht das groß und kleine Himmelslicht,
    Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
    An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
    An Tier und Vögeln fehlt es nicht.
    So schreitet in dem engen Bretterhaus
    240
    Den ganzen Kreis der Schöpfung aus
    Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle
    Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

    PROLOG IM HIMMEL

    Der Herr, die himmlischen Heerscharen, nachher Mephistopheles.
    Die drei Erzengel treten vor.

    RAPHAEL

    Die Sonne tönt, nach alter Weise
    In Brudersphären Wettgesang,
    245
    Und ihre vorgeschriebne Reise
    Vollendet sie mit Donnergang.
    Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
    Wenn keiner Sie ergründen mag;
    die unbegreiflich hohen Werke
    250
    Sind herrlich wie am ersten Tag.

    GABRIEL

    Und schnell und unbegreiflich schnelle
    Dreht sich umher der Erde Pracht;
    Es wechselt Paradieseshelle
    Mit tiefer, schauervoller Nacht.
    255
    Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
    Am tiefen Grund der Felsen auf,
    Und Fels und Meer wird fortgerissen
    Im ewig schnellem Sphärenlauf.

    MICHAEL

    Und Stürme brausen um die Wette,
    260
    Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
    und bilden wütend eine Kette
    Der tiefsten Wirkung rings umher.
    Da flammt ein blitzendes Verheeren
    Dem Pfade vor des Donnerschlags.
    265
    Doch deine Boten, Herr, verehren
    Das sanfte Wandeln deines Tags.

    ZU DREI

    Der Anblick gibt den Engeln Stärke,
    Da keiner dich ergründen mag,
    Und alle deine hohen Werke
    270
    Sind herrlich wie am ersten Tag.

    MEPHISTOPHELES

    Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
    Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
    Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
    So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
    275
    Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
    Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
    Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
    Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
    Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen,
    280
    Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
    Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
    Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
    Ein wenig besser würd er leben,
    Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
    285
    Er nennt's Vernunft und braucht's allein,
    Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
    Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,
    Wie eine der langbeinigen Zikaden,
    Die immer fliegt und fliegend springt
    290
    Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
    Und läg er nur noch immer in dem Grase!
    In jeden Quark begräbt er seine Nase.

    DER HERR

    Hast du mir weiter nichts zu sagen?
    Kommst du nur immer anzuklagen?
    295
    Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

    MEPHISTOPHELES

    Nein, Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.
    Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
    Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.

    DER HERR

    Kennst du den Faust?

    MEPHISTOPHELES

    300
    Den Doktor?

    DER HERR

    Meinen Knecht!

    MEPHISTOPHELES

    Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise.
    Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.
    Ihn treibt die Gärung in die Ferne,
    305
    Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
    Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne
    Und von der Erde jede höchste Lust,
    Und alle Näh und alle Ferne
    Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

    DER HERR

    310
    Wenn er mir auch nur verworren dient,
    So werd ich ihn bald in die Klarheit führen.
    Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
    Daß Blüt und Frucht die künft'gen Jahre zieren.

    MEPHISTOPHELES

    Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren!
    315
    Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,
    Ihn meine Straße sacht zu führen.

    DER HERR

    Solang er auf der Erde lebt,
    So lange sei dir's nicht verboten,
    Es irrt der Mensch so lang er strebt.

    MEPHISTOPHELES

    320
    Da dank ich Euch; denn mit den Toten
    Hab ich mich niemals gern befangen.
    Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.
    Für einem Leichnam bin ich nicht zu Haus;
    Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

    DER HERR

    325
    Nun gut, es sei dir überlassen!
    Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
    Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,
    Auf deinem Wege mit herab,
    Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt:
    330
    Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange,
    Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

    MEPHISTOPHELES

    Schon gut! nur dauert es nicht lange.
    Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
    Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
    335
    Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.
    Staub soll er fressen, und mit Lust,
    Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

    DER HERR

    Du darfst auch da nur frei erscheinen;
    Ich habe deinesgleichen nie gehaßt.
    340
    Von allen Geistern, die verneinen,
    ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
    Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
    er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
    Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,
    345
    Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. —
    Doch ihr, die echten Göttersöhne,
    Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
    Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
    Umfass euch mit der Liebe holden Schranken,
    350
    Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
    Befestigt mit dauernden Gedanken!
    Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.

    MEPHISTOPHELES

    allein.
    Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
    Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
    Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
    355
    So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

    DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL

    Nacht.
    In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust, unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

    FAUST

    Habe nun, ach! Philosophie,
    Juristerei und Medizin,
    Und leider auch Theologie
    Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
    360
    Da steh ich nun, ich armer Tor,
    Und bin so klug als wie zuvor!
    Heiße Magister, heiße Doktor gar,
    Und ziehe schon an die zehen Jahr
    Herauf, herab und quer und krumm
    365
    Meine Schüler an der Nase herum —
    Und sehe, daß wir nichts wissen können!
    Das will mir schier das Herz verbrennen.
    Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,
    Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
    370
    Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
    Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel —
    Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,
    Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
    Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
    375
    Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
    Auch hab ich weder Gut noch Geld,
    Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
    Es möchte kein Hund so länger leben!
    Drum hab ich mich der Magie ergeben,
    380
    Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
    Nicht manch Geheimnis würde kund;
    Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß
    Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
    Daß ich erkenne, was die Welt
    385
    Im Innersten zusammenhält,
    Schau alle Wirkenskraft und Samen,
    Und tu nicht mehr in Worten kramen.
    O sähst du, voller Mondenschein,
    Zum letztenmal auf meine Pein,
    390
    Den ich so manche Mitternacht
    An diesem Pult herangewacht:
    Dann über Büchern und Papier,
    Trübsel'ger Freund, erschienst du mir!
    Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn
    395
    In deinem lieben Lichte gehn,
    Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
    Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
    Von allem Wissensqualm entladen,
    In deinem Tau gesund mich baden!
    400
    Weh! steck ich in dem Kerker noch?
    Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
    Wo selbst das liebe Himmelslicht
    Trüb durch gemalte Scheiben bricht!
    Beschränkt mit diesem Bücherhauf,
    405
    den Würme nagen, Staub bedeckt,
    Den bis ans hohe Gewölb hinauf
    Ein angeraucht Papier umsteckt;
    Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
    Mit Instrumenten vollgepfropft,
    410
    Urväter Hausrat drein gestopft —
    Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
    Und fragst du noch, warum dein Herz
    Sich bang in deinem Busen klemmt?
    Warum ein unerklärter Schmerz
    415
    Dir alle Lebensregung hemmt?
    Statt der lebendigen Natur,
    Da Gott die Menschen schuf hinein,
    Umgibt in Rauch und Moder nur
    Dich Tiergeripp und Totenbein.
    420
    Flieh! auf! hinaus ins weite Land!
    Und dies geheimnisvolle Buch,
    Von Nostradamus' eigner Hand,
    Ist dir es nicht Geleit genug?
    Erkennest dann der Sterne Lauf,
    425
    Und wenn Natur dich unterweist,
    Dann geht die Seelenkraft dir auf,
    Wie spricht ein Geist zum andren Geist.
    Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
    Die heil'gen Zeichen dir erklärt:
    430
    Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
    Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
    Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
    Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
    Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
    435
    Ich fühle junges, heil'ges Lebensglück
    Neuglühend mir durch Nerv' und Adern rinnen.
    War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
    Die mir das innre Toben stillen,
    Das arme Herz mit Freude füllen,
    440
    Und mit geheimnisvollem Trieb
    Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?
    Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
    Ich schau in diesen reinen Zügen
    Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
    445
    Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:
    „Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
    Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!
    Auf, bade, Schüler, unverdrossen
    Die ird'sche Brust im Morgenrot!”
    450
    Er beschaut das Zeichen.
    Wie alles sich zum Ganzen webt,
    Eins in dem andern wirkt und lebt!
    Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
    Und sich die goldnen Eimer reichen!
    455
    Mit segenduftenden Schwingen
    Vom Himmel durch die Erde dringen,
    Harmonisch all das All durchklingen!
    Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!
    Wo fass ich dich, unendliche Natur?
    460
    Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
    An denen Himmel und Erde hängt,
    Dahin die welke Brust sich drängt —
    Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?
    Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.
    465
    Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!
    Du, Geist der Erde, bist mir näher;
    Schon fühl ich meine Kräfte höher,
    Schon glüh ich wie von neuem Wein.
    Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,
    470
    Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
    Mit Stürmen mich herumzuschlagen
    Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.
    Es wölkt sich über mir —
    Der Mond verbirgt sein Licht —
    475
    Die Lampe schwindet!
    Es dampft! Es zucken rote Strahlen
    Mir um das Haupt — Es weht
    Ein Schauer vom Gewölb herab
    Und faßt mich an!
    480
    Ich fühl's, du schwebst um mich, erflehter Geist.
    Enthülle dich!
    Ha! wie's in meinem Herzen reißt!
    Zu neuen Gefühlen
    All' meine Sinnen sich erwühlen!
    485
    Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
    Du mußt! du mußt! und kostet es mein Leben!
    Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.

    GEIST

    Wer ruft mir?

    FAUST

    abgewendet.
    Schreckliches Gesicht!

    GEIST

    Du hast mich mächtig angezogen,
    490
    An meiner Sphäre lang gesogen,
    Und nun —

    FAUST

    Weh! ich ertrag dich nicht!

    GEIST

    Du flehst, eratmend mich zu schauen,
    Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;
    495
    Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
    Da bin ich! — Welch erbärmlich Grauen
    Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
    Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf
    Und trug und hegte, die mit Freudebeben
    500
    Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
    Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,
    Der sich an mich mit allen Kräften drang?
    Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,
    In allen Lebenslagen zittert,
    505
    Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?

    FAUST

    Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
    Ich bin's, bin Faust, bin deinesgleichen!

    GEIST

    In Lebensfluten, im Tatensturm
    Wall ich auf und ab,
    510
    Wehe hin und her!
    Geburt und Grab,
    Ein ewiges Meer,
    Ein wechselndes Wehen,
    Ein glühend Leben,
    515
    So schaff ich am laufenden Webstuhl der Zeit
    Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

    FAUST

    Der du die weite Welt umschweifst,
    Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

    GEIST

    Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
    520
    Nicht mir!
    verschwindet.

    FAUST

    zusammenstürzend.
    Nicht dir?
    Wem denn?
    Ich Ebenbild der Gottheit!
    Und nicht einmal dir!
    525
    Es klopft.
    O Tod! ich kenn's — das ist mein Famulus —
    Es wird mein schönstes Glück zunichte!
    Daß diese Fülle der Gesichte
    Der trockne Schleicher stören muß!
    Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.

    WAGNER

    530
    Verzeiht! ich hör euch deklamieren;
    Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel?
    In dieser Kunst möcht ich was profitieren,
    Denn heutzutage wirkt das viel.
    Ich hab es öfters rühmen hören,
    535
    Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

    FAUST

    Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;
    Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.

    WAGNER

    Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
    Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,
    540
    Kaum durch ein Fernglas, nur von weitem,
    Wie soll man sie durch Überredung leiten?

    FAUST

    Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,
    Wenn es nicht aus der Seele dringt
    Und mit urkräftigem Behagen
    545
    Die Herzen aller Hörer zwingt.
    Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
    Braut ein Ragout von andrer Schmaus
    Und blast die kümmerlichen Flammen
    Aus eurem Aschenhäufchen 'raus!
    550
    Bewundrung von Kindern und Affen,
    Wenn euch darnach der Gaumen steht;
    Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
    Wenn es euch nicht von Herzen geht.

    WAGNER

    Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
    555
    Ich fühl es wohl, noch bin ich weit zurück.

    FAUST

    Such Er den redlichen Gewinn!
    Sei Er kein schellenlauter Tor!
    Es trägt Verstand und rechter Sinn
    Mit wenig Kunst sich selber vor!
    560
    Und wenn's euch Ernst ist, was zu sagen,
    Ist's nötig, Worten nachzujagen?
    Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
    In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
    Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
    565
    Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

    WAGNER

    Ach Gott! die Kunst ist lang;
    Und kurz ist unser Leben.
    Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
    Doch oft um Kopf und Busen bang.
    570
    Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
    Durch die man zu den Quellen steigt!
    Und eh man nur den halben Weg erreicht,
    Muß wohl ein armer Teufel sterben.

    FAUST

    Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
    575
    Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
    Erquickung hast du nicht gewonnen,
    Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

    WAGNER

    Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
    Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
    580
    Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
    Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

    FAUST

    O ja, bis an die Sterne weit!
    Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
    Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
    585
    Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
    Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
    In dem die Zeiten sich bespiegeln.
    Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!
    Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.
    590
    Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer
    Und höchstens eine Haupt– und Staatsaktion
    Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
    Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

    WAGNER

    Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
    595
    Möcht jeglicher doch was davon erkennen.

    FAUST

    Ja, was man so erkennen heißt!
    Wer darf das Kind beim Namen nennen?
    Die wenigen, die was davon erkannt,
    Die töricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
    600
    Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
    Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
    Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
    Wir müssen's diesmal unterbrechen.

    WAGNER

    Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
    605
    Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.
    Doch morgen, als am ersten Ostertage,
    Erlaubt mir ein' und andre Frage.
    Mit Eifer hab' ich mich der Studien beflissen;
    Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen.
    ab.

    FAUST

    allein.
    610
    Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
    Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
    Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt,
    Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
    Darf eine solche Menschenstimme hier,
    615
    Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
    Doch ach! für diesmal dank ich dir,
    Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
    Du rissest mich von der Verzweiflung los,
    Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
    620
    Ach! die Erscheinung war so riesengroß,
    Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
    Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
    Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit,
    Sein selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit,
    625
    Und abgestreift den Erdensohn;
    Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
    Schon durch die Adern der Natur zu fließen
    Und, schaffend, Götterleben zu genießen
    Sich ahnungsvoll vermaß, wie muß ich's büßen!
    630
    Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
    Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen;
    Hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen,
    So hatt ich dich zu halten keine Kraft.
    In jenem sel'gen Augenblicke
    635
    Ich fühlte mich so klein, so groß;
    Du stießest grausam mich zurücke,
    Ins ungewisse Menschenlos.
    Wer lehret mich? was soll ich meiden?
    Soll ich gehorchen jenem Drang?
    640
    Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
    Sie hemmen unsres Lebens Gang.
    Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
    Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
    Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
    645
    Dann heißt das Bessre Trug und Wahn.
    Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
    Erstarren in dem irdischen Gewühle.
    Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug
    Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
    650
    So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
    Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
    Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
    Dort wirket sie geheime Schmerzen,
    Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
    655
    Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
    Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
    Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
    Du bebst vor allem, was nicht trifft,
    Und was du nie verlierst, das mußt du stets beweinen.
    660
    Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt;
    Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt,
    Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
    Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
    Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand
    665
    Aus hundert Fächern mit verenget?
    Der Trödel, der mit tausendfachem Tand
    In dieser Mottenwelt mich dränget?
    Hier soll ich finden, was mir fehlt?
    Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
    670
    Daß überall die Menschen sich gequält,
    Daß hie und da ein Glücklicher gewesen?
    Was grinsest du mir, hohler Schädel, her?
    Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret
    Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,
    675
    Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
    Ihr Instrumente freilich spottet mein,
    Mit Rad und Kämmen, Walz und Bügel:
    Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;
    Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
    680
    Geheimnisvoll am lichten Tag
    Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
    Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
    Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
    Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,
    685
    Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
    Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
    Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.
    Weit besser hätt ich doch mein Weniges verpraßt,
    Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!
    690
    Was du ererbt von deinen Vätern hast,
    Erwirb es, um es zu besitzen.
    Was man nicht nützt, ist eine schwere Last,
    Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.
    Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
    695
    Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
    Warum wird mir auf einmal lieblich helle,
    Als wenn im nächt'gen Wald uns Mondenglanz umweht?
    Ich grüße dich, du einzige Phiole,
    Die ich mit Andacht nun herunterhole!
    700
    In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.
    Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
    Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
    Erweise deinem Meister deine Gunst!
    Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
    705
    Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
    Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.
    Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,
    Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,
    Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
    710
    Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen
    An mich heran! Ich fühle mich bereit,
    Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
    Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.
    Dies hohe Leben, diese Götterwonne!
    715
    Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
    Ja, kehre nur der holden Erdensonne
    Entschlossen deinen Rücken zu!
    Vermesse dich, die Pforten aufzureißen,
    Vor denen jeder gern vorüberschleicht!
    720
    Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,
    Das Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,
    Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
    In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,
    Nach jenem Durchgang hinzustreben,
    725
    Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
    Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen,
    Und wär es mit Gefahr, ins Nichts dahinzufließen.
    Nun komm herab, kristallne reine Schale!
    Hervor aus deinem alten Futterale,
    730
    An die ich viele Jahre nicht gedacht!
    Du glänzetst bei der Väter Freudenfeste,
    Erheitertest die ernsten Gäste,
    Wenn einer dich dem andern zugebracht.
    Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
    735
    Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
    Auf einen Zug die Höhlung auszuleeren,
    Erinnert mich an manche Jugendnacht.
    Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
    Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen.
    740
    Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;
    Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.
    Den ich bereit, den ich wähle,
    Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,
    Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
    Er setzt die Schale an den Mund.
    Glockenklang und Chorgesang.

    CHOR DER ENGEL

    745
    Christ ist erstanden!
    Freude dem Sterblichen,
    Den die verderblichen,
    Schleichenden, erblichen
    Mängel unwanden.

    FAUST

    750
    Welch tiefes Summen, welch heller Ton
    Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
    Verkündigt ihr dumpfen Glocken schon
    Des Osterfestes erste Feierstunde?
    Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang,
    755
    Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
    Gewißheit einem neuen Bunde?

    CHOR DER WEIBER

    Mit Spezereien
    Hatten wir ihn gepflegt,
    Wir seine Treuen
    760
    Hatten ihn hingelegt;
    Tücher und Binden
    Reinlich unwanden wir,
    Ach! und wir finden
    Christ nicht mehr hier.

    CHOR DER ENGEL

    765
    Christ ist erstanden!
    Selig der Liebende,
    Der die betrübende,
    Heilsam und übende
    Prüfung bestanden.

    FAUST

    770
    Was sucht ihr, mächtig und gelind,
    Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
    Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
    Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
    Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
    775
    Zu jenen Sphären wag ich nicht zu streben,
    Woher die holde Nachricht tönt;
    Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
    Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
    Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuß
    780
    Auf mich herab in ernster Sabbatstille;
    Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,
    Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
    Ein unbegreiflich holdes Sehnen
    Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,
    785
    Und unter tausend heißen Tränen
    Fühlt ich mir eine Welt entstehn.
    Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
    Der Frühlingsfeier freies Glück;
    Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
    790
    Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
    O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
    Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!

    CHOR DER JÜNGER

    Hat der Begrabene
    Schon sich nach oben,
    795
    Lebend Erhabene,
    Herrlich erhoben;
    Ist er in Werdeluft
    Schaffender Freude nah:
    Ach! an der Erde Brust
    800
    Sind wir zum Leide da.
    Ließ er die Seinen
    Schmachtend uns hier zurück;
    Ach! wir beweinen,
    Meister, dein Glück!

    CHOR DER ENGEL

    805
    Christ ist erstanden,
    Aus der Verwesung Schoß.
    Reißet von Banden
    Freudig euch los!
    Tätig ihn preisenden,
    810
    Liebe beweisenden,
    Brüderlich speisenden,
    Predigend reisenden,
    Wonne verheißenden
    Euch ist der Meister nah,
    815
    Euch ist er da!

    VOR DEM TOR

    Spaziergänger aller Art ziehen hinaus.

    EINIGE HANDWERKSBURSCHEN

    Warum denn dort hinaus?

    ANDRE

    Wir gehn hinaus aufs Jägerhaus.

    DIE ERSTEN

    Wir aber wollen nach der Mühle wandern.

    EIN HANDWERKSBURSCH

    Ich rat euch, nach dem Wasserhof zu gehn.

    ZWEITER

    820
    Der Weg dahin ist gar nicht schön.

    DIE ZWEITEN

    Was tust denn du?

    EIN DRITTER

    Ich gehe mit den andern.

    VIERTER

    Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr
    Die schönsten Mädchen und das beste Bier,
    825
    Und Händel von der ersten Sorte.

    FÜNFTER

    Du überlustiger Gesell,
    Juckt dich zum drittenmal das Fell?
    Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.

    DIENSTMÄDCHEN

    Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.

    ANDRE

    830
    Wir finden ihn gewiß bei jenen Pappeln stehen.

    ERSTE

    Das ist für mich kein großes Glück;
    Er wird an deiner Seite gehen,
    Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.
    Was gehn mich deine Freuden an!

    ANDRE

    835
    Heut ist er sicher nicht allein,
    Der Krauskopf, sagt er, würde bei ihm sein.

    SCHÜLER

    Blitz, wie die wackern Dirnen schreiten!
    Herr Bruder, komm! wir müssen sie begleiten.
    Ein starkes Bier, ein beizender Toback,
    840
    Und eine Magd im Putz, das ist nun mein Geschmack.

    BÜRGERMÄDCHEN

    Da sieh mir nur die schönen Knaben!
    Es ist wahrhaftig eine Schmach:
    Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,
    Und laufen diesen Mägden nach!

    ZWEITER SCHÜLER

    zum ersten.
    845
    Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwei,
    Sie sind gar niedlich angezogen,
    's ist meine Nachbarin dabei;
    Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.
    Sie gehen ihren stillen Schritt
    850
    Und nehmen uns doch auch am Ende mit.

    ERSTER

    Herr Bruder, nein! Ich bin nicht gern geniert.
    Geschwind! daß wir das Wildbret nicht verlieren.
    Die Hand, die samstags ihren Besen führt
    Wird sonntags dich am besten karessieren.

    BÜRGER

    855
    Nein, er gefällt mir nicht, der neue Burgemeister!
    Nun, da er's ist, wird er nur täglich dreister.
    Und für die Stadt was tut denn er?
    Wird es nicht alle Tage schlimmer?
    Gehorchen soll man mehr als immer,
    860
    Und zahlen mehr als je vorher.

    BETTLER

    singt.
    Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,
    So wohlgeputzt und backenrot,
    Belieb es euch, mich anzuschauen,
    Und seht und mildert meine Not!
    865
    Laßt hier mich nicht vergebens leiern!
    Nur der ist froh, der geben mag.
    Ein Tag, den alle Menschen feiern,
    Er sei für mich ein Erntetag.

    ANDRER BÜRGER

    Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn– und Feiertagen
    870
    Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
    Wenn hinten, weit, in der Türkei,
    Die Völker aufeinander schlagen.
    Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
    Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
    875
    Dann kehrt man abends froh nach Haus,
    Und segnet Fried und Friedenszeiten.

    DRITTER BÜRGER

    Herr Nachbar, ja! so laß ich's auch geschehn:
    Sie mögen sich die Köpfe spalten,
    Mag alles durcheinander gehn;
    880
    Doch nur zu Hause bleib's beim Alten.

    ALTE

    zu den Bürgermädchen.
    Ei! wie geputzt! das schöne junge Blut!
    Wer soll sich nicht in euch vergaffen? —
    Nur nicht so stolz! es ist schon gut!
    Und was ihr wünscht, das wüßt ich wohl zu schaffen.

    BÜRGERMÄDCHEN

    885
    Agathe, fort! ich nehme mich in acht,
    Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;
    Sie ließ mich zwar in Sankt Andreas' Nacht
    Den künft'gen Liebsten leiblich sehen —

    DIE ANDRE

    Mir zeigte sie ihn im Kristall,
    890
    Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;
    Ich seh mich um, ich such ihn überall,
    Allein mir will er nicht begegnen.

    SOLDATEN

    Burgen mit hohen
    Mauern und Zinnen,
    895
    Mädchen mit stolzen
    Höhnenden Sinnen
    Möcht ich gewinnen!
    Kühn ist das Mühen,
    Herrlich der Lohn!
    900
    Und die Trompete
    Lassen wir werben,
    Wie zu der Freude,
    So zum Verderben.
    Das ist ein Stürmen!
    905
    Das ist ein Leben!
    Mädchen und Burgen
    Müssen sich geben.
    Kühn ist das Mühen,
    Herrlich der Lohn!
    910
    Und die Soldaten
    Ziehen davon.
    Faust und Wagner.

    FAUST

    Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
    Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
    Im Tale grünet Hoffnungsglück;
    915
    Der alte Winter, in seiner Schwäche,
    Zog sich in rauhe Berge zurück.
    Von dorther sendet er, fliehend, nur
    Ohnmächtige Schauer kornigen Eises
    In Streifen über die grünende Flur;
    920
    Aber die Sonne duldet kein Weißes,
    Überall regt sich Bildung und Streben,
    Alles will sie mit Farben beleben;
    Doch an Blumen fehlt's im Revier
    Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
    925
    Kehre dich um, von diesen Höhen
    Nach der Stadt zurückzusehen.
    Aus dem hohlen finstern Tor
    Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
    Jeder sonnt sich heute so gern.
    930
    Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
    Denn sie sind selber auferstanden,
    Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
    Aus Handwerks — und Gewerbesbanden,
    Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
    935
    Aus der Straßen quetschender Enge,
    Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
    Sind sie alle ans Licht gebracht.
    Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
    Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
    940
    Wie der Fluß, in Breit und Länge
    So manchen lustigen Nachen bewegt,
    Und bis zum Sinken überladen
    Entfernt sich dieser letzte Kahn.
    Selbst von des Berges fernen Pfaden
    945
    Blinken uns farbige Kleider an.
    Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
    Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
    Zufrieden jauchzet groß und klein:
    Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!

    WAGNER

    950
    Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren,
    Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
    Doch würd ich nicht allein mich her verlieren,
    Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
    Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben
    955
    Ist mir ein gar verhaßter Klang;
    Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
    Und nennen's Freude, nennen's Gesang.
    Der Schäfer putzte sich zum Tanz,
    Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
    960
    Schmuck war er angezogen.
    Schon um die Linde war es voll,
    Und alles tanzte schon wie toll.
    Juchhe! Juchhe!
    Juchheisa! Heisa! He!
    965
    So ging der Fiedelbogen.
    Er drückte hastig sich heran,
    Da stieß er an ein Mädchen an
    Mit seinem Ellenbogen;
    Die frische Dirne kehrt' sich um
    970
    Und sagte: Nun, das find ich dumm!
    Juchhe! Juchhe!
    Juchheisa! Heisa! He!
    Seid nicht so ungezogen!
    Doch hurtig in dem Kreise ging's,
    975
    Sie tanzten rechts, sie tanzten links,
    Und alle Röcke flogen.
    Sie wurden rot, sie wurden warm
    Und ruhten atmend Arm in Arm,
    Juchhe! Juchhe!
    980
    Juchheisa! Heisa! He!
    Und Hüft an Ellenbogen.
    Und tu mir doch nicht so vertraut!
    Wie mancher hat nicht seine Braut
    Belogen und betrogen!
    985
    Er schmeichelte sie doch bei Seit,
    Und von der Linde scholl es weit:
    Juchhe! Juchhe!
    Juchheisa! Heisa! He!
    Geschrei und Fiedelbogen.

    ALTER BAUER

    990
    Herr Doktor, das ist schön von Euch,
    Daß Ihr uns heute nicht verschmäht,
    Und unter dieses Volksgedräng,
    Als ein so Hochgelahrter, geht.
    So nehmet auch den schönsten Krug,
    995
    Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
    Ich bring ihn zu und wünsche laut,
    Daß er nicht nur den Durst Euch stillt:
    Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
    Sei Euren Tagen zugelegt.

    FAUST

    1000
    Ich nehme den Erquickungstrank
    Erwidr' euch allen Heil und Dank.
    Das Volk sammelt sich im Kreis umher.

    ALTER BAUER

    Fürwahr, es ist sehr wohl getan,
    Daß Ihr am frohen Tag erscheint;
    Habt Ihr es vormals doch mit uns
    1005
    An bösen Tagen gut gemeint!
    Gar mancher steht lebendig hier
    Den Euer Vater noch zuletzt
    Der heißen Fieberwut entriß,
    Als er der Seuche Ziel gesetzt.
    1010
    Auch damals Ihr, ein junger Mann,
    Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
    Gar manche Leiche trug man fort,
    Ihr aber kamt gesund heraus,
    Bestandet manche harte Proben;
    1015
    Dem Helfer half der Helfer droben.

    ALLE

    Gesundheit dem bewährten Mann,
    Daß er noch lange helfen kann!

    FAUST

    Vor jenem droben steht gebückt,
    Der helfen lehrt und Hülfe schickt.
    1020
    Er geht mit Wagnern weiter.

    WAGNER

    Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann,
    Bei der Verehrung dieser Menge haben!
    O glücklich, wer von seinen Gaben
    Solch einen Vorteil ziehen kann!
    1025
    Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
    Ein jeder fragt und drängt und eilt,
    Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
    Du gehst, in Reihen stehen sie,
    Die Mützen fliegen in die Höh;
    1030
    Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
    Als käm das Venerabile.

    FAUST

    Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
    Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
    Hier saß ich oft gedankenvoll allein
    1035
    Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
    An Hoffnung reich, im Glauben fest,
    Mit Tränen, Seufzen, Händeringen
    Dacht ich das Ende jener Pest
    Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
    1040
    Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.
    O könntest du in meinem Innern lesen,
    Wie wenig Vater und Sohn
    Solch eines Ruhmes wert gewesen!
    Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
    1045
    Der über die Natur und ihre heil'gen Kreise
    In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
    Mit grillenhafter Mühe sann;
    Der, in Gesellschaft von Adepten,
    Sich in die schwarze Küche schloß,
    1050
    Und, nach unendlichen Rezepten,
    Das Widrige zusammengoß.
    Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier,
    Im lauen Bad der Lilie vermählt,
    Und beide dann mit offnem Flammenfeuer
    1055
    Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
    Erschien darauf mit bunten Farben
    Die junge Königin im Glas,
    Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
    Und niemand fragte: wer genas?
    1060
    So haben wir mit höllischen Latwergen
    In diesen Tälern, diesen Bergen
    Weit schlimmer als die Pest getobt.
    Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben:
    Sie welkten hin, ich muß erleben,
    1065
    Daß man die frechen Mörder lobt.

    WAGNER

    Wie könnt Ihr Euch darum betrüben!
    Tut nicht ein braver Mann genug,
    Die Kunst, die man ihm übertrug,
    Gewissenhaft und pünktlich auszuüben?
    1070
    Wenn du als Jüngling deinen Vater ehrst,
    So wirst du gern von ihm empfangen;
    Wenn du als Mann die Wissenschaft vermehrst,
    So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.

    FAUST

    O glücklich, wer noch hoffen kann,
    1075
    Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!
    Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
    Und was man weiß, kann man nicht brauchen.
    Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut
    Durch solchen Trübsinn nicht verkümmern!
    1080
    Betrachte, wie in Abendsonneglut
    Die grünumgebnen Hütten schimmern.
    Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
    Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
    O daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
    1085
    Ihr nach und immer nach zu streben!
    Ich säh im ewigen Abendstrahl
    Die stille Welt zu meinen Füßen,
    Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal,
    Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
    1090
    Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
    Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
    Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten
    Vor den erstaunten Augen auf.
    Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;
    1095
    Allein der neue Trieb erwacht,
    Ich eile fort, ihr ew'ges Licht zu trinken,
    Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht,
    Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
    Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
    1100
    Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
    Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
    Doch ist es jedem eingeboren,
    Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
    Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
    1105
    Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
    Wenn über schroffen Fichtenhöhen
    Der Adler ausgebreitet schwebt,
    Und über Flächen, über Seen
    Der Kranich nach der Heimat strebt.

    WAGNER

    1110
    Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
    Doch solchen Trieb hab ich noch nie empfunden.
    Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt;
    Des Vogels Fittich werd ich nie beneiden.
    Wie anders tragen uns die Geistesfreuden
    1115
    Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
    Da werden Winternächte hold und schön
    Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
    Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen,
    So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.

    FAUST

    1120
    Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
    O lerne nie den andern kennen!
    Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
    Die eine will sich von der andern trennen;
    Die eine hält, in derber Liebeslust,
    1125
    Sich an die Welt mit klammernden Organen;
    Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
    Zu den Gefilden hoher Ahnen.
    O gibt es Geister in der Luft,
    Die zwischen Erd und Himmel herrschend weben,
    1130
    So steiget nieder aus dem goldnen Duft
    Und führt mich weg zu neuem, buntem Leben!
    Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein,
    Und trüg er mich in fremde Länder!
    Mir sollt er um die köstlichsten Gewänder,
    1135
    Nicht feil um einen Königsmantel sein.

    WAGNER

    Berufe nicht die wohlbekannte Schar,
    Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,
    Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
    Von allen Enden her, bereitet.
    1140
    Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
    Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen;
    Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
    Und nähren sich von deinen Lungen;
    Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
    1145
    Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
    So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
    Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
    Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
    Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen;
    1150
    Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
    Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
    Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,
    Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
    Am Abend schätzt man erst das Haus. —
    1155
    Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?
    Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?

    FAUST

    Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?

    WAGNER

    Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.

    FAUST

    Betracht ihn recht! für was hältst du das Tier?

    WAGNER

    1160
    Für einen Pudel, der auf seine Weise
    Sich auf der Spur des Herren plagt.

    FAUST

    Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
    Er um uns her und immer näher jagt?
    Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
    1165
    Auf seinen Pfaden hinterdrein.

    WAGNER

    Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;
    Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.

    FAUST

    Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen
    Zu künft'gem Band um unsre Füße zieht.

    WAGNER

    1170
    Ich seh ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
    Weil er, statt seines Herrn, zwei Unbekannte sieht.

    FAUST

    Der Kreis wird eng, schon ist er nah!

    WAGNER

    Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
    Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
    1175
    Er wedelt. Alles Hundebrauch.

    FAUST

    Geselle dich zu uns! Komm hier!

    WAGNER

    Es ist ein pudelnärrisch Tier.
    Du stehest still, er wartet auf;
    Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
    1180
    Verliere was, er wird es bringen,
    Nach deinem Stock ins Wasser springen.

    FAUST

    Du hast wohl recht; ich finde nicht die Spur
    Von einem Geist, und alles ist Dressur.

    WAGNER

    Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
    1185
    Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
    Ja, deine Gunst verdient er ganz und gar,
    Er, der Studenten trefflicher Skolar.
    Sie gehen in das Stadttor.

    STUDIERZIMMER

    Faust mit dem Pudel hereintretend.

    FAUST

    Verlassen hab ich Feld und Auen,
    Die eine tiefe Nacht bedeckt,
    1190
    Mit ahnungsvollem, heil'gem Grauen
    In uns die bessre Seele weckt.
    Entschlafen sind nun wilde Triebe
    Mit jedem ungestümen Tun;
    Es reget sich die Menschenliebe,
    1195
    Die Liebe Gottes regt sich nun.
    Sei ruhig, Pudel! renne nicht hin und wider!
    An der Schwelle was schnoperst du hier?
    Lege dich hinter den Ofen nieder,
    Mein bestes Kissen geb ich dir.
    1200
    Wie du draußen auf dem bergigen Wege
    Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast,
    So nimm nun auch von mir die Pflege,
    Als ein willkommner stiller Gast.
    Ach wenn in unsrer engen Zelle
    1205
    Die Lampe freundlich wieder brennt,
    Dann wird's in unserm Busen helle,
    Im Herzen, das sich selber kennt.
    Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
    Und Hoffnung wieder an zu blühn,
    1210
    Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
    Ach! nach des Lebens Quelle hin.
    Knurre nicht, Pudel! Zu den heiligen Tönen,
    Die jetzt meine ganze Seel umfassen,
    Will der tierische Laut nicht passen.
    1215
    Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen,
    Was sie nicht verstehn,
    Daß sie vor dem Guten und Schönen,
    Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
    Will es der Hund, wie sie, beknurren?
    1220
    Aber ach! schon fühl ich, bei dem besten Willen,
    Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
    Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
    Und wir wieder im Durste liegen?
    Davon hab ich so viel Erfahrung.
    1225
    Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
    Wir lernen das Überirdische schätzen,
    Wir sehnen uns nach Offenbarung,
    Die nirgends würd'ger und schöner brennt
    Als in dem Neuen Testament.
    1230
    Mich drängt's, den Grundtext aufzuschlagen,
    Mit redlichem Gefühl einmal
    Das heilige Original
    In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
    Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!”
    1235
    Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
    Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
    Ich muß es anders übersetzen,
    Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
    Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
    1240
    Bedenke wohl die erste Zeile,
    Daß deine Feder sich nicht übereile!
    Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
    Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
    Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
    1245
    Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
    Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
    Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!
    Soll ich mit dir das Zimmer teilen,
    Pudel, so laß das Heulen,
    1250
    So laß das Bellen!
    Solch einen störenden Gesellen
    Mag ich nicht in der Nähe leiden.
    Einer von uns beiden
    Muß die Zelle meiden.
    1255
    Ungern heb ich das Gastrecht auf,
    Die Tür ist offen, hast freien Lauf.
    Aber was muß ich sehen!
    Kann das natürlich geschehen?
    Ist es Schatten? ist's Wirklichkeit?
    1260
    Wie wird mein Pudel lang und breit!
    Er hebt sich mit Gewalt,
    Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
    Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus!
    Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
    1265
    Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
    Oh! du bist mir gewiß!
    Für solche halbe Höllenbrut
    Ist Salomonis Schlüssel gut.

    GEISTER

    auf dem Gange.
    Drinnen gefangen ist einer!
    1270
    Bleibet haußen, folg ihm keiner!
    Wie im Eisen der Fuchs,
    Zagt ein alter Höllenluchs.
    Aber gebt acht!
    Schwebet hin, schwebet wider,
    1275
    Auf und nieder,
    Und er hat sich losgemacht.
    Könnt ihr ihm nützen,
    Laßt ihn nicht sitzen!
    Denn er tat uns allen
    1280
    Schon viel zu Gefallen.

    FAUST

    Erst zu begegnen dem Tiere,
    Brauch ich den Spruch der Viere:
    Salamander soll glühen,
    Undene sich winden,
    1285
    Sylphe verschwinden,
    Kobold sich mühen.
    Wer sie nicht kennte,
    Die Elemente,
    Ihre Kraft
    1290
    Und Eigenschaft,
    Wäre kein Meister
    Über die Geister.
    Verschwind in Flammen,
    Salamander!
    1295
    Rauschend fließe zusammen,
    Undene!
    Leucht in Meteoren-Schöne,
    Sylphe!
    Bring häusliche Hülfe,
    1300
    Incubus! Incubus!
    Tritt hervor und mache den Schluß!
    Keines der Viere
    Steckt in dem Tiere.
    Es liegt ganz ruhig und grinst mich an;
    1305
    Ich hab ihm noch nicht weh getan.
    Du sollst mich hören
    Stärker beschwören.
    Bist du, Geselle,
    Ein Flüchtling der Hölle?
    1310
    So sieh dies Zeichen,
    Dem sie sich beugen,
    Die schwarzen Scharen!
    Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
    Verworfnes Wesen!
    1315
    Kannst du ihn lesen?
    Den nie Entsproßnen,
    Unausgesprochnen,
    Durch alle Himmel Gegoßnen,
    Freventlich Durchstochnen?
    1320
    Hinter den Ofen gebannt,
    Schwillt es wie ein Elefant.
    Den ganzen Raum füllt es an,
    Es will zum Nebel zerfließen.
    Steige nicht zur Decke hinan!
    1325
    Lege dich zu des Meisters Füßen!
    Du siehst, daß ich nicht vergebens drohe.
    Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
    Erwarte nicht
    Das dreimal glühende Licht!
    1330
    Erwarte nicht
    Die stärkste von meinen Künsten!
    Mephistopheles tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor.

    MEPHISTOPHELES

    Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?

    FAUST

    Das also war des Pudels Kern!
    Ein fahrender Skolast? Der Kasus macht mich lachen.

    MEPHISTOPHELES

    1335
    Ich salutiere den gelehrten Herrn!
    Ihr habt mich weidlich schwitzen machen.

    FAUST

    Wie nennst du dich?

    MEPHISTOPHELES

    Die Frage scheint mir klein
    Für einen, der das Wort so sehr verachtet,
    1340
    Der, weit entfernt von allem Schein,
    Nur in der Wesen Tiefe trachtet.

    FAUST

    Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
    Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
    Wo es sich allzu deutlich weist,
    1345
    Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
    Nun gut, wer bist du denn?

    MEPHISTOPHELES

    Ein Teil von jener Kraft,
    Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

    FAUST

    Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?

    MEPHISTOPHELES

    1350
    Ich bin der Geist, der stets verneint!
    Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
    Ist wert, daß es zugrunde geht;
    Drum besser wär's, daß nichts entstünde.
    So ist denn alles, was ihr Sünde,
    1355
    Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
    Mein eigentliches Element.

    FAUST

    Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?

    MEPHISTOPHELES

    Bescheidne Wahrheit sprech ich dir.
    Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
    1360
    Gewöhnlich für ein Ganzes hält —
    Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
    Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,
    Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
    Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
    1365
    Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
    Verhaftet an den Körpern klebt.
    Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
    Ein Körper hemmt's auf seinem Gange;
    So, hoff ich, dauert es nicht lange,
    1370
    Und mit den Körpern wird's zugrunde gehn.

    FAUST

    Nun kenn ich deine würd'gen Pflichten!
    Du kannst im Großen nichts vernichten
    Und fängst es nun im Kleinen an.

    MEPHISTOPHELES

    Und freilich ist nicht viel damit getan.
    1375
    Was sich dem Nichts entgegenstellt,
    Das Etwas, diese plumpe Welt,
    So viel als ich schon unternommen,
    Ich wußte nicht ihr beizukommen
    Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand —
    1380
    Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
    Und dem verdammten Zeug, der Tier und Menschenbrut,
    Dem ist nun gar nichts anzuhaben:
    Wie viele hab ich schon begraben!
    Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut.
    1385
    So geht es fort, man möchte rasend werden!
    Der Luft, dem Wasser wie der Erden
    Entwinden tausend Keime sich,
    Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
    Hätt ich mir nicht die Flamme vorbehalten,
    1390
    Ich hätte nichts Aparts für mich.

    FAUST

    So setzest du der ewig regen,
    Der heilsam schaffenden Gewalt
    Die kalte Teufelsfaust entgegen,
    Die sich vergebens tückisch ballt!
    1395
    Was anders suche zu beginnen,
    Des Chaos wunderlicher Sohn!

    MEPHISTOPHELES

    Wir wollen wirklich uns besinnen,
    Die nächsten Male mehr davon!
    Dürft ich wohl diesmal mich entfernen?

    FAUST

    1400
    Ich sehe nicht, warum du fragst.
    Ich habe jetzt dich kennen lernen,
    Besuche nun mich, wie du magst.
    Hier ist das Fenster, hier die Türe,
    Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.

    MEPHISTOPHELES

    1405
    Gesteh ich's nur! daß ich hinausspaziere,
    Verbietet mir ein kleines Hindernis,
    Der Drudenfuß auf Eurer Schwelle —

    FAUST

    Das Pentagramma macht dir Pein?
    Ei sage mir, du Sohn der Hölle,
    1410
    Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
    Wie ward ein solcher Geist betrogen?

    MEPHISTOPHELES

    Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen:
    Der eine Winkel, der nach außen zu,
    Ist, wie du siehst, ein wenig offen.

    FAUST

    1415
    Das hat der Zufall gut getroffen!
    Und mein Gefangner wärst denn du?
    Das ist von ungefähr gelungen!

    MEPHISTOPHELES

    Der Pudel merkte nichts, als er hereingesprungen,
    Die Sache sieht jetzt anders aus:
    1420
    Der Teufel kann nicht aus dem Haus.

    FAUST

    Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?

    MEPHISTOPHELES

    's ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
    Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
    Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.

    FAUST

    1425
    Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
    Das find ich gut, da ließe sich ein Pakt,
    Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?

    MEPHISTOPHELES

    Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
    Dir wird davon nichts abgezwackt.
    1430
    Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
    Und wir besprechen das zunächst;
    Doch jetzo bitt ich hoch und höchst,
    Für dieses Mal mich zu entlassen.

    FAUST

    So bleibe doch noch einen Augenblick,
    1435
    Um mir erst gute Mär zu sagen.

    MEPHISTOPHELES

    Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück,
    Dann magst du nach Belieben fragen.

    FAUST

    Ich habe dir nicht nachgestellt,
    Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
    1440
    Den Teufel halte, wer ihn hält!
    Er wird ihn nicht so bald zum zweiten Male fangen.

    MEPHISTOPHELES

    Wenn dir's beliebt, so bin ich auch bereit,
    Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
    Doch mit Bedingnis, dir die Zeit
    1445
    Durch meine Künste würdig zu vertreiben.

    FAUST

    Ich seh es gern, das steht dir frei;
    Nur daß die Kunst gefällig sei!

    MEPHISTOPHELES

    Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen
    In dieser Stunde mehr gewinnen
    1450
    Als in des Jahres Einerlei.
    Was dir die zarten Geister singen,
    Die schönen Bilder, die sie bringen,
    Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
    Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
    1455
    Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
    Und dann entzückt sich dein Gefühl.
    Bereitung braucht es nicht voran,
    Beisammen sind wir, fanget an!

    GEISTER

    Schwindet, ihr dunkeln
    1460
    Wölbungen droben!
    Reizender schaue
    Freundlich der blaue
    Äther herein!
    Wären die dunkeln
    1465
    Wolken zerronnen!
    Sternelein funkeln,
    Mildere Sonnen
    Scheinen darein.
    Himmlischer Söhne
    1470
    Geistige Schöne,
    Schwankende Beugung
    Schwebet vorüber.
    Sehnende Neigung
    Folget hinüber;
    1475
    Und der Gewänder
    Flatternde Bänder
    Decken die Länder,
    Decken die Laube,
    Wo sich fürs Leben,
    1480
    Tief in Gedanken,
    Liebende geben.
    Laube bei Laube!
    Sprossende Ranken!
    Lastende Traube
    1485
    Stürzt ins Behälter
    Drängender Kelter,
    Stürzen in Bächen
    Schäumende Weine,
    Rieseln durch reine,
    1490
    Edle Gesteine,
    Lassen die Höhen
    Hinter sich liegen,
    Breiten zu Seen
    Sich ums Genügen
    1495
    Grünender Hügel.
    Und das Geflügel
    Schlürfet sich Wonne,
    Flieget der Sonne,
    Flieget den hellen
    1500
    Inseln entgegen,
    Die sich auf Wellen
    Gauklend bewegen;
    Wo wir in Chören
    Jauchzende hören,
    1505
    Über den Auen
    Tanzende schauen,
    Die sich im Freien
    Alle zerstreuen.
    Einige klimmen
    1510
    Über die Höhen,
    Andere schwimmen
    Über die Seen,
    Andere schweben;
    Alle zum Leben,
    1515
    Alle zur Ferne
    Liebender Sterne,
    Seliger Huld.

    MEPHISTOPHELES

    Er schläft! So recht, ihr luft'gen zarten Jungen!
    Ihr habt ihn treulich eingesungen!
    1520
    Für dies Konzert bin ich in eurer Schuld.
    Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten!
    Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
    Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
    Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten,
    1525
    Bedarf ich eines Rattenzahns.
    Nicht lange brauch ich zu beschwören,
    Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich hören.
    Der Herr der Ratten und der Mäuse,
    Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse
    1530
    Befiehlt dir, dich hervor zu wagen
    Und diese Schwelle zu benagen,
    So wie er sie mit Öl betupft —
    Da kommst du schon hervorgehupft!
    Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich bannte,
    1535
    Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
    Noch einen Biß, so ist's geschehn. —
    Nun, Fauste, träume fort, bis wir uns wiedersehn.

    FAUST

    erwachend.
    Bin ich denn abermals betrogen?
    Verschwindet so der geisterreiche Drang,
    1540
    Daß mir ein Traum den Teufel vorgelogen,
    Und daß ein Pudel mir entsprang?

    STUDIERZIMMER

    Faust. Mephistopheles.

    FAUST

    Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen?

    MEPHISTOPHELES

    Ich bin's.

    FAUST

    Herein!

    MEPHISTOPHELES

    1545
    Du mußt es dreimal sagen.

    FAUST

    Herein denn!

    MEPHISTOPHELES

    So gefällst du mir.
    Wir werden, hoff ich, uns vertragen;
    Denn dir die Grillen zu verjagen,
    1550
    Bin ich als edler Junker hier,
    In rotem, goldverbrämtem Kleide,
    Das Mäntelchen von starrer Seide,
    Die Hahnenfeder auf dem Hut,
    Mit einem langen, spitzen Degen,
    1555
    Und rate nun dir, kurz und gut,
    Dergleichen gleichfalls anzulegen;
    Damit du, losgebunden, frei,
    Erfahrest, was das Leben sei.

    FAUST

    In jedem Kleide werd ich wohl die Pein
    1560
    Des engen Erdelebens fühlen.
    Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
    Zu jung, um ohne Wunsch zu sein.
    Was kann die Welt mir wohl gewähren?
    Entbehren sollst du! sollst entbehren!
    1565
    Das ist der ewige Gesang,
    Der jedem an die Ohren klingt,
    Den, unser ganzes Leben lang,
    Uns heiser jede Stunde singt.
    Nur mit Entsetzen wach ich morgens auf,
    1570
    Ich möchte bittre Tränen weinen,
    Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
    Nicht einen Wunsch erfüllen wird, nicht einen,
    Der selbst die Ahnung jeder Lust
    Mit eigensinnigem Krittel mindert,
    1575
    Die Schöpfung meiner regen Brust
    Mit tausend Lebensfratzen hindert.
    Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
    Mich ängstlich auf das Lager strecken;
    Auch da wird keine Rast geschenkt,
    1580
    Mich werden wilde Träume schrecken.
    Der Gott, der mir im Busen wohnt,
    Kann tief mein Innerstes erregen;
    Der über allen meinen Kräften thront,
    Er kann nach außen nichts bewegen;
    1585
    Und so ist mir das Dasein eine Last,
    Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.

    MEPHISTOPHELES

    Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.

    FAUST

    O selig der, dem er im Siegesglanze
    Die blut'gen Lorbeern um die Schläfe windet,
    1590
    Den er, nach rasch durchrastem Tanze,
    In eines Mädchens Armen findet!
    O wär ich vor des hohen Geistes Kraft
    Entzückt, entseelt dahin gesunken!

    MEPHISTOPHELES

    Und doch hat jemand einen braunen Saft,
    1595
    In jener Nacht, nicht ausgetrunken.

    FAUST

    Das Spionieren, scheint's, ist deine Lust.

    MEPHISTOPHELES

    Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.

    FAUST

    Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
    Ein süß bekannter Ton mich zog,
    1600
    Den Rest von kindlichem Gefühle
    Mit Anklang froher Zeit betrog,
    So fluch ich allem, was die Seele
    Mit Lock– und Gaukelwerk umspannt,
    Und sie in diese Trauerhöhle
    1605
    Mit Blend– und Schmeichelkräften bannt!
    Verflucht voraus die hohe Meinung,
    Womit der Geist sich selbst umfängt!
    Verflucht das Blenden der Erscheinung,
    Die sich an unsre Sinne drängt!
    1610
    Verflucht, was uns in Träumen heuchelt,
    Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
    Verflucht, was als Besitz uns schmeichelt,
    Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
    Verflucht sei Mammon, wenn mit Schätzen
    1615
    Er uns zu kühnen Taten regt,
    Wenn er zu müßigem Ergetzen
    Die Polster uns zurechte legt!
    Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben!
    Fluch jener höchsten Liebeshuld!
    1620
    Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
    Und Fluch vor allen der Geduld!

    GEISTERCHOR

    unsichtbar.
    Weh! weh!
    Du hast sie zerstört,
    Die schöne Welt,
    1625
    Mit mächtiger Faust;
    Sie stürzt, sie zerfällt!
    Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
    Wir tragen
    Die Trümmern ins Nichts hinüber,
    1630
    Und klagen
    Über die verlorne Schöne.
    Mächtiger
    Der Erdensöhne,
    Prächtiger
    1635
    Baue sie wieder,
    In deinem Busen baue sie auf!
    Neuen Lebenslauf
    Beginne,
    Mit hellem Sinne,
    1640
    Und neue Lieder
    Tönen darauf!

    MEPHISTOPHELES

    Dies sind die Kleinen
    Von den Meinen.
    Höre, wie zu Lust und Taten
    1645
    Altklug sie raten!
    In die Welt weit,
    Aus der Einsamkeit,
    Wo Sinnen und Säfte stocken,
    Wollen sie dich locken.
    1650
    Hör auf, mit deinem Gram zu spielen,
    Der, wie ein Geier, dir am Leben frißt;
    Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen,
    Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
    Doch so ist's nicht gemeint,
    1655
    Dich unter das Pack zu stoßen.
    Ich bin keiner von den Großen;
    Doch willst du, mit mir vereint,
    Deine Schritte durchs Leben nehmen,
    So will ich mich gern bequemen,
    1660
    Dein zu sein, auf der Stelle.
    Ich bin dein Geselle,
    Und mach ich dir's recht,
    Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!

    FAUST

    Und was soll ich dagegen dir erfüllen?

    MEPHISTOPHELES

    1665
    Dazu hast du noch eine lange Frist.

    FAUST

    Nein, nein! der Teufel ist ein Egoist
    Und tut nicht leicht um Gottes willen,
    Was einem andern nützlich ist.
    Sprich die Bedingung deutlich aus;
    1670
    Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.

    MEPHISTOPHELES

    Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
    Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
    Wenn wir uns drüben wiederfinden,
    So sollst du mir das gleiche tun.

    FAUST

    1675
    Das Drüben kann mich wenig kümmern;
    Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
    Die andre mag darnach entstehn.
    Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
    Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
    1680
    Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
    Dann mag, was will und kann, geschehn.
    Davon will ich nichts weiter hören,
    Ob man auch künftig haßt und liebt,
    Und ob es auch in jenen Sphären
    1685
    Ein Oben oder Unten gibt.

    MEPHISTOPHELES

    In diesem Sinne kannst du's wagen.
    Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
    Mit Freuden meine Künste sehn,
    Ich gebe dir, was noch kein Mensch gesehn.

    FAUST

    1690
    Was willst du armer Teufel geben?
    Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
    Von deinesgleichen je gefaßt?
    Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast
    Du rotes Gold, das ohne Rast,
    1695
    Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
    Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt,
    Ein Mädchen, das an meiner Brust
    Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
    Der Ehre schöne Götterlust,
    1700
    Die, wie ein Meteor, verschwindet?
    Zeig mir die Frucht, die fault, eh man sie bricht,
    Und Bäume, die sich täglich neu begrünen!

    MEPHISTOPHELES

    Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
    Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
    1705
    Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran,
    Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen.

    FAUST

    Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
    So sei es gleich um mich getan!
    Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
    1710
    Daß ich mir selbst gefallen mag,
    Kannst du mich mit Genuß betrügen,
    Das sei für mich der letzte Tag!
    Die Wette biet ich!

    MEPHISTOPHELES

    Topp!

    FAUST

    1715
    Und Schlag auf Schlag!
    Werd ich zum Augenblicke sagen:
    Verweile doch! du bist so schön!
    Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
    Dann will ich gern zugrunde gehn!
    1720
    Dann mag die Totenglocke schallen,
    Dann bist du deines Dienstes frei,
    Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
    Es sei die Zeit für mich vorbei!

    MEPHISTOPHELES

    Bedenk es wohl, wir werden's nicht vergessen.

    FAUST

    1725
    Dazu hast du ein volles Recht;
    Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
    Wie ich beharre, bin ich Knecht,
    Ob dein, was frag ich, oder wessen.

    MEPHISTOPHELES

    Ich werde heute gleich, beim Doktorschmaus,
    1730
    Als Diener meine Pflicht erfüllen.
    Nur eins! — Um Lebens oder Sterbens willen
    Bitt ich mir ein paar Zeilen aus.

    FAUST

    Auch was Geschriebnes forderst du Pedant?
    Hast du noch keinen Mann, nicht Manneswort gekannt?
    1735
    Ist's nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
    Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
    Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
    Und mich soll ein Versprechen halten?
    Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
    1740
    Wer mag sich gern davon befreien?
    Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt,
    Kein Opfer wird ihn je gereuen!
    Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
    Ist ein Gespenst, vor dem sich alle scheuen.
    1745
    Das Wort erstirbt schon in der Feder,
    Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
    Was willst du böser Geist von mir?
    Erz, Marmor, Pergament, Papier?
    Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
    1750
    Ich gebe jede Wahl dir frei.

    MEPHISTOPHELES

    Wie magst du deine Rednerei
    Nur gleich so hitzig übertreiben?
    Ist doch ein jedes Blättchen gut.
    Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.

    FAUST

    1755
    Wenn dies dir völlig G'nüge tut,
    So mag es bei der Fratze bleiben.

    MEPHISTOPHELES

    Blut ist ein ganz besondrer Saft.

    FAUST

    Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche!
    Das Streben meiner ganzen Kraft
    1760
    Ist grade das, was ich verspreche.
    Ich habe mich zu hoch gebläht,
    In deinen Rang gehör ich nur.
    Der große Geist hat mich verschmäht,
    Vor mir verschließt sich die Natur.
    1765
    Des Denkens Faden ist zerrissen,
    Mir ekelt lange vor allem Wissen.
    Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
    Uns glühende Leidenschaften stillen!
    In undurchdrungnen Zauberhüllen
    1770
    Sei jedes Wunder gleich bereit!
    Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit,
    Ins Rollen der Begebenheit!
    Da mag denn Schmerz und Genuß,
    Gelingen und Verdruß
    1775
    Miteinander wechseln, wie es kann;
    Nur rastlos betätigt sich der Mann.

    MEPHISTOPHELES

    Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
    Beliebt's Euch, überall zu naschen,
    Im Fliehen etwas zu erhaschen,
    1780
    Bekomm Euch wohl, was Euch ergetzt.
    Nur greift mir zu und seid nicht blöde!

    FAUST

    Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede.
    Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
    Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
    1785
    Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
    Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
    Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
    Will ich in meinem innern Selbst genießen,
    Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
    1790
    Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
    Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
    Und, wie sie selbst, am End auch ich zerscheitern.

    MEPHISTOPHELES

    O glaube mir, der manche tausend Jahre
    An dieser harten Speise kaut,
    1795
    Daß von der Wiege bis zur Bahre
    Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
    Glaub unsereinem, dieses Ganze
    Ist nur für einen Gott gemacht!
    Er findet sich in einem ew'gen Glanze,
    1800
    Uns hat er in die Finsternis gebracht,
    Und euch taugt einzig Tag und Nacht.

    FAUST

    Allein ich will!

    MEPHISTOPHELES

    Das läßt sich hören!
    Doch nur vor einem ist mir bang:
    1805
    Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
    Ich dächt, ihr ließet Euch belehren.
    Assoziiert Euch mit einem Poeten,
    Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
    Und alle edlen Qualitäten
    1810
    Auf Euren Ehrenscheitel häufen,
    Des Löwen Mut,
    Des Hirsches Schnelligkeit,
    Des Italieners feurig Blut,
    Des Nordens Dau'rbarkeit.
    1815
    Laßt ihn Euch das Geheimnis finden,
    Großmut und Arglist zu verbinden,
    Und Euch, mit warmen Jugendtrieben,
    Nach einem Plane zu verlieben.
    Möchte selbst solch einen Herren kennen,
    1820
    Würd ihn Herrn Mikrokosmus nennen.

    FAUST

    Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist,
    Der Menschheit Krone zu erringen,
    Nach der sich alle Sinne dringen?

    MEPHISTOPHELES

    Du bist am Ende — was du bist.
    1825
    Setz dir Perücken auf von Millionen Locken,
    Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
    Du bleibst doch immer, was du bist.

    FAUST

    Ich fühl's, vergebens hab ich alle Schätze
    Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
    1830
    Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
    Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
    Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
    Bin dem Unendlichen nicht näher.

    MEPHISTOPHELES

    Mein guter Herr, Ihr seht die Sachen,
    1835
    Wie man die Sachen eben sieht;
    Wir müssen das gescheiter machen,
    Eh uns des Lebens Freude flieht.
    Was Henker! freilich Händ' und Füße
    Und Kopf und Hintern, die sind dein;
    1840
    Doch alles, was ich frisch genieße,
    Ist das drum weniger mein?
    Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
    Sind ihre Kräfte nicht die meine?
    Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
    1845
    Als hätt ich vierundzwanzig Beine.
    Drum frisch! Laß alles Sinnen sein,
    Und grad mit in die Welt hinein!
    Ich sag es dir: ein Kerl, der spekuliert,
    Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
    1850
    Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
    Und rings umher liegt schöne grüne Weide.

    FAUST

    Wie fangen wir das an?

    MEPHISTOPHELES

    Wir gehen eben fort. Was ist das für ein Marterort?
    Was heißt das für ein Leben führen,
    1855
    Sich und die Jungens ennuyieren?
    Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
    Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
    Das Beste, was du wissen kannst,
    Darfst du den Buben doch nicht sagen.
    1860
    Gleich hör ich einen auf dem Gange!

    FAUST

    Mir ist's nicht möglich, ihn zu sehn.

    MEPHISTOPHELES

    Der arme Knabe wartet lange,
    Der darf nicht ungetröstet gehn.
    Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
    1865
    Die Maske muß mir köstlich stehn.
    Er kleidet sich um.
    Nun überlaß es meinem Witze!
    Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
    Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
    Faust ab.

    MEPHISTOPHELES

    in Fausts langem Kleide.
    1870
    Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
    Des Menschen allerhöchste Kraft,
    Laß nur in Blend– und Zauberwerken
    Dich von dem Lügengeist bestärken,
    So hab ich dich schon unbedingt —
    1875
    Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
    Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
    Und dessen übereiltes Streben
    Der Erde Freuden überspringt.
    Den schlepp ich durch das wilde Leben,
    1880
    Durch flache Unbedeutenheit,
    Er soll mir zappeln, starren, kleben,
    Und seiner Unersättlichkeit
    Soll Speis und Trank vor gier'gen Lippen schweben;
    Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
    1885
    Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
    Er müßte doch zugrunde gehn!
    Ein SCHÜLER tritt auf.

    SCHÜLER

    Ich bin allhier erst kurze Zeit,
    Und komme voll Ergebenheit,
    Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
    1890
    Den alle mir mit Ehrfucht nennen.

    MEPHISTOPHELES

    Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
    Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
    Habt Ihr Euch sonst schon umgetan?

    SCHÜLER

    Ich bitt Euch, nehmt Euch meiner an!
    1895
    Ich komme mit allem guten Mut,
    Leidlichem Geld und frischem Blut;
    Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
    Möchte gern was Rechts hieraußen lernen.

    MEPHISTOPHELES

    Da seid Ihr eben recht am Ort.

    SCHÜLER

    1900
    Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
    In diesen Mauern, diesen Hallen
    Will es mir keineswegs gefallen.
    Es ist ein gar beschränkter Raum,
    Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
    1905
    Und in den Sälen, auf den Bänken,
    Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.

    MEPHISTOPHELES

    Das kommt nur auf Gewohnheit an.
    So nimmt ein Kind der Mutter Brust
    Nicht gleich im Anfang willig an,
    1910
    Doch bald ernährt es sich mit Lust.
    So wird's Euch an der Weisheit Brüsten
    Mit jedem Tage mehr gelüsten.

    SCHÜLER

    An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
    Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?

    MEPHISTOPHELES

    1915
    Erklärt Euch, eh Ihr weiter geht,
    Was wählt Ihr für eine Fakultät?

    SCHÜLER

    Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
    Und möchte gern, was auf der Erden
    Und in dem Himmel ist, erfassen,
    1920
    Die Wissenschaft und die Natur.

    MEPHISTOPHELES

    Da seid Ihr auf der rechten Spur;
    Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen.

    SCHÜLER

    Ich bin dabei mit Seel und Leib;
    Doch freilich würde mir behagen
    1925
    Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
    An schönen Sommerfeiertagen.

    MEPHISTOPHELES

    Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
    Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen.
    Mein teurer Freund, ich rat Euch drum
    1930
    Zuerst Collegium Logicum.
    Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
    Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
    In spanische Stiefeln eingeschnürt,
    Daß er bedächtiger so fortan
    1935
    Hinschleiche die Gedankenbahn,
    Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
    Irrlichteliere hin und her.
    Dann lehret man Euch manchen Tag,
    Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag
    1940
    Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
    Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei.
    Zwar ist's mit der Gedankenfabrik
    Wie mit einem Weber-Meisterstück,
    Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
    1945
    Die Schifflein herüber hinüber schießen,
    Die Fäden ungesehen fließen,
    Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
    Der Philosoph, der tritt herein
    Und beweist Euch, es müßt so sein:
    1950
    Das Erst wär so, das Zweite so,
    Und drum das Dritt und Vierte so;
    Und wenn das Erst und Zweit nicht wär,
    Das Dritt und Viert wär nimmermehr.
    Das preisen die Schüler allerorten,
    1955
    Sind aber keine Weber geworden.
    Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
    Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
    Dann hat er die Teile in seiner Hand,
    Fehlt leider! nur das geistige Band.
    1960
    Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
    Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.

    SCHÜLER

    Kann Euch nicht eben ganz verstehen.

    MEPHISTOPHELES

    Das wird nächstens schon besser gehen,
    Wenn Ihr lernt alles reduzieren
    1965
    Und gehörig klassifizieren.

    SCHÜLER

    Mir wird von alledem so dumm,
    Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.

    MEPHISTOPHELES

    Nachher, vor allen andern Sachen,
    Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
    1970
    Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
    Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
    Für was drein geht und nicht drein geht,
    Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
    Doch vorerst dieses halbe Jahr
    1975
    Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
    Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag;
    Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
    Habt Euch vorher wohl präpariert,
    Paragraphos wohl einstudiert,
    1980
    Damit Ihr nachher besser seht,
    Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
    Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
    Als diktiert' Euch der Heilig Geist!

    SCHÜLER

    Das sollt Ihr mir nicht zweimal sagen!
    1985
    Ich denke mir, wie viel es nützt;
    Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
    Kann man getrost nach Hause tragen.

    MEPHISTOPHELES

    Doch wählt mir eine Fakultät!

    SCHÜLER

    Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.

    MEPHISTOPHELES

    1990
    Ich kann es Euch so sehr nicht übel nehmen,
    Ich weiß, wie es um diese Lehre steht.
    Es erben sich Gesetz' und Rechte
    Wie eine ew'ge Krankheit fort;
    Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
    1995
    Und rücken sacht von Ort zu Ort.
    Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
    Weh dir, daß du ein Enkel bist!
    Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
    Von dem ist leider! nie die Frage.

    SCHÜLER

    2000
    Mein Abscheu wird durch Euch vermehrt.
    O glücklich der, den Ihr belehrt!
    Fast möcht ich nun Theologie studieren.

    MEPHISTOPHELES

    Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen.
    Was diese Wissenschaft betrifft,
    2005
    Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden,
    Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
    Und von der Arzenei ist's kaum zu unterscheiden.
    Am besten ist's auch hier, wenn Ihr nur einen hört,
    Und auf des Meisters Worte schwört.
    2010
    Im Ganzen — haltet Euch an Worte!
    Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
    Zum Tempel der Gewißheit ein.

    SCHÜLER

    Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.

    MEPHISTOPHELES

    Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen
    2015
    Denn eben wo Begriffe fehlen,
    Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
    Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
    Mit Worten ein System bereiten,
    An Worte läßt sich trefflich glauben,
    2020
    Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.

    SCHÜLER

    Verzeiht, ich halt Euch auf mit vielen Fragen,
    Allein ich muß Euch noch bemühn.
    Wollt Ihr mir von der Medizin
    Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
    2025
    Drei Jahr ist eine kurze Zeit,
    Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
    Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
    Läßt sich's schon eher weiter fühlen.

    MEPHISTOPHELES

    für sich.
    Ich bin des trocknen Tons nun satt,
    2030
    Muß wieder recht den Teufel spielen.
    Laut.
    Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;
    Ihr durchstudiert die groß, und kleine Welt,
    Um es am Ende gehn zu lassen,
    2035
    Wie's Gott gefällt.
    Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
    Ein jeder lernt nur, was er lernen kann;
    Doch der den Augenblick ergreift,
    Das ist der rechte Mann.
    2040
    Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut,
    An Kühnheit wird's Euch auch nicht fehlen,
    Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
    Vertrauen Euch die andern Seelen.
    Besonders lernt die Weiber führen;
    2045
    Es ist ihr ewig Weh und Ach
    So tausendfach
    Aus einem Punkte zu kurieren,
    Und wenn Ihr halbweg ehrbar tut,
    Dann habt Ihr sie all' unterm Hut.
    2050
    Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
    Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt;
    Zum Willkomm tappt Ihr dann nach allen Siebensachen,
    Um die ein andrer viele Jahre streicht,
    Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
    2055
    Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
    Wohl um die schlanke Hüfte frei,
    Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.

    SCHÜLER

    Das sieht schon besser aus! Man sieht doch, wo und wie.

    MEPHISTOPHELES

    Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,
    2060
    Und grün des Lebens goldner Baum.

    SCHÜLER

    Ich schwör Euch zu, mir ist's als wie ein Traum.
    Dürft ich Euch wohl ein andermal beschweren,
    Von Eurer Weisheit auf den Grund zu hören?

    MEPHISTOPHELES

    Was ich vermag, soll gern geschehn.

    SCHÜLER

    2065
    Ich kann unmöglich wieder gehn,
    Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen,
    Gönn Eure Gunst mir dieses Zeichen!

    MEPHISTOPHELES

    Sehr wohl.
    Er schreibt und gibt's.

    SCHÜLER

    liest.
    Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.
    Macht's ehrerbietig zu und empfiehlt sich.

    MEPHISTOPHELES

    2070
    Folg nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange,
    Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!
    Faust tritt auf.

    FAUST

    Wohin soll es nun gehn?

    MEPHISTOPHELES

    Wohin es dir gefällt.
    Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
    2075
    Mit welcher Freude, welchem Nutzen
    Wirst du den Cursum durchschmarutzen!

    FAUST

    Allein bei meinem langen Bart
    Fehlt mir die leichte Lebensart.
    Es wird mir der Versuch nicht glücken;
    2080
    Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken.
    Vor andern fühl ich mich so klein;
    Ich werde stets verlegen sein.

    MEPHISTOPHELES

    Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
    Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.

    FAUST

    2085
    Wie kommen wir denn aus dem Haus?
    Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?

    MEPHISTOPHELES

    Wir breiten nur den Mantel aus,
    Der soll uns durch die Lüfte tragen.
    Du nimmst bei diesem kühnen Schritt
    2090
    Nur keinen großen Bündel mit.
    Ein bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
    Hebt uns behend von dieser Erde.
    Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
    Ich gratuliere dir zum neuen Lebenslauf!

    AUERBACHAS KELLER IN LEIPZIG

    Zeche lustiger Gesellen.

    FROSCH

    2095
    Will keiner trinken? keiner lachen?
    Ich will euch lehren Gesichter machen!
    Ihr seid ja heut wie nasses Stroh,
    Und brennt sonst immer lichterloh.

    BRANDER

    Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbei,
    2100
    Nicht eine Dummheit, keine Sauerei.

    FROSCH

    gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf.
    Da hast du beides!

    BRANDER

    Doppelt Schwein!

    FROSCH

    Ihr wollt es ja, man soll es sein!

    SIEBEL

    Zur Tür hinaus, wer sich entzweit!
    2105
    Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreit!
    Auf! Holla! Ho!

    ALTMAYER

    Weh mir, ich bin verloren!
    Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.

    SIEBEL

    Wenn das Gewölbe widerschallt,
    2110
    Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.

    FROSCH

    So recht, hinaus mit dem, der etwas übel nimmt!
    A! tara lara da!

    ALTMAYER

    A! tara lara da!

    FROSCH

    Die Kehlen sind gestimmt.
    2115
    Singt.
    Das liebe Heil'ge Röm'sche Reich,
    Wie hält's nur noch zusammen?

    BRANDER

    Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!
    Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen,
    2120
    Daß ihr nicht braucht fürs Röm'sche Reich zu sorgen!
    Ich halt es wenigstens für reichlichen Gewinn,
    Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
    Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
    Wir wollen einen Papst erwählen.
    2125
    Ihr wißt, welch eine Qualität
    Den Ausschlag gibt, den Mann erhöht.

    FROSCH

    singt.
    Schwing dich auf, Frau Nachtigall,
    Grüß mir mein Liebchen zehentausendmal.

    SIEBEL

    Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!

    FROSCH

    2130
    Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir's nicht verwehren!
    Singt.
    Riegel auf! in stiller Nacht.
    Riegel auf! der Liebste wacht.
    Riegel zu! des Morgens früh.

    SIEBEL

    Ja, singe, singe nur und lob und rühme sie!
    2135
    Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
    Sie hat mich angeführt, dir wird sie's auch so machen.
    Zum Liebsten sei ein Kobold ihr beschert!
    Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
    Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
    2140
    Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
    Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
    Ist für die Dirne viel zu gut.
    Ich will von keinem Gruße wissen,
    Als ihr die Fenster eingeschmissen.

    BRANDER

    auf den Tisch schlagend.
    2145
    Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
    Ihr Herrn, gesteht, ich weiß zu leben;
    Verliebte Leute sitzen hier,
    Und diesen muß, nach Standsgebühr,
    Zur guten Nacht ich was zum besten geben.
    2150
    Gebt acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
    Und singt den Rundreim kräftig mit!
    Er singt.
    Es war eine Ratt im Kellernest,
    Lebte nur von Fett und Butter,
    2155
    Hatte sich ein Ränzlein angemäst't,
    Als wie der Doktor Luther.
    Die Köchin hatt ihr Gift gestellt;
    Da ward's so eng ihr in der Welt,
    Als hätte sie Lieb im Leibe.

    CHORUS

    jauchzend.
    2160
    Als hätte sie Lieb im Leibe.

    BRANDER

    Sie fuhr herum, sie fuhr heraus,
    Und soff aus allen Pfützen,
    Zernagt', zerkratzt' das ganze Haus,
    Wollte nichts ihr Wüten nützen;
    2165
    Sie tät gar manchen Ängstesprung,
    Bald hatte das arme Tier genung,
    Als hätt es Lieb im Leibe.

    CHORUS

    Als hätt es Lieb im Leibe.

    BRANDER

    Sie kam vor Angst am hellen Tag
    2170
    Der Küche zugelaufen,
    Fiel an den Herd und zuckt, und lag,
    Und tät erbärmlich schnaufen.
    Da lachte die Vergifterin noch:
    Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch,
    2175
    Als hätte sie Lieb im Leibe.

    CHORUS

    Als hätte sie Lieb im Leibe.

    SIEBEL

    Wie sich die platten Bursche freuen!
    Es ist mir eine rechte Kunst,
    Den armen Ratten Gift zu streuen!

    BRANDER

    2180
    Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?

    ALTMAYER

    Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
    Das Unglück macht ihn zahm und mild;
    Er sieht in der geschwollnen Ratte
    Sein ganz natürlich Ebenbild.
    Faust und Mephistopheles treten auf.

    MEPHISTOPHELES

    2185
    Ich muß dich nun vor allen Dingen
    In lustige Gesellschaft bringen,
    Damit du siehst, wie leicht sich's leben läßt.
    Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
    Mit wenig Witz und viel Behagen
    2190
    Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
    Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
    Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
    So lang der Wirt nur weiter borgt,
    Sind sie vergnügt und unbesorgt.

    BRANDER

    2195
    Die kommen eben von der Reise,
    Man sieht's an ihrer wunderlichen Weise;
    Sie sind nicht eine Stunde hier.

    FROSCH

    Wahrhaftig, du hast recht! Mein Leipzig lob ich mir!
    Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.

    SIEBEL

    2200
    Für was siehst du die Fremden an?

    FROSCH

    Laß mich nur gehn! Bei einem vollen Glase
    Zieh ich, wie einen Kinderzahn,
    Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
    Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
    2205
    Sie sehen stolz und unzufrieden aus.

    BRANDER

    Marktschreier sind's gewiß, ich wette!

    ALTMAYER

    Vielleicht.

    FROSCH

    Gib acht, ich schraube sie!

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    Den Teufel spürt das Völkchen nie,
    2210
    Und wenn er sie beim Kragen hätte.

    FAUST

    Seid uns gegrüßt, ihr Herrn!

    SIEBEL

    Viel Dank zum Gegengruß.
    Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend.
    Was hinkt der Kerl auf einem Fuß?

    MEPHISTOPHELES

    2215
    Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
    Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
    Soll die Gesellschaft uns ergetzen.

    ALTMAYER

    Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.

    FROSCH

    Ihr seid wohl spät von Rippach aufgebrochen?
    2220
    Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeist?

    MEPHISTOPHELES

    Heut sind wir ihn vorbeigereist!
    Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
    Von seinen Vettern wußt er viel zu sagen,
    Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
    Er neigt sich gegen Frosch.

    ALTMAYER

    leise.
    2225
    Da hast du's! der versteht's!

    SIEBEL

    Ein pfiffiger Patron!

    FROSCH

    Nun, warte nur, ich krieg ihn schon!

    MEPHISTOPHELES

    Wenn ich nicht irrte, hörten wir
    Geübte Stimmen Chorus singen?
    2230
    Gewiß, Gesang muß trefflich hier
    Von dieser Wölbung widerklingen!

    FROSCH

    Seid Ihr wohl gar ein Virtuos?

    MEPHISTOPHELES

    O nein! die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.

    ALTMAYER

    Gebt uns ein Lied!

    MEPHISTOPHELES

    2235
    Wenn ihr begehrt, die Menge.

    SIEBEL

    Nur auch ein nagelneues Stück!

    MEPHISTOPHELES

    Wir kommen erst aus Spanien zurück,
    Dem schönen Land des Weins und der Gesänge.
    Singt.
    2240
    Es war einmal ein König,
    Der hatt' einen großen Floh —

    FROSCH

    Horcht! Einen Floh! Habt ihr das wohl gefaßt?
    Ein Floh ist mir ein saubrer Gast.

    MEPHISTOPHELES

    singt.
    Es war einmal ein König
    2245
    Der hatt' einen großen Floh,
    Den liebt' er gar nicht wenig,
    Als wie seinen eignen Sohn.
    Da rief er seinen Schneider,
    Der Schneider kam heran:
    2250
    Da, miß dem Junker Kleider
    Und miß ihm Hosen an!

    BRANDER

    Vergeßt nur nicht, dem Schneider einzuschärfen,
    Daß er mir aufs genauste mißt,
    Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
    2255
    Die Hosen keine Falten werfen!

    MEPHISTOPHELES

    In Sammet und in Seide
    War er nun angetan,
    Hatte Bänder auf dem Kleide,
    Hatt' auch ein Kreuz daran,
    2260
    Und war sogleich Minister,
    Und hatt' einen großen Stern.
    Da wurden seine Geschwister
    Bei Hof auch große Herrn.
    Und Herrn und Fraun am Hofe,
    2265
    Die waren sehr geplagt,
    Die Königin und die Zofe
    Gestochen und genagt,
    Und durften sie nicht knicken,
    Und weg sie jucken nicht.
    2270
    Wir knicken und ersticken
    Doch gleich, wenn einer sticht.

    CHORUS

    jauchzend.
    Wir knicken und ersticken
    Doch gleich, wenn einer sticht.

    FROSCH

    Bravo! Bravo! Das war schön!

    SIEBEL

    2275
    So soll es jedem Floh ergehn!

    BRANDER

    Spitzt die Finger und packt sie fein!

    ALTMAYER

    Es lebe die Freiheit! Es lebe der Wein!

    MEPHISTOPHELES

    Ich tränke gern ein Glas, die Freiheit hoch zu ehren,
    Wenn eure Weine nur ein bißchen besser wären.

    SIEBEL

    2280
    Wir mögen das nicht wieder hören!

    MEPHISTOPHELES

    Ich fürchte nur, der Wirt beschweret sich;
    Sonst gäb ich diesen werten Gästen
    Aus unserm Keller was zum besten.

    SIEBEL

    Nur immer her! ich nehm's auf mich.

    FROSCH

    2285
    Schafft Ihr ein gutes Glas, so wollen wir Euch loben.
    Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
    Denn wenn ich judizieren soll,
    Verlang ich auch das Maul recht voll.

    ALTMAYER

    leise.
    Sie sind vom Rheine, wie ich spüre.

    MEPHISTOPHELES

    2290
    Schafft einen Bohrer an!

    BRANDER

    Was soll mit dem geschehn?
    Ihr habt doch nicht die Fässer vor der Türe?

    ALTMAYER

    Dahinten hat der Wirt ein Körbchen Werkzeug stehn.

    MEPHISTOPHELES

    nimmt den Bohrer. Zu Frosch.
    Nun sagt, was wünschet Ihr zu schmecken?

    FROSCH

    2295
    Wie meint Ihr das? Habt Ihr so mancherlei?

    MEPHISTOPHELES

    Ich stell es einem jeden frei.

    ALTMAYER

    zu Frosch.
    Aha! du fängst schon an, die Lippen abzulecken.

    FROSCH

    Gut! wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.
    Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.

    MEPHISTOPHELES

    indem er an dem Platz, wo Frosch sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt.
    2300
    Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu machen!

    ALTMAYER

    Ach, das sind Taschenspielersachen.

    MEPHISTOPHELES

    zu Brander.
    Und Ihr?

    BRANDER

    Ich will Champagner Wein,
    Und recht moussierend soll er sein!
    Mephistopheles bohrt; einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.

    BRANDER

    2305
    Man kann nicht stets das Fremde meiden,
    Das Gute liegt uns oft so fern.
    Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
    Doch ihre Weine trinkt er gern.

    SIEBEL

    indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert.
    Ich muß gestehn, den sauern mag ich nicht,
    2310
    Gebt mir ein Glas vom echten süßen!

    MEPHISTOPHELES

    bohrt.
    Euch soll sogleich Tokayer fließen.

    ALTMAYER

    Nein, Herren, seht mir ins Gesicht!
    Ich seh es ein, ihr habt uns nur zum besten.

    MEPHISTOPHELES

    Ei! Ei! Mit solchen edlen Gästen
    2315
    Wär es ein bißchen viel gewagt.
    Geschwind! Nur grad heraus gesagt!
    Mit welchem Weine kann ich dienen?

    ALTMAYER

    Mit jedem! Nur nicht lang gefragt.
    Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind.

    MEPHISTOPHELES

    mit seltsamen Gebärden.
    Trauben trägt der Weinstock!
    2320
    Hörner der Ziegenbock;
    Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
    Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
    Ein tiefer Blick in die Natur!
    Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
    2325
    Nun zieht die Pfropfen und genießt!

    ALLE

    indem sie die Pfropfen ziehen und jedem der verlangte Wein ins Glas läuft.
    O schöner Brunnen, der uns fließt!

    MEPHISTOPHELES

    Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt!
    Sie trinken wiederholt.

    ALLE

    singen.
    Uns ist ganz kannibalisch wohl,
    Als wie fünfhundert Säuen!

    MEPHISTOPHELES

    2330
    Das Volk ist frei, seht an, wie wohl's ihm geht!

    FAUST

    Ich hätte Lust, nun abzufahren.

    MEPHISTOPHELES

    Gib nur erst acht, die Bestialität
    Wird sich gar herrlich offenbaren.

    SIEBEL

    trinkt unvorsichtig, der Wein fließt auf die Erde und wird zur Flamme.
    Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt!

    MEPHISTOPHELES

    die Flamme besprechend.
    2335
    Sei ruhig, freundlich Element!
    Zu den Gesellen.
    Für diesmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.

    SIEBEL

    Was soll das sein? Wart! Ihr bezahlt es teuer!
    Es scheinet, daß Ihr uns nicht kennt.

    FROSCH

    2340
    Laß Er uns das zum zweiten Male bleiben!

    ALTMAYER

    Ich dächt, wir hießen ihn ganz sachte seitwärts gehn.

    SIEBEL

    Was, Herr? Er will sich unterstehn,
    Und hier sein Hokuspokus treiben?

    MEPHISTOPHELES

    Still, altes Weinfaß!

    SIEBEL

    2345
    Besenstiel! Du willst uns gar noch grob begegnen?

    BRANDER

    Wart nur, es sollen Schläge regnen!

    ALTMAYER

    zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen.
    Ich brenne! ich brenne!

    SIEBEL

    Zauberei!
    Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrei!
    Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.

    MEPHISTOPHELES

    mit ernsthafter Gebärde.
    2350
    Falsch Gebild und Wort
    Verändern Sinn und Ort!
    Seid hier und dort!
    Sie stehn erstaunt und sehn einander an.

    ALTMAYER

    Wo bin ich? Welches schöne Land!

    FROSCH

    Weinberge! Seh ich recht?

    SIEBEL

    2355
    Und Trauben gleich zur Hand!

    BRANDER

    Hier unter diesem grünen Laube,
    Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
    Er faßt Siebeln bei der Nase. Die andern tun es wechselseitig und heben die Messer.

    MEPHISTOPHELES

    wie oben.
    Irrtum, laß los der Augen Band!
    Und merkt euch, wie der Teufel spaße.
    Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren auseinander.

    SIEBEL

    2360
    Was gibt's?

    ALTMAYER

    Wie?

    FROSCH

    War das deine Nase?

    BRANDER

    zu Siebel.
    Und deine hab ich in der Hand!

    ALTMAYER

    Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
    2365
    Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!

    FROSCH

    Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?

    FROSCH

    Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre,
    Er soll mir nicht lebendig gehn!

    ALTMAYER

    Ich hab ihn selbst hinaus zur Kellertüre —
    2370
    Auf einem Fasse reiten sehn — —
    Es liegt mir bleischwer in den Füßen.
    Sich nach dem Tische wendend.
    Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?

    SIEBEL

    Betrug war alles, Lug und Schein.

    FROSCH

    2375
    Mir deuchte doch, als tränk ich Wein.

    BRANDER

    Aber wie war es mit den Trauben?

    ALTMAYER

    Nun sag mir eins, man soll kein Wunder glauben!

    HEXENKÜCHE

    Auf einem niedrigen Herd steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bei dem Kessel und schäumt ihn und sorgt, daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrat geschmückt.
    Faust. Mephistopheles.

    FAUST

    Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
    Versprichst du mir, ich soll genesen
    2380
    In diesem Wust von Raserei?
    Verlang ich Rat von einem alten Weibe?
    Und schafft die Sudelköcherei
    Wohl dreißig Jahre mir vom Leibe?
    Weh mir, wenn du nichts Bessers weißt!
    2385
    Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
    Hat die Natur und hat ein edler Geist
    Nicht irgendeinen Balsam ausgefunden?

    MEPHISTOPHELES

    Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
    Dich zu verjüngen, gibt's auch ein natürlich Mittel;
    2390
    Allein es steht in einem andern Buch,
    Und ist ein wunderlich Kapitel.

    FAUST

    Ich will es wissen.

    MEPHISTOPHELES

    Gut! Ein Mittel, ohne Geld
    Und Arzt und Zauberei zu haben:
    2395
    Begib dich gleich hinaus aufs Feld,
    Fang an zu hacken und zu graben
    Erhalte dich und deinen Sinn
    In einem ganz beschränkten Kreise,
    Ernähre dich mit ungemischter Speise,
    2400
    Leb mit dem Vieh als Vieh, und acht es nicht für Raub,
    Den Acker, den du erntest, selbst zu düngen;
    Das ist das beste Mittel, glaub,
    Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen!

    FAUST

    Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen,
    2405
    Den Spaten in die Hand zu nehmen.
    Das enge Leben steht mir gar nicht an.

    MEPHISTOPHELES

    So muß denn doch die Hexe dran.

    FAUST

    Warum denn just das alte Weib!
    Kannst du den Trank nicht selber brauen?

    MEPHISTOPHELES

    2410
    Das wär ein schöner Zeitvertreib!
    Ich wollt indes wohl tausend Brücken bauen.
    Nicht Kunst und Wissenschaft allein,
    Geduld will bei dem Werke sein.
    Ein stiller Geist ist jahrelang geschäftig,
    2415
    Die Zeit nur macht die feine Gärung kräftig.
    Und alles, was dazu gehört,
    Es sind gar wunderbare Sachen!
    Der Teufel hat sie's zwar gelehrt;
    Allein der Teufel kann's nicht machen.
    2420
    Die Tiere erblickend.
    Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
    Das ist die Magd! das ist der Knecht!
    Zu den Tieren.
    Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?

    DIE TIERE

    2425
    Beim Schmause,
    Aus dem Haus
    Zum Schornstein hinaus!

    MEPHISTOPHELES

    Wie lange pflegt sie wohl zu schwärmen?

    DIE TIERE

    So lange wir uns die Pfoten wärmen.

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    2430
    Wie findest du die zarten Tiere?

    FAUST

    So abgeschmackt, als ich nur jemand sah!

    MEPHISTOPHELES

    Nein, ein Discours wie dieser da
    Ist grade der, den ich am liebsten führe!
    zu den Tieren.
    2435
    So sagt mir doch, verfluchte Puppen,
    Was quirlt ihr in dem Brei herum?

    DIE TIERE

    Wir kochen breite Bettelsuppen.

    MEPHISTOPHELES

    Da habt ihr ein groß Publikum.

    DER KATER

    macht sich herbei und schmeichelt dem Mephistopheles.
    O würfle nur gleich,
    2440
    Und mache mich reich,
    Und laß mich gewinnen!
    Gar schlecht ist's bestellt,
    Und wär ich bei Geld,
    So wär ich bei Sinnen.

    MEPHISTOPHELES

    2445
    Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
    Könnt er nur auch ins Lotto setzen!
    Indessen haben die jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt und rollen sie hervor.

    DER KATER

    Das ist die Welt;
    Sie steigt und fällt
    Und rollt beständig;
    2450
    Sie klingt wie Glas
    Wie bald bricht das!
    Ist hohl inwendig.
    Hier glänzt sie sehr,
    Und hier noch mehr:
    2455
    „Ich bin lebendig!”
    Mein lieber Sohn,
    Halt dich davon!
    Du mußt sterben!
    Sie ist von Ton,
    2460
    Es gibt Scherben.

    MEPHISTOPHELES

    Was soll das Sieb?

    DER KATER

    holt es herunter.
    Wärst du ein Dieb,
    Wollt ich dich gleich erkennen.
    Er lauft zur Kätzin und läßt sie durchsehen.
    2465
    Sieh durch das Sieb!
    Erkennst du den Dieb,
    Und darfst ihn nicht nennen?

    MEPHISTOPHELES

    sich dem Feuer nähernd.
    Und dieser Topf?

    KATER UND KÄTZIN

    Der alberne Tropf!
    2470
    Er kennt nicht den Topf,
    Er kennt nicht den Kessel!

    MEPHISTOPHELES

    Unhöfliches Tier!

    DER KATER

    Den Wedel nimm hier,
    Und setz dich in Sessel!
    2475
    Er nötigt den Mephistopheles zu sitzen.

    FAUST

    welcher diese Zeit über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt hat.
    Was seh ich? Welch ein himmlisch Bild
    Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
    O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
    Und führe mich in ihr Gefild!
    2480
    Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
    Wenn ich es wage, nah zu gehn,
    Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! —
    Das schönste Bild von einem Weibe!
    Ist's möglich, ist das Weib so schön?
    2485
    Muß ich an diesem hingestreckten Leibe
    Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?
    So etwas findet sich auf Erden?

    MEPHISTOPHELES

    Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
    Und selbst am Ende Bravo sagt,
    2490
    Da muß es was Gescheites werden.
    Für diesmal sieh dich immer satt;
    Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
    Und selig, wer das gute Schicksal hat,
    Als Bräutigam sie heim zu führen!
    2495
    Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend, fährt fort zu sprechen.
    Hier sitz ich wie der König auf dem Throne,
    Den Zepter halt ich hier, es fehlt nur noch die Krone.

    DIE TIERE

    welche bisher allerlei wunderliche Bewegungen durcheinander gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit großem Geschrei.
    O sei doch so gut,
    Mit Schweiß und mit Blut
    2500
    Die Krone zu leimen!
    Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwei Stücke, mit welchen sie herumspringen.
    Nun ist es geschehn!
    Wir reden und sehn,
    Wir hören und reimen;

    FAUST

    gegen den Spiegel.
    2505
    Weh mir! ich werde schier verrückt.

    MEPHISTOPHELES

    auf die Tiere deutend.
    Nun fängt mir an fast selbst der Kopf zu schwanken.

    DIE TIERE

    Und wenn es uns glückt,
    Und wenn es sich schickt,
    So sind es Gedanken!

    FAUST

    wie oben.
    2510
    Mein Busen fängt mir an zu brennen!
    Entfernen wir uns nur geschwind!

    MEPHISTOPHELES

    in obiger Stellung.
    Nun, wenigstens muß man bekennen,
    Daß es aufrichtige Poeten sind.
    Der Kessel, welchen die Kätzin bisher außer acht gelassen, fängt an überzulaufen, es entsteht eine große Flamme, welche zum Schornstein hinaus schlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrei herunter gefahren.

    DIE HEXE

    Au! Au! Au! Au!
    2515
    Verdammtes Tier! verfluchte Sau!
    Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
    Verfluchtes Tier!
    Faust und Mephistopheles erblickend.
    Was ist das hier?
    2520
    Wer seid ihr hier?
    Was wollt ihr da?
    Wer schlich sich ein?
    Die Feuerpein
    Euch ins Gebein!
    Sie fahrt mit dem Schaumlöffel in den Kessel und spritzt Flammen nach Faust, Mephistopheles und den Tieren. Die Tiere winseln.

    MEPHISTOPHELES

    welcher den Wedel, den er in der Hand hält, umkehrt und unter die Gläser und Töpfe schlägt.
    2525
    Entzwei! entzwei!
    Da liegt der Brei!
    Da liegt das Glas!
    Es ist nur Spaß,
    Der Takt, du Aas,
    2530
    Zu deiner Melodei.
    Indem die Hexe voll Grimm und Entsetzen zurücktritt.
    Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!
    Erkennst du deinen Herrn und Meister?
    Was hält mich ab, so schlag ich zu,
    2535
    Zerschmettre dich und deine Katzengeister!
    Hast du vorm roten Wams nicht mehr Respekt?
    Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
    Hab ich dies Angesicht versteckt?
    Soll ich mich etwa selber nennen?

    DIE HEXE

    2540
    O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
    Seh ich doch keinen Pferdefuß.
    Wo sind denn Eure beiden Raben?

    MEPHISTOPHELES

    Für diesmal kommst du so davon;
    Denn freilich ist es eine Weile schon,
    2545
    Daß wir uns nicht gesehen haben.
    Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
    Hat auf den Teufel sich erstreckt;
    Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen;
    Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
    2550
    Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
    Der würde mir bei Leuten schaden;
    Darum bedien ich mich, wie mancher junge Mann,
    Seit vielen Jahren falscher Waden.

    DIE HEXE

    tanzend.
    Sinn und Verstand verlier ich schier,
    2555
    Seh ich den Junker Satan wieder hier!

    MEPHISTOPHELES

    Den Namen, Weib, verbitt ich mir!

    DIE HEXE

    Warum? Was hat er Euch getan?

    MEPHISTOPHELES

    Er ist schon lang ins Fabelbuch geschrieben;
    Allein die Menschen sind nichts besser dran,
    2560
    Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
    Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
    Ich bin ein Kavalier, wie andre Kavaliere.
    Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
    Sieh her, das ist das Wappen, das ich führe!
    Er macht eine unanständige Gebärde.

    DIE HEXE

    lacht unmäßig.
    2565
    Ha! Ha! Das ist in Eurer Art!
    Ihr seid ein Schelm, wie Ihr nur immer wart!

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
    Dies ist die Art, mit Hexen umzugehn.

    DIE HEXE

    Nun sagt, ihr Herren, was ihr schafft.

    MEPHISTOPHELES

    2570
    Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
    Doch muß ich Euch ums Ältste bitten;
    Die Jahre doppeln seine Kraft.

    DIE HEXE

    Gar gern! Hier hab ich eine Flasche,
    Aus der ich selbst zuweilen nasche,
    2575
    Die auch nicht mehr im mindsten stinkt;
    Ich will euch gern ein Gläschen geben.
    Leise.
    Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt
    So kann er, wißt Ihr wohl, nicht eine Stunde leben.

    MEPHISTOPHELES

    2580
    Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
    Ich gönn ihm gern das Beste deiner Küche.
    Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
    Und gib ihm eine Tasse voll!
    Die Hexe, mit seltsamen Gebärden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.

    FAUST

    zu Mephistopheles.
    Nein, sage mir, was soll das werden?
    2585
    Das tolle Zeug, die rasenden Gebärden,
    Der abgeschmackteste Betrug,
    Sind mir bekannt, verhaßt genug.

    MEPHISTOPHELES

    Ei Possen! Das ist nur zum Lachen;
    Sei nur nicht ein so strenger Mann!
    2590
    Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
    Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
    Er nötigt Fausten, in den Kreis zu treten.

    DIE HEXE

    mit großer Emphase fängt an, aus dem Buche zu deklamieren.
    Du mußt verstehn!
    Aus Eins mach Zehn,
    Und Zwei laß gehn,
    2595
    Und Drei mach gleich,
    So bist du reich.
    Verlier die Vier!
    Aus Fünf und Sechs,
    So sagt die Hex,
    2600
    Mach Sieben und Acht,
    So ist's vollbracht:
    Und Neun ist Eins,
    Und Zehn ist keins.
    Das ist das Hexen-Einmaleins!

    FAUST

    2605
    Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.

    MEPHISTOPHELES

    Das ist noch lange nicht vorüber,
    Ich kenn es wohl, so klingt das ganze Buch;
    Ich habe manche Zeit damit verloren,
    Denn ein vollkommner Widerspruch
    2610
    Bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
    Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
    Es war die Art zu allen Zeiten,
    Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
    Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
    2615
    So schwätzt und lehrt man ungestört;
    Wer will sich mit den Narrn befassen?
    Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
    Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

    DIE HEXE

    fährt fort.
    Die hohe Kraft
    2620
    Der Wissenschaft,
    Der ganzen Welt verborgen!
    Und wer nicht denkt,
    Dem wird sie geschenkt,
    Er hat sie ohne Sorgen.

    FAUST

    2625
    Was sagt sie uns für Unsinn vor?
    Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
    Mich dünkt, ich hör ein ganzes Chor
    Von hunderttausend Narren sprechen.

    MEPHISTOPHELES

    Genug, genug, o treffliche Sibylle!
    2630
    Gib deinen Trank herbei, und fülle
    Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
    Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
    Er ist ein Mann von vielen Graden,
    Der manchen guten Schluck getan.
    2635
    Nur frisch hinunter! Immer zu!
    Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
    Bist mit dem Teufel du und du,
    Und willst dich vor der Flamme scheuen?
    Nun frisch hinaus! Du darfst nicht ruhn.

    DIE HEXE

    2640
    Mög Euch das Schlückchen wohl behagen!

    MEPHISTOPHELES

    zur Hexe.
    Und kann ich dir was zu Gefallen tun,
    So darfst du mir's nur auf Walpurgis sagen.

    DIE HEXE

    Hier ist ein Lied! wenn Ihr's zuweilen singt,
    So werdet Ihr besondre Wirkung spüren.

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    2645
    Komm nur geschwind und laß dich führen;
    Du mußt notwendig transpirieren,
    Damit die Kraft durch Inn– und Äußres dringt.
    Den edlen Müßiggang lehr ich hernach dich schätzen,
    Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
    2650
    Wie sich Cupido regt und hin und wider springt.

    FAUST

    Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!
    Das Frauenbild war gar zu schön!

    MEPHISTOPHELES

    Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
    Nun bald leibhaftig vor dir sehn.
    2655
    Leise.
    Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
    Bald Helenen in jedem Weibe.

    STRAßE (I)

    Faust. Margarete vorübergehend.

    FAUST

    Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
    Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?

    MARGARETE

    2660
    Bin weder Fräulein, weder schön,
    Kann ungeleitet nach Hause gehn.
    Sie macht sich los und ab.

    FAUST

    Beim Himmel, dieses Kind ist schön!
    So etwas hab ich nie gesehn.
    Sie ist so sitt– und tugendreich,
    2665
    Und etwas schnippisch doch zugleich.
    Der Lippe Rot, der Wange Licht,
    Die Tage der Welt vergeß ich's nicht!
    Wie sie die Augen niederschlägt,
    Hat tief sich in mein Herz geprägt;
    2670
    Wie sie kurz angebunden war,
    Das ist nun zum Entzücken gar!
    Mephistopheles tritt auf.

    FAUST

    Hör, du mußt mir die Dirne schaffen!

    MEPHISTOPHELES

    Nun, welche?

    FAUST

    Sie ging just vorbei.

    MEPHISTOPHELES

    2675
    Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
    Der sprach sie aller Sünden frei;
    Ich schlich mich hart am Stuhl vorbei,
    Es ist ein gar unschuldig Ding,
    Das eben für nichts zur Beichte ging;
    2680
    Über die hab ich keine Gewalt!

    FAUST

    Ist über vierzehn Jahr doch alt.

    MEPHISTOPHELES

    Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
    Der begehrt jede liebe Blum für sich,
    Und dünkelt ihm, es wär kein Ehr
    2685
    Und Gunst, die nicht zu pflücken wär;
    Geht aber doch nicht immer an.

    FAUST

    Mein Herr Magister Lobesan,
    Laß Er mich mit dem Gesetz in Frieden!
    Und das sag ich Ihm kurz und gut:
    2690
    Wenn nicht das süße junge Blut
    Heut Nacht in meinen Armen ruht,
    So sind wir um Mitternacht geschieden.

    MEPHISTOPHELES

    Bedenkt, was gehn und stehen mag!
    Ich brauche wenigstens vierzehn Tag,
    2695
    Nur die Gelegenheit auszuspüren.

    FAUST

    Hätt ich nur sieben Stunden Ruh,
    Brauchte den Teufel nicht dazu,
    So ein Geschöpfchen zu verführen.

    MEPHISTOPHELES

    Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;
    2700
    Doch bitt ich, laßt's Euch nicht verdrießen:
    Was hilft's, nur grade zu genießen?
    Die Freud ist lange nicht so groß,
    Als wenn Ihr erst herauf, herum
    Durch allerlei Brimborium,
    2705
    Das Püppchen geknetet und zugericht't
    Wie's lehret manche welsche Geschicht.

    FAUST

    Hab Appetit auch ohne das.

    MEPHISTOPHELES

    Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß:
    Ich sag Euch, mit dem schönen Kind
    2710
    Geht's ein für allemal nicht geschwind.
    Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
    Wir müssen uns zur List bequemen.

    FAUST

    Schaff mir etwas vom Engelsschatz!
    Führ mich an ihren Ruheplatz!
    2715
    Schaff mir ein Halstuch von ihrer Brust,
    Ein Strumpfband meiner Liebeslust!

    MEPHISTOPHELES

    Damit Ihr seht, daß ich Eurer Pein
    Will förderlich und dienstlich sein,
    Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
    2720
    Will Euch noch heut in ihr Zimmer führen.

    FAUST

    Und soll sie sehn? sie haben?

    MEPHISTOPHELES

    Nein!
    Sie wird bei einer Nachbarin sein.
    Indessen könnt Ihr ganz allein
    2725
    An aller Hoffnung künft'ger Freuden
    In ihrem Dunstkreis satt Euch weiden.

    FAUST

    Können wir hin?

    MEPHISTOPHELES

    Es ist noch zu früh.

    FAUST

    Sorg du mir für ein Geschenk für sie!
    Ab.

    MEPHISTOPHELES

    2730
    Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssieren!
    Ich kenne manchen schönen Platz
    Und manchen altvergrabnen Schatz;
    Ich muß ein bißchen revidieren.
    Ab.

    ABEND

    Ein kleines reinliches Zimmer.

    MARGARETE

    ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.
    Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt,
    2735
    Wer heut der Herr gewesen ist!
    Er sah gewiß recht wacker aus,
    Und ist aus einem edlen Haus;
    Das konnt ich ihm an der Stirne lesen —
    Er wär auch sonst nicht so keck gewesen.
    Ab.
    Mephistopheles. Faust.

    MEPHISTOPHELES

    2740
    Herein, ganz leise, nur herein!

    FAUST

    nach einigem Stillschweigen.
    Ich bitte dich, laß mich allein!

    MEPHISTOPHELES

    herumspürend.
    Nicht jedes Mädchen hält so rein.
    Ab.

    FAUST

    rings aufschauend.
    Willkommen, süßer Dämmerschein,
    Der du dies Heiligtum durchwebst!
    2745
    Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
    Die du vom Tau der Hoffnung schmachtend lebst!
    Wie atmet rings Gefühl der Stille,
    Der Ordnung, der Zufriedenheit!
    In dieser Armut welche Fülle!
    2750
    In diesem Kerker welche Seligkeit!
    O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
    Bei Freud und Schmerz im offnen Arm empfangen!
    Wie oft, ach! hat an diesem Väterthron
    Schon eine Schar von Kindern rings gehangen!
    2755
    Vielleicht hat, dankbar für den heil'gen Christ
    Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
    Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
    Ich fühl o Mädchen, deinen Geist
    Der Füll und Ordnung um mich säuseln,
    2760
    Der mütterlich dich täglich unterweist,
    Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
    Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
    O liebe Hand! so göttergleich!
    Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
    2765
    Und hier!
    Was faßt mich für ein Wonnegraus!
    Hier möcht ich volle Stunden säumen.
    Natur, hier bildetest in leichten Träumen
    Den eingebornen Engel aus!
    2770
    Hier lag das Kind! mit warmem Leben
    Den zarten Busen angefüllt,
    Und hier mit heilig reinem Weben
    Entwirkte sich das Götterbild!
    Und du! Was hat dich hergeführt?
    2775
    Wie innig fühl ich mich gerührt!
    Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
    Armsel'ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
    Umgibt mich hier ein Zauberduft?
    Mich drang's, so grade zu genießen,
    2780
    Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
    Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
    Und träte sie den Augenblick herein,
    Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
    Der große Hans, ach wie so klein!
    2785
    Läg, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.

    MEPHISTOPHELES

    kommt.
    Geschwind! ich seh sie unten kommen.

    FAUST

    Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!

    MEPHISTOPHELES

    Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
    Ich hab's wo anders hergenommen.
    2790
    Stellt's hier nur immer in den Schrein,
    Ich schwör Euch, ihr vergehn die Sinnen;
    Ich tat Euch Sächelchen hinein,
    Um eine andre zu gewinnen.
    Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.

    FAUST

    2795
    Ich weiß nicht, soll ich?

    MEPHISTOPHELES

    Fragt Ihr viel?
    Meint Ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
    Dann rat ich Eurer Lüsternheit,
    Die liebe schöne Tageszeit
    2800
    Und mir die weitre Müh zu sparen.
    Ich hoff nicht, daß Ihr geizig seid!
    Ich kratz den Kopf, reib an den Händen
    Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.
    Nur fort! geschwind!
    2805
    Um Euch das süße junge Kind
    Nach Herzens Wunsch und Will zu wenden;
    Und Ihr seht drein,
    Als solltet Ihr in den Hörsaal hinein,
    Als stünden grau leibhaftig vor Euch da
    2810
    Physik und Metaphysika!
    Nur fort!
    Ab.

    MARGARETE

    mit einer Lampe.
    Es ist so schwül, so dumpfig hie
    Sie macht das Fenster auf.
    Und ist doch eben so warm nicht drauß.
    2815
    Es wird mir so, ich weiß nicht wie —
    Ich wollt, die Mutter käm nach Haus.
    Mir läuft ein Schauer übern ganzen Leib —
    Bin doch ein töricht furchtsam Weib!
    Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.
    2820
    Es war ein König in Thule
    Gar treu bis an das Grab,
    Dem sterbend seine Buhle
    Einen goldnen Becher gab.
    Es ging ihm nichts darüber,
    2825
    Er leert ihn jeden Schmaus;
    Die Augen gingen ihm über,
    So oft er trank daraus.
    Und als er kam zu sterben,
    Zählt' er seine Städt' im Reich,
    2830
    Gönnt alles seinem Erben,
    Den Becher nicht zugleich.
    Er saß beim Königsmahle,
    Die Ritter um ihn her,
    Auf hohem Vätersaale,
    2835
    Dort auf dem Schloß am Meer.
    Dort stand der alte Zecher,
    Trank letzte Lebensglut,
    Und warf den heiligen Becher
    Hinunter in die Flut.
    2840
    Er sah ihn stürzen, trinken
    Und sinken tief ins Meer,
    Die Augen täten ihm sinken,
    Trank nie einen Tropfen mehr.
    Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
    2845
    Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
    Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne sein?
    Vielleicht bracht's jemand als ein Pfand,
    Und meine Mutter lieh darauf.
    Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
    2850
    Ich denke wohl, ich mach es auf!
    Was ist das? Gott im Himmel! Schau,
    So was hab ich mein Tage nicht gesehn!
    Ein Schmuck! Mit dem könnt eine Edelfrau
    Am höchsten Feiertage gehn.
    2855
    Wie sollte mir die Kette stehn?
    Wem mag die Herrlichkeit gehören?
    Wenn nur die Ohrring meine wären!
    Man sieht doch gleich ganz anders drein.
    Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
    2860
    Das ist wohl alles schön und gut,
    Allein man läßt's auch alles sein;
    Man lobt euch halb mit Erbarmen.
    Nach Golde drängt,
    Am Golde hängt
    2865
    Doch alles. Ach wir Armen!

    SPAZIERGANG

    Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.

    MEPHISTOPHELES

    Bei aller verschmähten Liebe! Beim höllischen Elemente!
    Ich wollt, ich wüßte was Ärgers, daß ich's fluchen könnte!

    FAUST

    Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
    So kein Gesicht sah ich in meinem Leben!

    MEPHISTOPHELES

    2870
    Ich möcht mich gleich dem Teufel übergeben,
    Wenn ich nur selbst kein Teufel wär!

    FAUST

    Hat sich dir was im Kopf verschoben?
    Dich kleidet's wie ein Rasender zu toben!

    MEPHISTOPHELES

    Denkt nur, den Schmuck, für Gretchen angeschafft,
    2875
    Den hat ein Pfaff hinweggerafft! —
    Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
    Gleich fängt's ihr heimlich an zu grauen,
    Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
    Schnuffelt immer im Gebetbuch,
    2880
    Und riecht's einem jeden Möbel an,
    Ob das Ding heilig ist oder profan;
    Und an dem Schmuck da spürt, sie's klar,
    Daß dabei nicht viel Segen war.
    Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
    2885
    Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
    Wollen's der Mutter Gottes weihen,
    Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
    Margretlein zog ein schiefes Maul,
    Ist halt, dacht sie, ein geschenkter Gaul,
    2890
    Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
    Der ihn so fein gebracht hierher.
    Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
    Der hatte kaum den Spaß vernommen,
    Ließ sich den Anblick wohl behagen.
    2895
    Er sprach: So ist man recht gesinnt!
    Wer überwindet, der gewinnt.
    Die Kirche hat einen guten Magen,
    Hat ganze Länder aufgefressen
    Und doch noch nie sich übergessen;
    2900
    Die Kirch allein, meine lieben Frauen,
    Kann ungerechtes Gut verdauen.

    FAUST

    Das ist ein allgemeiner Brauch,
    Ein Jud und König kann es auch.

    MEPHISTOPHELES

    Strich drauf ein Spange, Kett und Ring',
    2905
    Als wären's eben Pfifferling',
    Dankt' nicht weniger und nicht mehr,
    Als ob's ein Korb voll Nüsse wär,
    Versprach ihnen allen himmlischen Lohn —
    Und sie waren sehr erbaut davon.

    FAUST

    2910
    Und Gretchen?

    MEPHISTOPHELES

    Sitzt nun unruhvoll,
    Weiß weder, was sie will noch soll,
    Denkt ans Geschmeide Tag und Nacht,
    Noch mehr an den, der's ihr gebracht.

    FAUST

    2915
    Des Liebchens Kummer tut mir leid.
    Schaff du ihr gleich ein neu Geschmeid!
    Am ersten war ja so nicht viel.

    MEPHISTOPHELES

    O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!

    FAUST

    Und mach, und richt's nach meinem Sinn,
    2920
    Häng dich an ihre Nachbarin!
    Sei, Teufel, doch nur nicht wie Brei,
    Und schaff einen neuen Schmuck herbei!

    MEPHISTOPHELES

    Ja, gnäd'ger Herr, von Herzen gerne.
    Faust ab.
    So ein verliebter Tor verpufft
    2925
    Euch Sonne, Mond und alle Sterne
    Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
    Ab.

    DER NACHBARIN HAUS

    MARTHE

    allein.
    Gott verzeih's meinem lieben Mann,
    Er hat an mir nicht wohl getan!
    Geht da stracks in die Welt hinein,
    2930
    Und läßt mich auf dem Stroh allein.
    Tät ihn doch wahrlich nicht betrüben,
    Tät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
    Sie weint.
    Vielleicht ist er gar tot! — O Pein! — —
    2935
    Hätt ich nur einen Totenschein!
    Margarete kommt.

    MARGARETE

    Frau Marthe!

    MARTHE

    Gretelchen, was soll's?

    MARGARETE

    Fast sinken mir die Kniee nieder!
    Da find ich so ein Kästchen wieder
    2940
    In meinem Schrein, von Ebenholz,
    Und Sachen herrlich ganz und gar,
    Weit reicher, als das erste war.

    MARTHE

    Das muß Sie nicht der Mutter sagen;
    Tät's wieder gleich zur Beichte tragen.

    MARGARETE

    2945
    Ach seh Sie nur! ach schau Sie nur!

    MARTHE

    putzt sie auf.
    O du glücksel'ge Kreatur!

    MARGARETE

    Darf mich, leider, nicht auf der Gassen,
    Noch in der Kirche mit sehen lassen.

    MARTHE

    Komm du nur oft zu mir herüber,
    2950
    Und leg den Schmuck hier heimlich an;
    Spazier ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
    Wir haben unsre Freude dran;
    Und dann gibt's einen Anlaß, gibt's ein Fest,
    Wo man's so nach und nach den Leuten sehen läßt.
    2955
    Ein Kettchen erst, die Perle dann ins Ohr;
    Die Mutter sieht's wohl nicht, man macht ihr auch was vor.

    MARGARETE

    Wer konnte nur die beiden Kästchen bringen?
    Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
    Ach Gott! mag das meine Mutter sein?

    MARTHE

    durchs Vorhängel guckend.
    2960
    Es ist ein fremder Herr — Herein!
    Mephistopheles tritt auf.

    MEPHISTOPHELES

    Bin so frei, grad hereinzutreten,
    Muß bei den Frauen Verzeihn erbeten.
    Tritt ehrerbietig vor Margareten zurück.
    Wollte nach Frau Marthe Schwerdtlein fragen!

    MARTHE

    2965
    Ich bin's, was hat der Herr zu sagen?

    MEPHISTOPHELES

    leise zu ihr.
    Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
    Sie hat da gar vornehmen Besuch.
    Verzeiht die Freiheit, die ich genommen,
    Will Nachmittage wiederkommen.

    MARTHE

    lacht.
    2970
    Denk, Kind, um alles in der Welt!
    Der Herr dich für ein Fräulein hält.

    MARGARETE

    Ich bin ein armes junges Blut;
    Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
    Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.

    MEPHISTOPHELES

    2975
    Ach, es ist nicht der Schmuck allein;
    Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
    Wie freut mich's, daß ich bleiben darf.

    MARTHE

    Was bringt Er denn? Verlange sehr —

    MEPHISTOPHELES

    Ich wollt, ich hätt eine frohere Mär!
    2980
    Ich hoffe, Sie läßt mich's drum nicht büßen:
    Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen.

    MARTHE

    Ist tot? das treue Herz! O weh!
    Mein Mann ist tot! Ach ich vergeh!

    MARGARETE

    Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!

    MEPHISTOPHELES

    2985
    So hört die traurige Geschicht!

    MARGARETE

    Ich möchte drum mein' Tag' nicht lieben,
    Würde mich Verlust zu Tode betrüben.

    MEPHISTOPHELES

    Freud muß Leid, Leid muß Freude haben.

    MARTHE

    Erzählt mir seines Lebens Schluß!

    MEPHISTOPHELES

    2990
    Er liegt in Padua begraben
    Beim heiligen Antonius,
    An einer wohlgeweihten Stätte
    Zum ewig kühlen Ruhebette.

    MARTHE

    Habt Ihr sonst nichts an mich zu bringen?

    MEPHISTOPHELES

    2995
    Ja, eine Bitte, groß und schwer:
    Laß Sie doch ja für ihn dreihundert Messen singen!
    Im übrigen sind meine Taschen leer.

    MARTHE

    Was! nicht ein Schaustück? kein Geschmeid?
    Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
    3000
    Zum Angedenken aufbewahrt,
    Und lieber hungert, lieber bettelt!

    MEPHISTOPHELES

    Madam, es tut mir herzlich leid;
    Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
    Auch er bereute seine Fehler sehr,
    3005
    Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.

    MARGARETE

    Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
    Gewiß, ich will für ihn manch Requiem noch beten.

    MEPHISTOPHELES

    Ihr wäret wert, gleich in die Eh zu treten:
    Ihr seid ein liebenswürdig Kind.

    MARGARETE

    3010
    Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.

    MEPHISTOPHELES

    Ist's nicht ein Mann, sei's derweil ein Galan.
    's ist eine der größten Himmelsgaben,
    So ein lieb Ding im Arm zu haben.

    MARGARETE

    Das ist des Landes nicht der Brauch.

    MEPHISTOPHELES

    3015
    Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.

    MARTHE

    Erzählt mir doch!

    MEPHISTOPHELES

    Ich stand an seinem Sterbebette,
    Es war was besser als von Mist,
    Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,
    3020
    Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
    „Wie”, rief er, „muß ich mich von Grund aus hassen,
    So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
    Ach, die Erinnrung tötet mich.
    Vergäb sie mir nur noch in diesem Leben!”

    MARTHE

    weinend.
    3025
    Der gute Mann! ich hab ihm längst vergeben.

    MEPHISTOPHELES

    „Allein, weiß Gott! sie war mehr schuld als ich.”

    MARTHE

    Das lügt er! Was! am Rand des Grabs zu lügen!

    MEPHISTOPHELES

    Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
    Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
    3030
    „Ich hatte”, sprach er, „nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,
    Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
    Und Brot im allerweitsten Sinn,
    Und konnte nicht einmal mein Teil in Frieden essen.”

    MARTHE

    Hat er so aller Treu, so aller Lieb vergessen,
    3035
    Der Plackerei bei Tag und Nacht!

    MEPHISTOPHELES

    Nicht doch, er hat Euch herzlich dran gedacht.
    Er sprach: „Als ich nun weg von Malta ging,
    Da betet ich für Frau und Kinder brünstig;
    Uns war denn auch der Himmel günstig,
    3040
    Daß unser Schiff ein türkisch Fahrzeug fing,
    Das einen Schatz des großen Sultans führte.
    Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
    Und ich empfing denn auch, wie sich's gebührte,
    Mein wohlgemeßnes Teil davon.”

    MARTHE

    3045
    Ei wie? Ei wo? Hat er's vielleicht vergraben?

    MEPHISTOPHELES

    Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
    Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
    Als er in Napel fremd umherspazierte;
    Sie hat an ihm viel Liebs und Treus getan,
    3050
    Daß er's bis an sein selig Ende spürte.

    MARTHE

    Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
    Auch alles Elend, alle Not
    Konnt' nicht sein schändlich Leben hindern!

    MEPHISTOPHELES

    Ja seht! dafür ist er nun tot.
    3055
    Wär ich nun jetzt an Eurem Platze,
    Betraurt' ich ihn ein züchtig Jahr,
    Visierte dann unterweil nach einem neuen Schatze.

    MARTHE

    Ach Gott! wie doch mein erster war,
    Find ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
    3060
    Es konnte kaum ein herziger Närrchen sein.
    Er liebte nur das allzuviele Wandern;
    Und fremde Weiber und fremden Wein,
    Und das verfluchte Würfelspiel.

    MEPHISTOPHELES

    Nun, nun, so konnt es gehn und stehen,
    3065
    Wenn er Euch ungefähr so viel
    Von seiner Seite nachgesehen.
    Ich schwör Euch zu, mit dem Beding
    Wechselt ich selbst mit Euch den Ring!

    MARTHE

    O es beliebt dem Herrn zu scherzen!

    MEPHISTOPHELES

    für sich.
    3070
    Nun mach ich mich beizeiten fort!
    Die hielte wohl den Teufel selbst beim Wort.
    Zu Gretchen.
    Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?

    MARGARETE

    Was meint der Herr damit?

    MEPHISTOPHELES

    für sich.
    3075
    Du guts, unschuldigs Kind!
    Laut.
    Lebt wohl, ihr Fraun!

    MARGARETE

    Lebt wohl!

    MARTHE

    O sagt mir doch geschwind!
    3080
    Ich möchte gern ein Zeugnis haben,
    Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.
    Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
    Möcht ihn auch tot im Wochenblättchen lesen.

    MEPHISTOPHELES

    Ja, gute Frau, durch zweier Zeugen Mund
    3085
    Wird allerwegs die Wahrheit kund;
    Habe noch gar einen feinen Gesellen,
    Den will ich Euch vor den Richter stellen.
    Ich bring ihn her.

    MARTHE

    O tut das ja!

    MEPHISTOPHELES

    3090
    Und hier die Jungfrau ist auch da? —
    Ein braver Knab! ist viel gereist,
    Fräuleins alle Höflichkeit erweist.

    MARGARETE

    Müßte vor dem Herren schamrot werden.

    MEPHISTOPHELES

    Vor keinem Könige der Erden.

    MARTHE

    3095
    Da hinterm Haus in meinem Garten
    Wollen wir der Herrn heut abend warten.

    STRAßE (II)

    Faust. Mephistopheles.

    FAUST

    Wie ist's? Will's fördern? Will's bald gehn?

    MEPHISTOPHELES

    Ah bravo! Find ich Euch in Feuer?
    In kurzer Zeit ist Gretchen Euer.
    3100
    Heut abend sollt Ihr sie bei Nachbar' Marthen sehn:
    Das ist ein Weib wie auserlesen
    Zum Kuppler– und Zigeunerwesen!

    FAUST

    So recht!

    MEPHISTOPHELES

    Doch wird auch was von uns begehrt.

    FAUST

    3105
    Ein Dienst ist wohl des andern wert.

    MEPHISTOPHELES

    Wir legen nur ein gültig Zeugnis nieder,
    Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
    In Padua an heil'ger Stätte ruhn.

    FAUST

    Sehr klug! Wir werden erst die Reise machen müssen!

    MEPHISTOPHELES

    3110
    Sancta Simplicitas! darum ist's nicht zu tun;
    Bezeugt nur, ohne viel zu wissen.

    FAUST

    Wenn Er nichts Bessers hat, so ist der Plan zerrissen.

    MEPHISTOPHELES

    O heil'ger Mann! Da wärt Ihr's nun!
    Ist es das erstemal in eurem Leben,
    3115
    Daß Ihr falsch Zeugnis abgelegt?
    Habt Ihr von Gott, der Welt und was sich drin bewegt,
    Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
    Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?
    Mit frecher Stirne, kühner Brust?
    3120
    Und wollt Ihr recht ins Innre gehen,
    Habt Ihr davon, Ihr müßt es grad gestehen,
    So viel als von Herrn Schwerdtleins Tod gewußt!

    FAUST

    Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.

    MEPHISTOPHELES

    Ja, wenn man's nicht ein bißchen tiefer wüßte.
    3125
    Denn morgen wirst, in allen Ehren,
    Das arme Gretchen nicht betören
    Und alle Seelenlieb ihr schwören?

    FAUST

    Und zwar von Herzen.

    MEPHISTOPHELES

    Gut und schön!
    3130
    Dann wird von ewiger Treu und Liebe,
    von einzig überallmächt'gem Triebe —
    Wird das auch so von Herzen gehn?

    FAUST

    Laß das! Es wird! — Wenn ich empfinde,
    Für das Gefühl, für das Gewühl
    3135
    Nach Namen suche, keinen finde,
    Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
    Nach allen höchsten Worten greife,
    Und diese Glut, von der ich brenne,
    Unendlich, ewig, ewig nenne,
    3140
    Ist das ein teuflisch Lügenspiel?

    MEPHISTOPHELES

    Ich hab doch recht!

    FAUST

    Hör! merk dir dies —
    Ich bitte dich, und schone meine Lunge —:
    Wer recht behalten will und hat nur eine Zunge,
    3145
    Behält's gewiß.
    Und komm, ich hab des Schwätzens Überdruß,
    Denn du hast recht, vorzüglich weil ich muß.

    GARTEN

    Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazierend.

    MARGARETE

    Ich fühl es wohl, daß mich der Herr nur schont,
    Herab sich läßt, mich zu beschämen.
    3150
    Ein Reisender ist so gewohnt,
    Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen;
    Ich weiß zu gut, daß solch erfahrnen Mann
    Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.

    FAUST

    Ein Blick von dir, ein Wort mehr unterhält
    3155
    Als alle Weisheit dieser Welt.
    Er küßt ihre Hand.

    MARGARETE

    Inkommodiert Euch nicht! Wie könnt Ihr sie nur küssen?
    Sie ist so garstig, ist so rauh!
    Was hab ich nicht schon alles schaffen müssen!
    Die Mutter ist gar zu genau.
    Gehn vorüber.

    MARTHE

    3160
    Und Ihr, mein Herr, Ihr reist so immer fort?

    MEPHISTOPHELES

    Ach, daß Gewerb und Pflicht uns dazu treiben!
    Mit wieviel Schmerz verläßt man manchen Ort,
    Und darf doch nun einmal nicht bleiben!

    MARTHE

    In raschen Jahren geht's wohl an,
    3165
    So um und um frei durch die Welt zu streifen;
    Doch kömmt die böse Zeit heran,
    Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu schleifen,
    Das hat noch keinem wohl getan.

    MEPHISTOPHELES

    Mit Grausen seh ich das von weiten.

    MARTHE

    3170
    Drum, werter Herr, beratet Euch in Zeiten.
    Gehn vorüber.

    MARGARETE

    Ja, aus den Augen, aus dem Sinn!
    Die Höflichkeit ist Euch geläufig;
    Allein Ihr habt der Freunde häufig,
    Sie sind verständiger, als ich bin.

    FAUST

    3175
    O Beste! glaube, was man so verständig nennt,
    Ist oft mehr Eitelkeit und Kurzsinn.

    MARGARETE

    Wie?

    FAUST

    Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
    Sich selbst und ihren heil'gen Wert erkennt!
    3180
    Daß Demut, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
    Der liebevoll austeilenden Natur —

    MARGARETE

    Denkt Ihr an mich ein Augenblickchen nur,
    Ich werde Zeit genug an Euch zu denken haben.

    FAUST

    Ihr seid wohl viel allein?

    MARGARETE

    3185
    Ja, unsre Wirtschaft ist nur klein,
    Und doch will sie versehen sein.
    Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
    Und nähn und laufen früh und spat;
    Und meine Mutter ist in allen Stücken
    3190
    So akkurat!
    Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
    Wir könnten uns weit eh'r als andre regen:
    Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
    Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
    3195
    Doch hab ich jetzt so ziemlich stille Tage:
    Mein Bruder ist Soldat,
    Mein Schwesterchen ist tot.
    Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Not;
    Doch übernähm ich gern noch einmal alle Plage,
    3200
    So lieb war mir das Kind.

    FAUST

    Ein Engel, wenn dir's glich.

    MARGARETE

    Ich zog es auf, und herzlich liebt es mich.
    Es war nach meines Vaters Tod geboren.
    Die Mutter gaben wir verloren,
    3205
    So elend wie sie damals lag,
    Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
    Da konnte sie nun nicht dran denken,
    Das arme Würmchen selbst zu tränken,
    Und so erzog ich's ganz allein,
    3210
    Mit Milch und Wasser, so ward's mein.
    Auf meinem Arm, in meinem Schoß
    War's freundlich, zappelte, ward groß.

    FAUST

    Du hast gewiß das reinste Glück empfunden.

    MARGARETE

    Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
    3215
    Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
    An meinem Bett; es durfte kaum sich regen,
    War ich erwacht;
    Bald mußt ich's tränken, bald es zu mir legen,
    Bald, wenn's nicht schwieg, vom Bett aufstehn
    3220
    Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,
    Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
    Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
    Und immer fort wie heut so morgen.
    Da geht's, mein Herr, nicht immer mutig zu;
    3225
    Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.
    Gehn vorüber.

    MARTHE

    Die armen Weiber sind doch übel dran:
    Ein Hagestolz ist schwerlich zu bekehren.

    MEPHISTOPHELES

    Es käme nur auf Euresgleichen an,
    Mich eines Bessern zu belehren.

    MARTHE

    3230
    Sagt grad, mein Herr, habt Ihr noch nichts gefunden?
    Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?

    MEPHISTOPHELES

    Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
    Ein braves Weib sind Gold und Perlen wert.

    MARTHE

    Ich meine: ob Ihr niemals Lust bekommen?

    MEPHISTOPHELES

    3235
    Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.

    MARTHE

    Ich wollte sagen: ward's nie Ernst in Eurem Herzen?

    MEPHISTOPHELES

    Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen.

    MARTHE

    Ach, Ihr versteht mich nicht!

    MEPHISTOPHELES

    Das tut mir herzlich leid!
    3240
    Doch ich versteh — daß Ihr sehr gütig seid.
    Gehn vorüber.

    FAUST

    Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
    Gleich als ich in den Garten kam?

    MARGARETE

    Saht Ihr es nicht, ich schlug die Augen nieder.

    FAUST

    Und du verzeihst die Freiheit, die ich nahm?
    3245
    Was sich die Frechheit unterfangen,
    Als du jüngst aus dem Dom gegangen?

    MARGARETE

    Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
    Es konnte niemand von mir Übels sagen.
    Ach, dacht ich, hat er in deinem Betragen
    3250
    Was Freches, Unanständiges gesehn?
    Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
    Mit dieser Dirne gradehin zu handeln.
    Gesteh ich's doch! Ich wußte nicht, was sich
    Zu Eurem Vorteil hier zu regen gleich begonnte;
    3255
    Allein gewiß, ich war recht bös auf mich,
    Daß ich auf Euch nicht böser werden konnte.

    FAUST

    Süß Liebchen!

    MARGARETE

    Laßt einmal!
    Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern.

    FAUST

    Was soll das? Einen Strauß?

    MARGARETE

    3260
    Nein, es soll nur ein Spiel.

    FAUST

    Wie?

    MARGARETE

    Geht! Ihr lacht mich aus.
    Sie rupft und murmelt.

    FAUST

    Was murmelst du?

    MARGARETE

    halblaut.
    Er liebt mich — liebt mich nicht.

    FAUST

    3265
    Du holdes Himmelsangesicht!

    MARGARETE

    fährt fort.
    Liebt mich — nicht — liebt mich — nicht —
    Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freude.
    Er liebt mich!

    FAUST

    Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
    3270
    Dir Götterausspruch sein. Er liebt dich!
    Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
    Er faßt ihre beiden Hände.

    MARGARETE

    Mich überläuft's!

    FAUST

    O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
    Laß diesen Händedruck dir sagen
    3275
    Was unaussprechlich ist:
    Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
    Zu fühlen, die ewig sein muß!
    Ewig! — Ihr Ende würde Verzweiflung sein
    Nein, kein Ende! Kein Ende!
    Margarete drückt ihm die Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt er ihr.

    MARTHE

    kommend.
    3280
    Die Nacht bricht an.

    MEPHISTOPHELES

    Ja, und wir wollen fort.

    MARTHE

    Ich bät Euch, länger hier zu bleiben,
    Allein es ist ein gar zu böser Ort.
    Es ist, als hätte niemand nichts zu treiben
    3285
    Und nichts zu schaffen,
    Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
    Und man kommt ins Gered, wie man sich immer stellt.
    Und unser Pärchen?

    MEPHISTOPHELES

    Ist den Gang dort aufgeflogen.
    3290
    Mutwill'ge Sommervögel!

    MARTHE

    Er scheint ihr gewogen.

    MEPHISTOPHELES

    Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.

    EIN GARTENHÄUSCHEN

    Margarete springt herein, steckt sich hinter die Tür, hält die Fingerspitze an die Lippen und guckt durch die Ritze.

    MARGARETE

    Er kommt!

    FAUST

    kommt.
    Ach, Schelm, so neckst du mich! Treff ich dich!
    Er küßt sie.

    MARGARETE

    ihn fassend und den Kuß zurückgebend.
    3295
    Bester Mann! von Herzen lieb ich dich!
    Mephistopheles klopft an.

    FAUST

    stampfend.
    Wer da?

    MEPHISTOPHELES

    Gut Freund!

    FAUST

    Ein Tier!

    MEPHISTOPHELES

    Es ist wohl Zeit zu scheiden.

    MARTHE

    kommt.
    3300
    Ja, es ist spät, mein Herr.

    FAUST

    Darf ich Euch nicht geleiten?

    MARGARETE

    Die Mutter würde mich — Lebt wohl!

    FAUST

    Muß ich denn gehn? Lebt wohl!

    MARTHE

    Ade!

    MARGARETE

    3305
    Auf baldig Wiedersehn!
    Faust und Mephistopheles ab.

    MARGARETE

    Du lieber Gott! was so ein Mann
    Nicht alles, alles denken kann!
    Beschämt nur steh ich vor ihm da,
    Und sag zu allen Sachen ja.
    3310
    Bin doch ein arm unwissend Kind,
    Begreife nicht, was er an mir find't.
    Ab.

    WALD UND HÖHLE

    Faust allein.
    Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
    Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
    Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
    3315
    Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
    Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
    Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
    Vergönnest mir, in ihre tiefe Brust
    Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.
    3320
    Du führst die Reihe der Lebendigen
    Vor mir vorbei und lehrst mich meine Brüder
    Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
    Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,
    Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste
    3325
    Und Nachbarstämme quetschend niederstreift,
    Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert,
    Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
    Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
    Geheime tiefe Wunder öffnen sich.
    3330
    Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
    Besänftigend herüber, schweben mir
    Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch
    Der Vorwelt silberne Gestalten auf
    Und lindern der Betrachtung strenge Lust.
    3335
    O daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird,
    Empfind ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
    Die mich den Göttern nah und näher bringt,
    Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
    Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
    3340
    Mich vor mir selbst erniedrigt und zu Nichts,
    Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
    Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
    Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
    So tauml ich von Begierde zu Genuß,
    3345
    Und im Genuß verschmacht ich nach Begierde.
    Mephistopheles tritt auf.

    MEPHISTOPHELES

    Habt Ihr nun bald das Leben gnug geführt?
    Wie kann's Euch in die Länge freuen?
    Es ist wohl gut, daß man's einmal probiert
    Dann aber wieder zu was Neuen!

    FAUST

    3350
    Ich wollt, du hättest mehr zu tun,
    Als mich am guten Tag zu plagen.

    MEPHISTOPHELES

    Nun, nun! ich laß dich gerne ruhn,
    Du darfst mir's nicht im Ernste sagen.
    An dir Gesellen, unhold, barsch und toll,
    3355
    Ist wahrlich wenig zu verlieren.
    Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
    Was ihm gefällt und was man lassen soll,
    Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.

    FAUST

    Das ist so just der rechte Ton!
    3360
    Er will noch Dank, daß er mich ennuyiert.

    MEPHISTOPHELES

    Wie hättst du, armer Erdensohn
    Dein Leben ohne mich geführt?
    Vom Kribskrabs der Imagination
    Hab ich dich doch auf Zeiten lang kuriert;
    3365
    Und wär ich nicht, so wärst du schon
    Von diesem Erdball abspaziert.
    Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
    Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
    Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein
    3370
    Wie eine Kröte Nahrung ein?
    Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
    Dir steckt der Doktor noch im Leib.

    FAUST

    Verstehst du, was für neue Lebenskraft
    Mir dieser Wandel in der Öde schafft?
    3375
    Ja, würdest du es ahnen können,
    Du wärest Teufel gnug, mein Glück mir nicht zu gönnen.

    MEPHISTOPHELES

    Ein überirdisches Vergnügen.
    In Nacht und Tau auf den Gebirgen liegen
    Und Erd und Himmel wonniglich umfassen,
    3380
    Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
    Der Erde Mark mit Ahnungsdrang durchwühlen,
    Alle sechs Tagewerk im Busen fühlen,
    In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
    Bald liebewonniglich in alles überfließen,
    3385
    Verschwunden ganz der Erdensohn,
    Und dann die hohe Intuition —
    mit einer Gebärde.
    Ich darf nicht sagen, wie — zu schließen.

    FAUST

    Pfui über dich!

    MEPHISTOPHELES

    3390
    Das will Euch nicht behagen;
    Ihr habt das Recht, gesittet pfui zu sagen.
    Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
    Was keusche Herzen nicht entbehren können.
    Und kurz und gut, ich gönn Ihm das Vergnügen,
    3395
    Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
    Doch lange hält Er das nicht aus.
    Du bist schon wieder abgetrieben
    Und, währt es länger, aufgerieben
    In Tollheit oder Angst und Graus!
    3400
    Genug damit! Dein Liebchen sitzt dadrinne,
    Und alles wird ihr eng und trüb.
    Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
    Sie hat dich übermächtig lieb.
    Erst kam deine Liebeswut übergeflossen,
    3405
    Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
    Du hast sie ihr ins Herz gegossen,
    Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
    Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
    Ließ' es dem großen Herren gut,
    3410
    Das arme affenjunge Blut
    Für seine Liebe zu belohnen.
    Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
    Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
    Über die alte Stadtmauer hin.
    3415
    Wenn ich ein Vöglein wär! so geht ihr Gesang
    Tage lang, halbe Nächte lang.
    Einmal ist sie munter, meist betrübt,
    Einmal recht ausgeweint,
    Dann wieder ruhig, wie's scheint,
    3420
    Und immer verliebt.

    FAUST

    Schlange! Schlange!

    MEPHISTOPHELES

    für sich.
    Gelt! daß ich dich fange!

    FAUST

    Verruchter! hebe dich von hinnen,
    Und nenne nicht das schöne Weib!
    3425
    Bring die Begier zu ihrem süßen Leib
    Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!

    MEPHISTOPHELES

    Was soll es denn? Sie meint, du seist entflohn,
    Und halb und halb bist du es schon.

    FAUST

    Ich bin ihr nah, und wär ich noch so fern,
    3430
    Ich kann sie nie vergessen, nie verlieren;
    Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,
    Wenn ihre Lippen ihn indes berühren.

    MEPHISTOPHELES

    Gar wohl, mein Freund! Ich hab Euch oft beneidet
    Ums Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.

    FAUST

    3435
    Entfliehe, Kuppler!

    MEPHISTOPHELES

    Schön! Ihr schimpft, und ich muß lachen.
    Der Gott, der Bub' und Mädchen schuf,
    Erkannte gleich den edelsten Beruf,
    Auch selbst Gelegenheit zu machen.
    3440
    Nur fort, es ist ein großer Jammer!
    Ihr sollt in Eures Liebchens Kammer,
    Nicht etwa in den Tod.

    FAUST

    Was ist die Himmelsfreud in ihren Armen?
    Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
    3445
    Fühl ich nicht immer ihre Not?
    Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehauste?
    Der Unmensch ohne Zweck und Ruh,
    Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen brauste,
    Begierig wütend nach dem Abgrund zu?
    3450
    Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
    Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
    Und all ihr häusliches Beginnen
    Umfangen in der kleinen Welt.
    Und ich, der Gottverhaßte,
    3455
    Hatte nicht genug,
    Daß ich die Felsen faßte
    Und sie zu Trümmern schlug!
    Sie, ihren Frieden mußt ich untergraben!
    Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben.
    3460
    Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen.
    Was muß geschehn, mag's gleich geschehn!
    Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
    Und sie mit mir zugrunde gehn!

    MEPHISTOPHELES

    Wie's wieder siedet, wieder glüht!
    3465
    Geh ein und tröste sie, du Tor!
    Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
    Stellt er sich gleich das Ende vor.
    Es lebe, wer sich tapfer hält!
    Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
    3470
    Nichts Abgeschmackters find ich auf der Welt
    Als einen Teufel, der verzweifelt.

    GRETCHENS STUBE

    Gretchen am Spinnrad, allein.

    GRETCHEN

    Meine Ruh ist hin,
    Mein Herz ist schwer;
    Ich finde sie nimmer
    3475
    und nimmermehr.
    Wo ich ihn nicht hab,
    Ist mir das Grab,
    Die ganze Welt
    Ist mir vergällt.
    3480
    Mein armer Kopf
    Ist mir verrückt,
    Meiner armer Sinn
    Ist mir zerstückt.
    Meine Ruh ist hin,
    3485
    Mein Herz ist schwer,
    Ich finde sie nimmer
    und nimmermehr.
    Nach ihm nur schau ich
    Zum Fenster hinaus,
    3490
    Nach ihm nur geh ich
    Aus dem Haus.
    Sein hoher Gang,
    Sein edle Gestalt,
    Seines Mundes Lächeln,
    3495
    Seiner Augen Gewalt,
    Und seiner Rede
    Zauberfluß,
    Sein Händedruck,
    Und ach! sein Kuß!
    3500
    Meine Ruh ist hin,
    Mein Herz ist schwer,
    Ich finde sie nimmer
    und nimmermehr.
    Mein Busen drängt
    3505
    Sich nach ihm hin,
    Ach dürft ich fassen
    Und halten ihn,
    Und küssen ihn,
    So wie ich wollt,
    3510
    An seinen Küssen
    Vergehen sollt!

    MARTHENS GARTEN

    Margarete. Faust.

    MARGARETE

    Versprich mir, Heinrich!

    FAUST

    Was ich kann!

    MARGARETE

    Nun sag, wie hast du's mit der Religion?
    3515
    Du bist ein herzlich guter Mann,
    Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.

    FAUST

    Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
    Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
    Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

    MARGARETE

    3520
    Das ist nicht recht, man muß dran glauben.

    FAUST

    Muß man?

    MARGARETE

    Ach! wenn ich etwas auf dich konnte!
    Du ehrst auch nicht die heil'gen Sakramente.

    FAUST

    Ich ehre sie.

    MARGARETE

    3525
    Doch ohne Verlangen.
    Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
    Glaubst du an Gott?

    FAUST

    Mein Liebchen, wer darf sagen:
    Ich glaub an Gott?
    3530
    Magst Priester oder Weise fragen,
    Und ihre Antwort scheint nur Spott
    Über den Frager zu sein.

    MARGARETE

    So glaubst du nicht?

    FAUST

    Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!
    3535
    Wer darf ihn nennen?
    Und wer bekennen:
    Ich glaub ihn.
    Wer empfinden,
    Und sich unterwinden
    3540
    Zu sagen: ich glaub ihn nicht!?
    Der Allumfasser,
    Der Allerhalter,
    Faßt und erhält er nicht
    Dich, mich, sich selbst?
    3545
    Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
    Liegt die Erde nicht hier unten fest?
    Und steigen freundlich blickend
    Ewige Sterne nicht herauf?
    Schau ich nicht Aug in Auge dir,
    3550
    Und drängt nicht alles
    Nach Haupt und Herzen dir,
    Und webt in ewigem Geheimnis
    Unsichtbar sichtbar neben dir?
    Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
    3555
    Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
    Nenn es dann, wie du willst,
    Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
    Ich habe keinen Namen
    Dafür! Gefühl ist alles;
    3560
    Name ist Schall und Rauch,
    Umnebelnd Himmelsglut.

    MARGARETE

    Das ist alles recht schön und gut;
    Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
    Nur mit ein bißchen andern Worten.

    FAUST

    3565
    Es sagen's allerorten
    Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
    Jedes in seiner Sprache;
    Warum nicht ich in der meinen?

    MARGARETE

    Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,
    3570
    Steht aber doch immer schief darum;
    Denn du hast kein Christentum.

    FAUST

    Liebs Kind!

    MARGARETE

    Es tut mir lange schon weh,
    Daß ich dich in der Gesellschaft seh.

    FAUST

    3575
    Wie so?

    MARGARETE

    Der Mensch, den du da bei dir hast,
    Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt;
    Es hat mir in meinem Leben
    So nichts einen Stich ins Herz gegeben
    3580
    Als des Menschen widrig Gesicht.

    FAUST

    Liebe Puppe, fürcht ihn nicht!

    MARGARETE

    Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
    Ich bin sonst allen Menschen gut;
    Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,
    3585
    Hab ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
    Und halt ihn für einen Schelm dazu!
    Gott verzeih mir's, wenn ich ihm Unrecht tu!

    FAUST

    Es muß auch solche Käuze geben.

    MARGARETE

    Wollte nicht mit seinesgleichen leben!
    3590
    Kommt er einmal zur Tür herein,
    Sieht er immer so spöttisch drein
    Und halb ergrimmt;
    Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt;
    Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
    3595
    Daß er nicht mag eine Seele lieben.
    Mir wird's so wohl in deinem Arm,
    So frei, so hingegeben warm,
    Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.

    FAUST

    Du ahnungsvoller Engel du!

    MARGARETE

    3600
    Das übermannt mich so sehr,
    Daß, wo er nur mag zu uns treten,
    Mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
    Auch, wenn er da ist, könnt ich nimmer beten,
    Und das frißt mir ins Herz hinein;
    3605
    Dir, Heinrich, muß es auch so sein.

    FAUST

    Du hast nun die Antipathie!

    MARGARETE

    Ich muß nun fort.

    FAUST

    Ach kann ich nie
    Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen
    3610
    Und Brust an Brust und Seel in Seele drängen?

    MARGARETE

    Ach wenn ich nur alleine schlief!
    Ich ließ dir gern heut nacht den Riegel offen;
    Doch meine Mutter schläft nicht tief,
    Und würden wir von ihr betroffen,
    3615
    Ich wär gleich auf der Stelle tot!

    FAUST

    Du Engel, das hat keine Not.
    Hier ist ein Fläschchen! Drei Tropfen nur
    In ihren Trank umhüllen
    Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.

    MARGARETE

    3620
    Was tu ich nicht um deinetwillen?
    Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!

    FAUST

    Würd ich sonst, Liebchen, dir es raten?

    MARGARETE

    Seh ich dich, bester Mann, nur an,
    Weiß nicht, was mich nach deinem Willen treibt,
    3625
    Ich habe schon so viel für dich getan,
    Daß mir zu tun fast nichts mehr übrigbleibt.
    Ab.
    Mephistopheles tritt auf.

    MEPHISTOPHELES

    Der Grasaff! ist er weg?

    FAUST

    Hast wieder spioniert?

    MEPHISTOPHELES

    Ich hab's ausführlich wohl vernommen,
    3630
    Herr Doktor wurden da katechisiert;
    Hoff, es soll Ihnen wohl bekommen.
    Die Mädels sind doch sehr interessiert,
    Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
    Sie denken: duckt er da, folgt er uns eben auch.

    FAUST

    3635
    Du Ungeheuer siehst nicht ein,
    Wie diese treue liebe Seele
    Von ihrem Glauben voll,
    Der ganz allein
    Ihr seligmachend ist, sich heilig quäle,
    3640
    Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.

    MEPHISTOPHELES

    Du übersinnlicher sinnlicher Freier,
    Ein Mägdelein nasführet dich.

    FAUST

    Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!

    MEPHISTOPHELES

    Und die Physiognomie versteht sie meisterlich:
    3645
    In meiner Gegenwart wird's ihr, sie weiß nicht wie,
    Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
    Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
    Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
    Nun, heute nacht —?

    FAUST

    3650
    Was geht dich's an?

    MEPHISTOPHELES

    Hab ich doch meine Freude dran!

    AM BRUNNEN

    Gretchen und Lieschen mit Krügen.

    LIESCHEN

    Hast nichts von Bärbelchen gehört?

    GRETCHEN

    Kein Wort. Ich komm gar wenig unter Leute.

    LIESCHEN

    Gewiß, Sibylle sagt' mir's heute:
    3655
    Die hat sich endlich auch betört.
    Das ist das Vornehmtun!

    GRETCHEN

    Wieso?

    LIESCHEN

    Es stinkt!
    Sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt.

    GRETCHEN

    3660
    Ach!

    LIESCHEN

    So ist's ihr endlich recht ergangen.
    Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
    Das war ein Spazieren,
    Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
    3665
    Mußt überall die Erste sein,
    Kurtesiert ihr immer mit Pastetchen und Wein;
    Bildt sich was auf ihre Schönheit ein,
    War doch so ehrlos, sich nicht zu schämen,
    Geschenke von ihm anzunehmen.
    3670
    War ein Gekos und ein Geschleck;
    Da ist denn auch das Blümchen weg!

    GRETCHEN

    Das arme Ding!

    LIESCHEN

    Bedauerst sie noch gar!
    Wenn unsereins am Spinnen war,
    3675
    Uns nachts die Mutter nicht hinunterließ,
    Stand sie bei ihrem Buhlen süß;
    Auf der Türbank und im dunkeln Gang
    Ward ihnen keine Stunde zu lang.
    Da mag sie denn sich ducken nun,
    3680
    Im Sünderhemdchen Kirchbuß tun!

    GRETCHEN

    Er nimmt sie gewiß zu seiner Frau.

    LIESCHEN

    Er wär ein Narr! Ein flinker Jung
    Hat anderwärts noch Luft genung.
    Er ist auch fort.

    GRETCHEN

    3685
    Das ist nicht schön!

    LIESCHEN

    Kriegt sie ihn, soll's ihr übel gehn,
    Das Kränzel reißen die Buben ihr,
    Und Häckerling streuen wir vor die Tür!
    Ab.

    GRETCHEN

    nach Hause gehend.
    Wie konnt ich sonst so tapfer schmälen,
    3690
    Wenn tät ein armes Mägdlein fehlen!
    Wie konnt ich über andrer Sünden
    Nicht Worte gnug der Zunge finden!
    Wie schien mir's schwarz, und schwärzt's noch gar,
    Mir's immer doch nicht schwarz gnug war,
    3695
    Und segnet mich und tat so groß,
    Und bin nun selbst der Sünde bloß!
    Doch — alles, was dazu mich trieb,
    Gott! war so gut! ach, war so lieb!

    ZWINGER

    In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkruge davor.
    Gretchen steckt frische Blumen in die Kruge.
    Ach neige,
    3700
    Du Schmerzenreiche,
    Dein Antlitz gnädig meiner Not!
    Das Schwert im Herzen,
    Mit tausend Schmerzen
    Blickst auf zu deines Sohnes Tod.
    3705
    Zum Vater blickst du,
    Und Seufzer schickst du
    Hinauf um sein' und deine Not.
    Wer fühlet,
    Wie wühlet
    3710
    Der Schmerz mir im Gebein?
    Was mein armes Herz hier banget,
    Was es zittert, was verlanget,
    Weißt nur du, nur du allein!
    Wohin ich immer gehe
    3715
    Wie weh, wie weh, wie wehe
    Wird mir im Busen hier!
    Ich bin, ach! kaum alleine,
    Ich wein, ich wein, ich weine,
    Das Herz zerbricht in mir.
    3720
    Die Scherben vor meinem Fenster
    Betaut ich mit Tränen, ach!
    Als ich am frühen Morgen
    Dir diese Blumen brach.
    Schien hell in meine Kammer
    3725
    Die Sonne früh herauf,
    Saß ich in allem Jammer
    In meinem Bett schon auf.
    Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
    Ach neige,
    3730
    Du Schmerzenreiche,
    Dein Antlitz gnädig meiner Not!

    NACHT

    Straße vor Gretchens Türe.
    Valentin, Soldat, Gretchens Bruder.
    Wenn ich so saß bei einem Gelag,
    Wo mancher sich berühmen mag,
    Und die Gesellen mir den Flor
    3735
    Der Mägdlein laut gepriesen vor,
    Mit vollem Glas das Lob verschwemmt —
    Den Ellenbogen aufgestemmt
    Saß ich in meiner sichern Ruh,
    Hört' all dem Schwadronieren zu,
    3740
    Und streiche lächelnd meinen Bart,
    Und kriege das volle Glas zur Hand
    Und sage: Alles nach seiner Art!
    Aber ist eine im ganzen Land,
    Die meiner trauten Gretel gleicht,
    3745
    Die meiner Schwester das Wasser reicht?
    Topp! Topp! Kling! Klang! das ging herum;
    Die einen schrieen: Er hat recht,
    Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht.
    Da saßen alle die Lober stumm.
    3750
    Und nun! — um's Haar sich auszuraufen
    Und an den Wänden hinaufzulaufen!—
    Mit Stichelreden, Naserümpfen
    Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
    Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
    3755
    Bei jedem Zufallswörtchen schwitzen!
    Und möcht ich sie zusammenschmeißen,
    Könnt ich sie doch nicht Lügner heißen.
    Was kommt heran? Was schleicht herbei?
    Irr ich nicht, es sind ihrer zwei.
    3760
    Ist er's, gleich pack ich ihn beim Felle
    Soll nicht lebendig von der Stelle!
    Faust. Mephistopheles.

    FAUST

    Wie von dem Fenster dort der Sakristei
    Aufwärts der Schein des Ew'gen Lämpchens flämmert
    Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
    3765
    Und Finsternis drängt ringsum bei!
    So sieht's in meinem Busen nächtig.

    MEPHISTOPHELES

    Und mir ist's wie dem Kätzlein schmächtig,
    Das an den Feuerleitern schleicht,
    Sich leis dann um die Mauern streicht;
    3770
    Mir ist's ganz tugendlich dabei,
    Ein bißchen Diebsgelüst, ein bißchen Rammelei.
    So spukt mir schon durch alle Glieder
    Die herrliche Walpurgisnacht.
    Die kommt uns übermorgen wieder,
    3775
    Da weiß man doch, warum man wacht.

    FAUST

    Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh,
    Den ich dort hinten flimmern seh?

    MEPHISTOPHELES

    Du kannst die Freude bald erleben,
    Das Kesselchen herauszuheben.
    3780
    Ich schielte neulich so hinein,
    Sind herrliche Löwentaler drein.

    FAUST

    Nicht ein Geschmeide, nicht ein Ring,
    Meine liebe Buhle damit zu zieren?

    MEPHISTOPHELES

    Ich sah dabei wohl so ein Ding,
    3785
    Als wie eine Art von Perlenschnüren.

    FAUST

    So ist es recht! Mir tut es weh,
    Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh.

    MEPHISTOPHELES

    Es sollt Euch eben nicht verdrießen,
    Umsonst auch etwas zu genießen.
    3790
    Jetzt, da der Himmel voller Sterne glüht,
    Sollt Ihr ein wahres Kunststück hören:
    Ich sing ihr ein moralisch Lied,
    Um sie gewisser zu betören.
    Singt zur Zither.
    3795
    Was machst du mir
    Vor Liebchens Tür,
    Kathrinchen, hier
    Bei frühem Tagesblicke?
    Laß, laß es sein!
    3800
    Er läßt dich ein,
    Als Mädchen ein,
    Als Mädchen nicht zurücke.
    Nehmt euch in acht!
    Ist es vollbracht,
    3805
    Dann gute Nacht,
    Ihr armen, armen Dinger!
    Habt ihr euch lieb,
    Tut keinem Dieb
    Nur nichts zulieb,
    3810
    Als mit dem Ring am Finger.

    VALENTIN

    tritt vor.
    Wen lockst du hier? beim Element!
    Vermaledeiter Rattenfänger!
    Zum Teufel erst das Instrument!
    Zum Teufel hinterdrein den Sänger!

    MEPHISTOPHELES

    3815
    Die Zither ist entzwei! an der ist nichts zu halten.

    VALENTIN

    Nun soll es an ein Schädelspalten!

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    Herr Doktor, nicht gewichen! Frisch!
    Hart an mich an, wie ich Euch führe.
    Heraus mit Eurem Flederwisch!
    3820
    Nur zugestoßen! ich pariere.

    VALENTIN

    Pariere den!

    MEPHISTOPHELES

    Warum denn nicht?

    VALENTIN

    Auch den!

    MEPHISTOPHELES

    Gewiß!

    VALENTIN

    3825
    Ich glaub, der Teufel ficht!
    Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    Stoß zu!

    VALENTIN

    fällt.
    O weh!

    MEPHISTOPHELES

    Nun ist der Lümmel zahm!
    3830
    Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
    Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrei.
    Ich weiß mich trefflich mit der Polizei,
    Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.

    MARTHE

    am Fenster.
    Heraus! Heraus!

    GRETCHEN

    am Fenster.
    3835
    Herbei ein Licht!

    MARTHE

    wie oben.
    Man schilt und rauft, man schreit und ficht.

    VOLK

    Da liegt schon einer tot!

    MARTHE

    heraustretend.
    Die Mörder, sind sie denn entflohn?

    GRETCHEN

    heraustretend.
    Wer liegt hier?

    VOLK

    3840
    Deiner Mutter Sohn.

    GRETCHEN

    Allmächtiger! welche Not!

    VALENTIN

    Ich sterbe! das ist bald gesagt
    Und balder noch getan.
    Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
    3845
    Kommt her und hört mich an!
    Alle treten um ihn.
    Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,
    Bist gar noch nicht gescheit genung,
    Machst deine Sachen schlecht.
    3850
    Ich sag dir's im Vertrauen nur:
    Du bist doch nun einmal eine Hur,
    So sei's auch eben recht!

    GRETCHEN

    Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?

    VALENTIN

    Laß unsern Herrgott aus dem Spaß!
    3855
    Geschehn ist leider nun geschehn,
    Und wie es gehn kann, so wird's gehn.
    Du fingst mit einem heimlich an,
    Bald kommen ihrer mehre dran,
    Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
    3860
    So hat dich auch die ganze Stadt.
    Wenn erst die Schande wird geboren,
    Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
    Und man zieht den Schleier der Nacht
    Ihr über Kopf und Ohren;
    3865
    Ja, man möchte sie gern ermorden.
    Wächst sie aber und macht sich groß,
    Dann geht sie auch bei Tage bloß,
    Und ist doch nicht schöner geworden.
    Je häßlicher wird ihr Gesicht,
    3870
    Je mehr sucht sie des Tages Licht.
    Ich seh wahrhaftig schon die Zeit,
    Daß alle brave Bürgersleut,
    Wie von einer angesteckten Leichen,
    Von dir, du Metze! seitab weichen.
    3875
    Dir soll das Herz im Leib verzagen,
    Wenn sie dir in die Augen sehn!
    Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
    In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
    In einem schönen Spitzenkragen
    3880
    Dich nicht beim Tanze wohlbehagen!
    In eine finstre Jammerecken
    Unter Bettler und Krüppel dich verstecken,
    Und, wenn dir dann auch Gott verzeiht,
    Auf Erden sein vermaledeit!

    MARTHE

    3885
    Befehlt Eure Seele Gott zu Gnaden!
    Wollt Ihr noch Lästrung auf Euch laden?

    VALENTIN

    Könnt ich dir nur an den dürren Leib,
    Du schändlich kupplerisches Weib!
    Da hofft' ich aller meiner Sünden
    3890
    Vergebung reiche Maß zu finden.

    GRETCHEN

    Mein Bruder! Welche Höllenpein!

    VALENTIN

    Ich sage, laß die Tränen sein!
    Da du dich sprachst der Ehre los,
    Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
    3895
    Ich gehe durch den Todesschlaf
    Zu Gott ein als Soldat und brav.
    Stirbt.

    DOM

    Amt, Orgel und Gesang.
    Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen.

    BÖSER GEIST

    Wie anders, Gretchen, war dir's,
    Als du noch voll Unschuld
    Hier zum Altar tratst,
    3900
    Aus dem vergriffnen Büchelchen
    Gebete lalltest,
    Halb Kinderspiele,
    Halb Gott im Herzen!
    Gretchen!
    3905
    Wo steht dein Kopf?
    In deinem Herzen
    Welche Missetat?
    Betst du für deiner Mutter Seele, die
    Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?
    3910
    Auf deiner Schwelle wessen Blut?
    — Und unter deinem Herzen
    Regt sich's nicht quillend schon
    Und ängstet dich und sich
    Mit ahnungsvoller Gegenwart?

    GRETCHEN

    3915
    Weh! Weh!
    Wär ich der Gedanken los,
    Die mir herüber und hinüber gehen
    Wider mich!

    CHOR

    Dies irae, dies illa
    3920
    Solvet saeclum in favilla.
    Orgelton.

    BÖSER GEIST

    Grimm faßt dich!
    Die Posaune tönt!
    Die Gräber beben!
    Und dein Herz,
    3925
    Aus Aschenruh
    Zu Flammenqualen
    Wieder aufgeschaffen,
    Bebt auf!

    GRETCHEN

    Wär ich hier weg!
    3930
    Mir ist, als ob die Orgel mir
    Den Atem versetzte,
    Gesang mein Herz
    Im Tiefsten löste.

    CHOR

    Judex ergo cum sedebit,
    3935
    Quidquid latet adparebit,
    Nil inultum remanebit.

    GRETCHEN

    Mir wird so eng!
    Die Mauernpfeiler
    Befangen mich!
    3940
    Das Gewölbe
    Drängt mich! — Luft!

    BÖSER GEIST

    Verbirg dich! Sünd und Schande
    Bleibt nicht verborgen.
    Luft? Licht?
    3945
    Weh dir!

    CHOR

    Quid sum miser tunc dicturus?
    Quem patronum rogaturus?
    Cum vix justus sit securus.

    BÖSER GEIST

    Ihr Antlitz wenden
    3950
    Verklärte von dir ab.
    Die Hände dir zu reichen,
    Schauert's den Reinen.
    Weh!

    CHOR

    Quid sum miser tunc dicturus?

    GRETCHEN

    3955
    Nachbarin! Euer Fläschchen! —
    Sie fällt in Ohnmacht.

    WALPURGISNACHT

    Harzgebirg.
    Gegend von Schierke und Elend.
    Faust. Mephistopheles.

    MEPHISTOPHELES

    Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
    Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
    Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.

    FAUST

    Solang ich mich noch frisch auf meinen Beinen fühle,
    3960
    Genügt mir dieser Knotenstock.
    Was hilft's, daß man den Weg verkürzt! —
    Im Labyrinth der Täler hinzuschleichen,
    Dann diesen Felsen zu ersteigen,
    Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
    3965
    Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!
    Der Frühling webt schon in den Birken,
    Und selbst die Fichte fühlt ihn schon;
    Sollt er nicht auch auf unsre Glieder wirken?

    MEPHISTOPHELES

    Fürwahr, ich spüre nichts davon!
    3970
    Mir ist es winterlich im Leibe,
    Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.
    Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
    Des roten Monds mit später Glut heran,
    Und leuchtet schlecht, daß man bei jedem Schritte
    3975
    Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!
    Erlaub, daß ich ein Irrlicht bitte!
    Dort seh ich eins, das eben lustig brennt.
    Heda! mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?
    Was willst du so vergebens lodern?
    3980
    Sei doch so gut und leucht uns da hinauf!

    IRRLICHT

    Aus Ehrfurcht, hoff ich, soll es mir gelingen,
    Mein leichtes Naturell zu zwingen;
    Nur zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.

    MEPHISTOPHELES

    Ei! Ei! Er denkt's den Menschen nachzuahmen.
    3985
    Geh Er nur grad, in 's Teufels Namen!
    Sonst blas ich Ihm sein Flackerleben aus.

    IRRLICHT

    Ich merke wohl, Ihr seid der Herr vom Haus,
    Und will mich gern nach Euch bequemen.
    Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
    3990
    Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll,
    So müßt Ihr's so genau nicht nehmen.

    FAUST, MEPHISTOPHELES, IRRLICHT

    im Wechselgesang.
    In die Traum– und Zaubersphäre
    Sind wir, scheint es, eingegangen.
    Führ uns gut und mach dir Ehre,
    3995
    Daß wir vorwärts bald gelangen
    In den weiten, öden Räumen!
    Seh die Bäume hinter Bäumen,
    Wie sie schnell vorüberrücken,
    Und die Klippen, die sich bücken,
    4000
    Und die langen Felsennasen,
    Wie sie schnarchen, wie sie blasen!
    Durch die Steine, durch den Rasen
    Eilet Bach und Bächlein nieder.
    Hör ich Rauschen? hör ich Lieder?
    4005
    Hör ich holde Liebesklage,
    Stimmen jener Himmelstage?
    Was wir hoffen, was wir lieben!
    Und das Echo, wie die Sage
    Alter Zeiten, hallet wider.
    4010
    Uhu! Schuhu! tönt es näher,
    Kauz und Kiebitz und der Häher,
    Sind sie alle wach geblieben?
    Sind das Molche durchs Gesträuche?
    Lange Beine, dicke Bäuche!
    4015
    Und die Wurzeln, wie die Schlangen,
    Winden sich aus Fels und Sande,
    Strecken wunderliche Bande,
    Uns zu schrecken, uns zu fangen;
    Aus belebten derben Masern
    4020
    Strecken sie Polypenfasern
    Nach dem Wandrer. Und die Mäuse
    Tausendfärbig, scharenweise,
    Durch das Moos und durch die Heide!
    Und die Funkenwürmer fliegen
    4025
    Mit gedrängten Schwärmezügen
    Zum verwirrenden Geleite.
    Aber sag mir, ob wir stehen
    Oder ob wir weitergehen?
    Alles, alles scheint zu drehen,
    4030
    Fels und Bäume, die Gesichter
    Schneiden, und die irren Lichter,
    Die sich mehren, die sich blähen.

    MEPHISTOPHELES

    Fasse wacker meinen Zipfel!
    Hier ist so ein Mittelgipfel,
    4035
    Wo man mit Erstaunen sieht,
    Wie im Berg der Mammon glüht.

    FAUST

    Wie seltsam glimmert durch die Gründe
    Ein morgenrötlich trüber Schein!
    Und selbst bis in die tiefen Schlünde
    4040
    Des Abgrunds wittert er hinein.
    Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden,
    Hier leuchtet Glut aus Dunst und Flor
    Dann schleicht sie wie ein zarter Faden
    Dann bricht sie wie ein Quell hervor.
    4045
    Hier schlingt sie eine ganze Strecke
    Mit hundert Adern sich durchs Tal,
    Und hier in der gedrängten Ecke
    Vereinzelt sie sich auf einmal.
    Da sprühen Funken in der Nähe
    4050
    Wie ausgestreuter goldner Sand.
    Doch schau! in ihrer ganzen Höhe
    Entzündet sich die Felsenwand.

    MEPHISTOPHELES

    Erleuchtet nicht zu diesem Feste
    Herr Mammon prächtig den Palast?
    4055
    Ein Glück, daß du's gesehen hast,
    Ich spüre schon die ungestümen Gäste.

    FAUST

    Wie rast die Windsbraut durch die Luft!
    Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!

    MEPHISTOPHELES

    Du mußt des Felsens alte Rippen packen,
    4060
    Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.
    Ein Nebel verdichtet die Nacht.
    Höre, wie's durch die Wälder kracht!
    Aufgescheucht fliegen die Eulen.
    Hör, es splittern die Säulen
    4065
    Ewig grüner Paläste.
    Girren und Brechen der Äste!
    Der Stämme mächtiges Dröhnen!
    Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
    Im fürchterlich verworrenen Falle
    4070
    Übereinander krachen sie alle,
    Und durch die übertrümmerten Klüfte
    Zischen und heulen die Lüfte.
    Hörst du Stimmen in der Höhe?
    In der Ferne, in der Nähe?
    4075
    Ja, den ganzen Berg entlang
    Strömt ein wütender Zaubergesang!

    HEXEN

    im Chor.
    Die Hexen zu dem Brocken ziehn,
    Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün.
    Dort sammelt sich der große Hauf,
    4080
    Herr Urian sitzt oben auf.
    So geht es über Stein und Stock,
    Es farzt die Hexe, es stinkt der Bock.

    STIMME

    Die alte Baubo kommt allein,
    Sie reitet auf einem Mutterschwein.

    CHOR

    4085
    So Ehre denn, wem Ehre gebührt!
    Frau Baubo vor! und angeführt!
    Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
    Da folgt der ganze Hexenhauf.

    STIMME

    Welchen Weg kommst du her?

    STIMME

    4090
    Übern Ilsenstein!
    Da guckt ich der Eule ins Nest hinein,
    Die macht ein Paar Augen!

    STIMME

    O fahre zur Hölle!
    Was reitst du so schnelle!

    STIMME

    4095
    Mich hat sie geschunden,
    Da sieh nur die Wunden!

    HEXEN

    Chor.
    Der Weg ist breit, der Weg ist lang,
    Was ist das für ein toller Drang?
    Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
    4100
    Das Kind erstickt, die Mutter platzt.

    HEXENMEISTER, HALBER CHOR

    Wir schleichen wie die Schneck im Haus,
    Die Weiber alle sind voraus.
    Denn, geht es zu des Bösen Haus,
    Das Weib hat tausend Schritt voraus.

    ANDERE HÄLFTE

    4105
    Wir nehmen das nicht so genau,
    Mit tausend Schritten macht's die Frau;
    Doch wie sie sich auch eilen kann,
    Mit einem Sprunge macht's der Mann.

    STIMME

    oben.
    Kommt mit, kommt mit, vom Felsensee!

    STIMMEN

    von unten.
    4110
    Wir möchten gerne mit in die Höh.
    Wir waschen, und blank sind wir ganz und gar;
    Aber auch ewig unfruchtbar.

    BEIDE CHÖRE

    Es schweigt der Wind, es flieht der Stern,
    Der trübe Mond verbirgt sich gern.
    4115
    Im Sausen sprüht das Zauberchor
    Viel tausend Feuerfunken hervor.

    STIMME

    von unten.
    Halte! Haltet

    STIMME

    oben.
    Wer ruft da aus der Felsenspalte?

    STIMME

    von unten.
    Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!
    4120
    Ich steige schon dreihundert Jahr,
    Und kann den Gipfel nicht erreichen
    Ich wäre gern bei meinesgleichen.

    BEIDE CHÖRE

    Es trägt der Besen, trägt der Stock,
    Die Gabel trägt, es trägt der Bock;
    4125
    Wer heute sich nicht heben kann,
    Ist ewig ein verlorner Mann.

    HALBHEXE

    unten.
    Ich tripple nach, so lange Zeit;
    Wie sind die andern schon so weit!
    Ich hab zu Hause keine Ruh,
    4130
    Und komme hier doch nicht dazu.

    CHOR DER HEXEN

    Die Salbe gibt den Hexen Mut,
    Ein Lumpen ist zum Segel gut,
    Ein gutes Schiff ist jeder Trog;
    Der flieget nie, der heut nicht flog.

    BEIDE CHÖRE

    4135
    Und wenn wir um den Gipfel ziehn,
    So streichet an dem Boden hin,
    Und deckt die Heide weit und breit
    Mit eurem Schwarm der Hexenheit!
    Sie lassen sich nieder.

    MEPHISTOPHELES

    Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
    4140
    Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
    Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
    Ein wahres Hexenelement!
    Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
    Wo bist du?

    FAUST

    in der Ferne.
    4145
    Hier!

    MEPHISTOPHELES

    Was! dort schon hingerissen?
    Da werd ich Hausrecht brauchen müssen.
    Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel, Platz!
    Hier, Doktor, fasse mich! und nun in einem Satz
    4150
    Laß uns aus dem Gedräng entweichen;
    Es ist zu toll, sogar für meinesgleichen.
    Dort neben leuchtet was mit ganz besondrem Schein,
    Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
    Komm, komm! wir schlupfen da hinein.

    FAUST

    4155
    Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich führen.
    Ich denke doch, das war recht klug gemacht:
    Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht,
    Um uns beliebig nun hieselbst zu isolieren.

    MEPHISTOPHELES

    Da sieh nur, welche bunten Flammen!
    4160
    Es ist ein muntrer Klub beisammen.
    Im Kleinen ist man nicht allein.

    FAUST

    Doch droben möcht ich lieber sein!
    Schon seh ich Glut und Wirbelrauch.
    Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
    4165
    Da muß sich manches Rätsel lösen.

    MEPHISTOPHELES

    Doch manches Rätsel knüpft sich auch.
    Laß du die große Welt nur sausen,
    Wir wollen hier im Stillen hausen.
    Es ist doch lange hergebracht,
    4170
    Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
    Da seh ich junge Hexchen, nackt und bloß,
    Und alte, die sich klug verhüllen.
    Seid freundlich, nur um meinetwillen;
    Die Müh ist klein, der Spaß ist groß.
    4175
    Ich höre was von Instrumenten tönen!
    Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.
    Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders sein,
    Ich tret heran und führe dich herein,
    Und ich verbinde dich aufs neue.
    4180
    Was sagst du, Freund? das ist kein kleiner Raum.
    Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
    Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe;
    Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt
    Nun sage mir, wo es was Bessers gibt?

    FAUST

    4185
    Willst du dich nun, um uns hier einzuführen,
    Als Zaubrer oder Teufel produzieren?

    MEPHISTOPHELES

    Zwar bin ich sehr gewohnt, inkognito zu gehn,
    Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
    Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
    4190
    Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
    Siehst du die Schnecke da? sie kommt herangekrochen;
    Mit ihrem tastenden Gesicht
    Hat sie mir schon was abgerochen.
    Wenn ich auch will, verleugn ich hier mich nicht.
    4195
    Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
    Ich bin der Werber, und du bist der Freier.
    Zu einigen, die um verglimmende Kohlen sitzen:
    Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
    Ich lobt euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände,
    4200
    Von Saus umzirkt und Jugendbraus;
    Genug allein ist jeder ja zu Haus.

    GENERAL

    Wer mag auf Nationen trauen!
    Man habe noch so viel für sie getan;
    Denn bei dem Volk wie bei den Frauen,
    4205
    Steht immerfort die Jugend oben an.

    MINISTER

    Jetzt ist man von dem Rechten allzu weit,
    Ich lobe mir die guten Alten;
    Denn freilich, da wir alles galten,
    Da war die rechte goldne Zeit.

    PARVENU

    4210
    Wir waren wahrlich auch nicht dumm
    Und taten oft, was wir nicht sollten;
    Doch jetzo kehrt sich alles um und um,
    Und eben da wir's fest erhalten wollten.

    AUTOR

    Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
    4215
    Von mäßig klugem Inhalt lesen!
    Und was das liebe junge Volk betrifft,
    Das ist noch nie so naseweis gewesen.

    MEPHISTOPHELES

    der auf einmal sehr alt erscheint.
    Zum Jüngsten Tag fühl ich das Volk gereift,
    Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
    4220
    Und weil mein Fäßchen trübe läuft,
    So ist die Welt auch auf der Neige.

    TRÖDELHEXE

    Ihr Herren, geht nicht so vorbei!
    Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
    Aufmerksam blickt nach meinen Waren,
    4225
    Es steht dahier gar mancherlei.
    Und doch ist nichts in meinem Laden,
    Dem keiner auf der Erde gleicht,
    Das nicht einmal zum tücht'gen Schaden
    Der Menschen und der Welt gereicht.
    4230
    Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
    Kein Kelch, aus dem sich nicht in ganz gesunden Leib
    Verzehrend heißes Gift ergossen,
    Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
    Verführt, kein Schwert, das nicht den Bund gebrochen,
    4235
    Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.

    MEPHISTOPHELES

    Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.
    Getan, geschehn! Geschehn, getan!
    Verleg Sie sich auf Neuigkeiten!
    Nur Neuigkeiten ziehn uns an.

    FAUST

    4240
    Daß ich mich nur nicht selbst vergesse!
    Heiß ich mir das doch eine Messe!

    MEPHISTOPHELES

    Der ganze Strudel strebt nach oben;
    Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.

    FAUST

    Wer ist denn das?

    MEPHISTOPHELES

    4245
    Betrachte sie genau!
    Lilith ist das.

    FAUST

    Wer?

    MEPHISTOPHELES

    Adams erste Frau.
    Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren,
    4250
    Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
    Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
    So läßt sie ihn so bald nicht wieder fahren.

    FAUST

    Da sitzen zwei, die Alte mit der Jungen;
    Die haben schon was Rechts gesprungen!

    MEPHISTOPHELES

    4255
    Das hat nun heute keine Ruh.
    Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.

    FAUST

    mit der Jungen tanzend.
    Einst hatt ich einen schönen Traum:
    Da sah ich einen Apfelbaum,
    Zwei schöne Äpfel glänzten dran,
    4260
    Sie reizten mich, ich stieg hinan.

    DIE SCHÖNE

    Der Äpfelchen begehrt ihr sehr,
    Und schon vom Paradiese her.
    Von Freuden fühl ich mich bewegt,
    Daß auch mein Garten solche trägt.

    MEPHISTOPHELES

    mit der Alten.
    4265
    Einst hatt' ich einen wüsten Traum;
    Da sah ich einen gespaltnen Baum,
    Der hatt' ein ungeheures Loch;
    So groß es war, gefiel mir's doch.

    DIE ALTE

    Ich biete meinen besten Gruß
    4270
    Dem Ritter mit dem Pferdefuß!
    Halt Er einen rechten Pfropf bereit,
    Wenn Er das große Loch nicht scheut.

    PROKTOPHANTASMIST

    Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
    Hat man euch lange nicht bewiesen:
    4275
    Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen?
    Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!

    DIE SCHÖNE

    tanzend.
    Was will denn der auf unserm Ball?

    FAUST

    tanzend.
    Ei! der ist eben überall.
    Was andre tanzen, muß er schätzen.
    4280
    Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen,
    So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
    Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
    Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
    Wie er's in seiner alten Mühle tut
    4285
    Das hieß' er allenfalls noch gut;
    Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.

    PROKTOPHANTASMIST

    Ihr seid noch immer da! nein, das ist unerhört.
    Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
    Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel.
    4290
    Wir sind so klug, und dennoch spukt's in Tegel.
    Wie lange hab ich nicht am Wahn hinausgekehrt,
    Und nie wird's rein; das ist doch unerhört!

    DIE SCHÖNE

    So hört doch auf, uns hier zu ennuyieren!

    PROKTOPHANTASMIST

    Ich sag's euch Geistern ins Gesicht:
    4295
    Den Geistesdespotismus leid ich nicht;
    Mein Geist kann ihn nicht exerzieren.
    Es wird fortgetanzt.
    Heut, seh ich, will mir nichts gelingen;
    Doch eine Reise nehm ich immer mit
    4300
    Und hoffe noch, vor meinem letzten Schritt
    Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.

    MEPHISTOPHELES

    Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
    Das ist die Art, wie er sich soulagiert,
    Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen,
    4305
    Ist er von Geistern und von Geist kuriert.
    Zu Faust, der aus dem Tanz getreten ist.
    Was lässest du das schöne Mädchen fahren,
    Das dir zum Tanz so lieblich sang?

    FAUST

    Ach! mitten im Gesange sprang
    4310
    Ein rotes Mäuschen ihr aus dem Munde.

    MEPHISTOPHELES

    Das ist was Rechts! das nimmt man nicht genau;
    Genug, die Maus war doch nicht grau.
    Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?

    FAUST

    Dann sah ich —

    MEPHISTOPHELES

    4315
    Was?

    FAUST

    Mephisto, siehst du dort
    Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?
    Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
    Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.
    4320
    Ich muß bekennen, daß mir deucht,
    Daß sie dem guten Gretchen gleicht.

    MEPHISTOPHELES

    Laß das nur stehn! dabei wird's niemand wohl.
    Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
    Ihm zu begegnen, ist nicht gut:
    4325
    Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
    Und er wird fast in Stein verkehrt;
    Von der Meduse hast du ja gehört.

    FAUST

    Fürwahr, es sind die Augen einer Toten,
    Die eine liebende Hand nicht schloß.
    4330
    Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
    Das ist der süße Leib, den ich genoß.

    MEPHISTOPHELES

    Das ist die Zauberei, du leicht verführter Tor!
    Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.

    FAUST

    Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
    4335
    Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
    Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
    Ein einzig rotes Schnürchen schmücken,
    Nicht breiter als ein Messerrücken!

    MEPHISTOPHELES

    Ganz recht! ich seh es ebenfalls.
    4340
    Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen,
    Denn Perseus hat's ihr abgeschlagen.
    Nur immer diese Lust zum Wahn!
    Komm doch das Hügelchen heran,
    Hier ist's so lustig wie im Prater;
    4345
    Und hat man mir's nicht angetan,
    So seh ich wahrlich ein Theater.
    Was gibt's denn da?

    SERVIBILIS

    Gleich fängt man wieder an.
    Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben.
    4350
    So viel zu geben ist allhier der Brauch,
    Ein Dilettant hat es geschrieben,
    Und Dilettanten spielen's auch.
    Verzeiht, ihr Herrn, wenn ich verschwinde;
    Mich dilettiert's, den Vorhang aufzuziehn.

    MEPHISTOPHELES

    4355
    Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
    Das find ich gut; denn da gehört ihr hin.

    WALPURGISNACHTSTRAUM

    oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit.
    Intermezzo.

    THEATERMEISTER

    Heute ruhen wir einmal,
    Miedings wackre Söhne.
    Alter Berg und feuchtes Tal,
    4360
    Das ist die ganze Szene!

    HEROLD

    Daß die Hochzeit golden sei,
    Solln funfzig Jahr sein vorüber;
    Aber ist der Streit vorbei,
    Das Golden ist mir lieber.

    OBERON

    4365
    Seid ihr Geister, wo ich bin,
    So zeigt's in diesen Stunden;
    König und die Königin,
    Sie sind aufs neu verbunden.

    PUCK

    Kommt der Puck und dreht sich quer
    4370
    Und schleift den Fuß im Reihen;
    Hundert kommen hinterher,
    Sich auch mit ihm zu freuen.

    ARIEL

    Ariel bewegt den Sang
    In himmlisch reinen Tönen;
    4375
    Viele Fratzen lockt sein Klang,
    Doch lockt er auch die Schönen.

    OBERON

    Gatten, die sich vertragen wollen,
    Lernen's von uns beiden!
    Wenn sich zweie lieben sollen,
    4380
    Braucht man sie nur zu scheiden.

    TITANIA

    Schmollt der Mann und grillt die Frau,
    So faßt sie nur behende,
    Führt mir nach dem Mittag sie,
    Und ihn an Nordens Ende.

    ORCHESTER TUTTI

    Fortissimo.
    4385
    Fliegenschnauz und Mückennas
    Mit ihren Anverwandten,
    Frosch im Laub und Grill im Gras,
    Das sind die Musikanten!

    SOLO

    Seht, da kommt der Dudelsack!
    4390
    Es ist die Seifenblase.
    Hört den Schneckeschnickeschnack
    Durch seine stumpfe Nase.

    GEIST, DER SICH ERST BILDET

    Spinnenfuß und Krötenbauch
    Und Flügelchen dem Wichtchen!
    4395
    Zwar ein Tierchen gibt es nicht,
    Doch gibt es ein Gedichtchen.

    EIN PÄRCHEN

    Kleiner Schritt und hoher Sprung
    Durch Honigtau und Düfte;
    Zwar du trippelst mir genung,
    4400
    Doch geh's nicht in die Lüfte.

    NEUGIERIGER REISENDER

    Ist das nicht Maskeradenspott?
    Soll ich den Augen trauen,
    Oberon, den schönen Gott,
    Auch heute hier zu schauen?

    ORTHODOX

    4405
    Keine Klauen, keinen Schwanz!
    Doch bleibt es außer Zweifel:
    So wie die Götter Griechenlands,
    So ist auch er ein Teufel.

    NORDISCHER KÜNSTLER

    Was ich ergreife, das ist heut
    4410
    Fürwahr nur skizzenweise;
    Doch ich bereite mich beizeit
    Zur italien'schen Reise.

    PURIST

    Ach! mein Unglück führt mich her:
    Wie wird nicht hier geludert!
    4415
    Und von dem ganzen Hexenheer
    Sind zweie nur gepudert.

    JUNGE HEXE

    Der Puder ist so wie der Rock
    Für alt' und graue Weibchen,
    Drum sitz ich nackt auf meinem Bock
    4420
    Und zeig ein derbes Leibchen.

    MATRONE

    Wir haben zu viel Lebensart,
    Um hier mit euch zu maulen!
    Doch hoff ich, sollt ihr jung und zart,
    So wie ihr seid, verfaulen.

    KAPELLMEISTER

    4425
    Fliegenschnauz und Mückennas
    Umschwärmt mir nicht die Nackte!
    Frosch im Laub und Grill im Gras,
    So bleibt doch auch im Takte!

    WINDFAHNE

    nach der einen Seite.
    Gesellschaft, wie man wünschen kann:
    4430
    Wahrhaftig lauter Bräute!
    Und Junggesellen, Mann für Mann,
    Die hoffnungsvollsten Leute!

    WINDFAHNE

    nach der andern Seite.
    Und tut sich nicht der Boden auf,
    Sie alle zu verschlingen,
    4435
    So will ich mit behendem Lauf
    Gleich in die Hölle springen.

    XENIEN

    Als Insekten sind wir da,
    Mit kleinen scharfen Scheren,
    Satan, unsern Herrn Papa,
    4440
    Nach Würden zu verehren.

    HENNINGS

    Seht, wie sie in gedrängter Schar
    Naiv zusammen scherzen!
    Am Ende sagen sie noch gar,
    Sie hätten gute Herzen.

    MUSAGET

    4445
    Ich mag in diesem Hexenheer
    Mich gar zu gern verlieren;
    Denn freilich diese wüßt ich eh'r
    Als Musen anzuführen.

    CI-DEVANT GENIUS DER ZEIT

    Mit rechten Leuten wird man was.
    4450
    Komm, fasse meinen Zipfel!
    Der Blocksberg, wie der deutsche Parnass,
    Hat gar einen breiten Gipfel.

    NEUGIERIGER REISENDER

    Sagt, wie heißt der steife Mann?
    Er geht mit stolzen Schritten.
    4455
    Er schnopert, was er schnopern kann.
    „Er spürt nach Jesuiten.”

    KRANICH

    In dem Klaren mag ich gern
    Und auch im Trüben fischen;
    Darum seht ihr den frommen Herrn
    4460
    Sich auch mit Teufeln mischen.

    WELTKIND

    Ja, für die Frommen, glaubet mir,
    Ist alles ein Vehikel,
    Sie bilden auf dem Blocksberg hier
    Gar manches Konventikel.

    TÄNZER

    4465
    Da kommt ja wohl ein neues Chor?
    Ich höre ferne Trommeln.
    Nur ungestört! es sind im Rohr
    Die unisonen Dommeln.

    TANZMEISTER

    Wie jeder doch die Beine lupft!
    4470
    Sich, wie er kann, herauszieht!
    Der Krumme springt, der Plumpe hupft
    Und fragt nicht, wie es aussieht.

    FIEDLER

    Das haßt sich schwer, das Lumpenpack,
    Und gäb sich gern das Restchen;
    4475
    Es eint sie hier der Dudelsack,
    Wie Orpheus' Leier die Bestjen.

    DOGMATIKER

    Ich lasse mich nicht irre schrein,
    Nicht durch Kritik noch Zweifel.
    Der Teufel muß doch etwas sein;
    4480
    Wie gäb's denn sonst auch Teufel?

    IDEALIST

    Die Phantasie in meinem Sinn
    Ist diesmal gar zu herrisch.
    Fürwahr, wenn ich das alles bin,
    So bin ich heute närrisch.

    REALIST

    4485
    Das Wesen ist mir recht zur Qual
    Und muß mich baß verdrießen;
    Ich stehe hier zum erstenmal
    Nicht fest auf meinen Füßen.

    SUPERNATURALIST

    Mit viel Vergnügen bin ich da
    4490
    Und freue mich mit diesen;
    Denn von den Teufeln kann ich ja
    Auf gute Geister schließen.

    SKEPTIKER

    Sie gehn den Flämmchen auf der Spur
    Und glaub'n sich nah dem Schatze.
    4495
    Auf Teufel reimt der Zweifel nur;
    Da bin ich recht am Platze.

    KAPELLMEISTER

    Frosch im Laub und Grill im Gras,
    Verfluchte Dilettanten!
    Fliegenschnauz und Mückennas,
    4500
    Ihr seid doch Musikanten!

    DIE GEWANDTEN

    Sanssouci, so heißt das Heer
    Von lustigen Geschöpfen;
    Auf den Füßen geht's nicht mehr,
    Drum gehn wir auf den Köpfen.

    DIE UNBEHILFLICHEN

    4505
    Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
    Nun aber Gott befohlen!
    Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
    Wir laufen auf nackten Sohlen.

    IRRLICHTER

    Von dem Sumpfe kommen wir,
    4510
    Woraus wir erst entstanden;
    Doch sind wir gleich im Reihen hier
    Die glänzenden Galanten.

    STERNSCHNUPPE

    Aus der Höhe schoß ich her
    Im Stern– und Feuerscheine,
    4515
    Liege nun im Grase quer —
    Wer hilft mir auf die Beine?

    DIE MASSIVEN

    Platz und Platz! und ringsherum!
    So gehn die Gräschen nieder.
    Geister kommen, Geister auch,
    4520
    Sie haben plumpe Glieder.

    PUCK

    Tretet nicht so mastig auf
    Wie Elefantenkälber,
    Und der plumpst' an diesem Tag
    Sei Puck, der derbe, selber.

    ARIEL

    4525
    Gab die liebende Natur,
    Gab der Geist euch Flügel,
    Folget meiner leichten Spur,
    Auf zum Rosenhügel!

    ORCHESTER

    Pianissimo.
    Wolkenzug und Nebelflor
    4530
    Erhellen sich von oben.
    Luft im Laub und Wind im Rohr,
    Und alles ist zerstoben.

    TRÜBER TAG. FELD

    Faust. Mephistopheles.

    FAUST

    Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange verirrt und nun gefangen! Als Missetäterin im Kerker zu entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Geschöpf! Bis dahin! dahin! — Verräterischer, nichtswürdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht! — Steh nur, steh! Wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf herum! Steh und trutze mir durch deine unerträgliche Gegenwart! Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen Geistern übergeben und der richtenden gefühllosen Menschheit! Und mich wiegst du indes in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir ihren wachsenden Jammer und lässest sie hilflos verderben!

    MEPHISTOPHELES

    Sie ist die erste nicht.

    FAUST

    4535
    Hund! abscheuliches Untier! — Wandle ihn, du unendlicher Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt, wie er sich oft nächtlicherweile gefiel, vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern und sich dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl' ihn wieder in seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füßen trete, den Verworfnen! — Die erste nicht! — Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elendes versank, daß nicht das erste genugtat für die Schuld aller übrigen in seiner windenden Todesnot vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir wühlt es Mark und Leben durch, das Elend dieser einzigen — du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin!

    MEPHISTOPHELES

    Nun sind wir schon wieder an der Grenze unsres Witzes, da, wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns wenn du sie nicht durchführen kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?

    FAUST

    Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir ekelt's! Großer, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele, warum an den Schandgesellen mich schmieden, der sich am Schaden weidet und am Verderben sich letzt?

    MEPHISTOPHELES

    Endigst du?

    FAUST

    Rette sie! oder weh dir! Den gräßlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende!

    MEPHISTOPHELES

    4540
    Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel nicht öffnen. — Rette sie! — Wer war's, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?
    Faust blickt wild umher.
    Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elenden Sterblichen nicht gegeben ward! Den unschuldig Entgegnenden zu zerschmettern, das ist so Tyrannenart, sich in Verlegenheiten Luft zu machen.

    FAUST

    Bringe mich hin! Sie soll frei sein!

    MEPHISTOPHELES

    Und die Gefahr, der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand. Über des Erschlagenen Stätte schweben rächende Geister und lauern auf den wiederkehrenden Mörder.

    FAUST

    4545
    Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich Ungeheuer! Führe mich hin, sag ich, und befrei sie.

    MEPHISTOPHELES

    Ich führe dich, und was ich tun kann, höre! Habe ich alle Macht im Himmel und auf Erden? Des Türners Sinne will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel und führe sie heraus mit Menschenhand! Ich wache, die Zauberpferde sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich.

    FAUST

    Auf und davon!

    NACHT, OFFEN FELD

    Faust, Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daherbrausend.

    FAUST

    Was weben die dort um den Rabenstein?

    MEPHISTOPHELES

    Weiß nicht, was sie kochen und schaffen.

    FAUST

    4550
    Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.

    MEPHISTOPHELES

    Eine Hexenzunft.

    FAUST

    Sie streuen und weihen.

    MEPHISTOPHELES

    Vorbei! Vorbei!

    KERKER

    FAUST

    mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen Türchen.
    Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
    4555
    Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.
    Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer
    Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
    Du zauderst, zu ihr zu gehen!
    Du fürchtest, sie wiederzusehen!
    4560
    Fort! dein Zagen zögert den Tod heran.
    Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.
    Meine Mutter, die Hur,
    Die mich umgebracht hat!
    Mein Vater, der Schelm,
    4565
    Der mich gessen hat!
    Mein Schwesterlein klein
    Hub auf die Bein,
    An einem kühlen Ort;
    Da ward ich ein schönes Waldvögelein;
    4570
    Fliege fort, fliege fort!

    FAUST

    aufschließend.
    Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht,
    Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht.
    Er tritt ein.

    MARGARETE

    sich auf dem Lager verbergend.
    Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!

    FAUST

    leise.
    Still! Still! ich komme, dich zu befreien.

    MARGARETE

    sich vor ihn hinwälzend.
    4575
    Bist du ein Mensch, so fühle meine Not.

    FAUST

    Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
    Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.

    MARGARETE

    auf den Knien.
    Wer hat dir Henker diese Macht
    Über mich gegeben!
    Du holst mich schon um Mitternacht.
    4580
    Erbarme dich und laß mich leben!
    Ist's morgen früh nicht zeitig genung?
    Bin ich doch noch so jung, so jung!
    Und soll schon sterben!
    Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
    4585
    Nah war der Freund, nun ist er weit;
    Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
    Fasse mich nicht so gewaltsam an!
    Schone mich! Was hab ich dir getan?
    Laß mich nicht vergebens flehen,
    4590
    Hab ich dich doch mein Tage nicht gesehen!

    FAUST

    Werd ich den Jammer überstehen!

    MARGARETE

    Ich bin nun ganz in deiner Macht.
    Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
    Ich herzt es diese ganze Nacht;
    4595
    Sie nahmen mir's, um mich zu kränken,
    Und sagen nun, ich hätt es umgebracht.
    Und niemals werd ich wieder froh.
    Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!
    Ein altes Märchen endigt so,
    4600
    Wer heißt sie's deuten?

    FAUST

    wirft sich nieder.
    Ein Liebender liegt dir zu Füßen,
    Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.

    MARGARETE

    wirft sich zu ihm.
    O laß uns knien, die Heil'gen anzurufen!
    Sieh! unter diesen Stufen,
    4605
    Unter der Schwelle
    Siedet die Hölle!
    Der Böse,
    Mit furchtbarem Grimme,
    Macht ein Getöse!

    FAUST

    laut.
    4610
    Gretchen! Gretchen!

    MARGARETE

    aufmerksam.
    Das war des Freundes Stimme!
    Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.
    Wo ist er? ich hab ihn rufen hören.
    Ich bin frei! mir soll niemand wehren.
    4615
    An seinen Hals will ich fliegen,
    An seinem Busen liegen!
    Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
    Mitten durchs Heulen und Klappen der Hölle,
    Durch den grimmigen, teuflischen Hohn
    4620
    Erkannt ich den süßen, den liebenden Ton.

    FAUST

    Ich bin's!

    MARGARETE

    Du bist's! O sag es noch einmal!
    Ihn fassend.
    Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual?
    4625
    Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
    Du bist's! Kommst, mich zu retten.
    Ich bin gerettet!
    Schon ist die Straße wieder da,
    Auf der ich dich zum ersten Male sah.
    4630
    Und der heitere Garten,
    Wo ich und Marthe deiner warten.

    FAUST

    fortstrebend.
    Komm mit! Komm mit!

    MARGARETE

    O weile!
    Weil ich doch so gern, wo du weilest.
    Liebkosend.

    FAUST

    4635
    Eile!
    Wenn du nicht eilest
    Werden wir's teuer büßen müssen.

    MARGARETE

    Wie? du kannst nicht mehr küssen?
    Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
    4640
    Und hast's Küssen verlernt?
    Warum wird mir an deinem Halse so bang?
    Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
    Ein ganzer Himmel mich überdrang,
    Und du mich küßtest, als wolltest du mich ersticken.
    4645
    Küsse mich!
    Sonst küß ich dich!
    Sie umfaßt ihn.
    O weh! deine Lippen sind kalt,
    Sind stumm.
    4650
    Wo ist dein Lieben
    Geblieben?
    Wer brachte mich drum?
    Sie wendet sich von ihm.

    FAUST

    Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Mut!
    Ich herze dich mit tausendfacher Glut;
    4655
    Nur folge mir! Ich bitte dich nur dies!

    MARGARETE

    zu ihm gewendet.
    Und bist du's denn? Und bist du's auch gewiß?

    FAUST

    Ich bin's! Komm mit!

    MARGARETE

    Du machst die Fesseln los,
    Nimmst wieder mich in deinen Schoß.
    4660
    Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? —
    Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?

    FAUST

    Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.

    MARGARETE

    Meine Mutter hab ich umgebracht,
    Mein Kind hab ich ertränkt.
    4665
    War es nicht dir und mir geschenkt?
    Dir auch. — Du bist's! ich glaub es kaum.
    Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
    Deine liebe Hand! — Ach, aber sie ist feucht!
    Wische sie ab! Wie mich deucht,
    4670
    Ist Blut dran.
    Ach Gott! was hast du getan!
    Stecke den Degen ein,
    Ich bitte dich drum!

    FAUST

    Laß das Vergangne vergangen sein,
    4675
    Du bringst mich um.

    MARGARETE

    Nein, du mußt übrigbleiben!
    Ich will dir die Gräber beschreiben,
    Für die mußt du sorgen
    Gleich morgen;
    4680
    Der Mutter den besten Platz geben,
    Meinen Bruder sogleich darneben,
    Mich ein wenig beiseit,
    Nur nicht gar zu weit!
    Und das Kleine mir an die rechte Brust.
    4685
    Niemand wird sonst bei mir liegen! —
    Mich an deine Seite zu schmiegen,
    Das war ein süßes, ein holdes Glück!
    Aber es will mir nicht mehr gelingen;
    Mir ist's, als müßt ich mich zu dir zwingen,
    4690
    Als stießest du mich von dir zurück;
    Und doch bist du's und blickst so gut, so fromm.

    FAUST

    Fühlst du, daß ich es bin, so komm!

    MARGARETE

    Dahinaus?

    FAUST

    Ins Freie.

    MARGARETE

    4695
    Ist das Grab drauß, Lauert der Tod, so komm!
    Von hier ins ewige Ruhebett
    Und weiter keinen Schritt —
    Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt ich mit!

    FAUST

    Du kannst! So wolle nur! Die Tür steht offen!

    MARGARETE

    4700
    Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
    Was hilft es, fliehn? Sie lauern doch mir auf.
    Es ist so elend, betteln zu müssen,
    Und noch dazu mit bösem Gewissen!
    Es ist so elend, in der Fremde schweifen,
    4705
    Und sie werden mich doch ergreifen!

    FAUST

    Ich bleibe bei dir.

    MARGARETE

    Geschwind! Geschwind!
    Rette dein armes Kind! Fort! immer den Weg
    Am Bach hinauf,
    4710
    Über den Steg,
    In den Wald hinein,
    Links, wo die Planke steht,
    Im Teich.
    Faß es nur gleich!
    4715
    Es will sich heben,
    Es zappelt noch!
    Rette! rette!

    FAUST

    Besinne dich doch!
    Nur einen Schritt, so bist du frei!

    MARGARETE

    4720
    Wären wir nur den Berg vorbei!
    Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
    Es faßt mich kalt beim Schopfe!
    Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
    Und wackelt mit dem Kopfe
    4725
    Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
    Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
    Sie schlief, damit wir uns freuten.
    Es waren glückliche Zeiten!

    FAUST

    Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen,
    4730
    So wag ich's, dich hinwegzutragen.

    MARGARETE

    Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
    Fasse mich nicht so mörderisch an!
    Sonst hab ich dir ja alles zulieb getan.

    FAUST

    Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!

    MARGARETE

    4735
    Tag! Ja, es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
    Mein Hochzeittag sollt es sein!
    Sag niemand, daß du schon bei Gretchen warst.
    Weh meinem Kranze!
    Es ist eben geschehn!
    4740
    Wir werden uns wiedersehn;
    Aber nicht beim Tanze.
    Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
    Der Platz, die Gassen
    Können sie nicht fassen.
    4745
    Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
    Wie sie mich binden und packen!
    Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
    Schon zuckt nach jedem Nacken
    Die Schärfe, die nach meinem zückt.
    4750
    Stumm liegt die Welt wie das Grab!

    FAUST

    O wär ich nie geboren!

    MEPHISTOPHELES

    erscheint draußen.
    Auf! oder ihr seid verloren.
    Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
    Mein Pferde schaudern,
    4755
    Der Morgen dämmert auf.

    MARGARETE

    Was steigt aus dem Boden herauf?
    Der! der! Schick ihn fort!
    Was will der an dem heiligen Ort?
    Er will mich!

    FAUST

    4760
    Du sollst leben!

    MARGARETE

    Gericht Gottes! dir hab ich mich übergeben!

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.

    MARGARETE

    Dein bin ich, Vater! Rette mich!
    Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,
    4765
    Lagert euch umher, mich zu bewahren!
    Heinrich! Mir graut's vor dir.

    MEPHISTOPHELES

    Sie ist gerichtet!

    STIMME

    von oben.
    Ist gerettet!

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    Her zu mir!
    Verschwindet mit Faust.

    STIMME

    von innen, verhallend.
    4770
    Heinrich! Heinrich!
    x